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Semana do Orgulho 2018

Warum ich als Mitglied der Gay-Community die Regenbogenparade für wichtig halte

Wien braucht Paraden. Vor allem braucht Wien die Regenbogenparade. Weil jede Stadt ihre Paraden braucht. Punkt.
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Dieser Artikel ist eine Antwort auf den Beitrag "Warum ich als Mitglied der Gay-Community bewusst nicht an der Regenbogenparade teilnehme".

Selbst wenn du Paraden hasst, selbst wenn du nie hingehst, bereichern sie indirekt dein Leben. Wenn tausende Menschen den Ring in eine Party verwandeln, verändert das den Puls von Wien – und zwar nicht nur am Tag der Parade. Die Vorfreude ist schon Tage, wenn nicht sogar Wochen davor spürbar. Und jede Straßenparade hinterlässt auch Erinnerungen. Orte, die normalerweise von Autos und Straßenbahnen beherrscht werden, können nun mit einer freien und ausgelassenen Stimmung assoziiert werden. Das gräbt sich tief ins allgemeine Bewusstsein ein und beeinflusst so die Dynamik einer Stadt positiv.

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Um zu verstehen, warum die Regenbogenparade explizit wichtig ist, muss man ihren Ursprung kennen. Dieser liegt im Jahr 1969 und den den gewaltsamen Protesten gegen die andauernden Razzien der Polizei in der Stonewall Bar in der Christopher Street in New York. Daraus entstand der Christopher Street Day, der heute weltweit gefeiert wird.

Was früher ein Protest war, um für die Rechte der LGBT-Community zu kämpfen, wird heute oftmals als Party oder Freakshow abgetan. Aber ist das wirklich so? Ist es nicht möglich, dass eine Straßenparty auch etwas bewirkt? Und was wäre die Alternative? Gar keine Parade mehr?

Es gibt noch so viel zu machen. Wir sind noch weit davon entfernt, gleichberechtigt zu sein. Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – ist es so wichtig, die Straßen Wiens zu erobern und eine fette Party zu veranstalten. Gemeinsam mit Kindern, StudentInnen oder RentnerInnen feiern wir, dass wir queer sind.

Manchen Menschen bietet die Parade einen sicheren Space, um endlich mal ein Outfit tragen zu können, für das sie im Alltag beleidigt oder geschlagen würden.

Die letzten paar Male, als ich an der Regenbogenparade teilgenommen habe, haben mich davon überzeugt, dass diese Parade trotz Schrillheit, Freude und Sexualisierung etwas bewirken kann. Halbnackt, ganz nackt oder im Fetischkleid zu tanzen ist Empowerment. Manchen Menschen bietet die Parade auch einen sicheren Space, um endlich mal ein Outfit tragen zu können, für das sie im Alltag beleidigt oder geschlagen würden. Das ist leider eine traurige Realität.

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Es fühlt sich aber einfach verdammt gut an, auf dieser Parade halbnackt zu tanzen. Und das Beste daran ist: Du kannst dich wirklich anziehen, wie du willst. Wenn du also im Ganzkörper-Latex-Anzug kommen willst – tu es. Und wenn du einfach Jeans und ein weißes Shirt tragen willst – tu es. Es gibt keine Regeln oder Vorschriften, wie du dich auf der Parade präsentieren musst.

Scheiß auf die Leute, die nur zur Parade kommen, um sich von der "Freakshow" unterhalten zu lassen – immerhin zeigen sie zumindest ein Interesse an der Sache und bilden so das Publikum, ohne das eine Show nicht auskommen kann. Scheiß auch auf die Heteros, die die Parade nutzen, um sich selbst darzustellen und ihre eigenen sexuellen Fetische auf der Parade zu präsentieren.

Abgesehen davon weiß man nie, ob die Leute, die eher beobachtend an der Parade teilnehmen und keine auffälligen Outfits tragen, nicht vielleicht auch queer sind. Unsere Community erfährt nach wie vor hohe Diskriminierung im täglichen Leben und ein Coming-out erfordert viel Mut. Zwar gibt es Treffpunkte und Beratungsangebote, aber auch hier ist die Hemmschwelle für viele noch zu hoch. Wenn sie aber "zufällig" an der Regenbogenparade vorbeikommen, können sie die Szene mal beschnuppern und Gleichgesinnte kennenlernen. Für manche ist es die einzige Gelegenheit im Jahr, etwas ganz leicht anklingen zu lassen, was sie tief in ihrem Inneren verstecken.

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Es gibt natürlich auch konservative Menschen in der LGBT-Community, die sich in der oftmals sehr linken Szene hier in Wien nicht hundertprozentig wohl fühlen – aber die Parade ist für alle da, egal welches politische Spektrum sie besetzen. Auch für queere Leute, die vielleicht eher von einem Einfamilienhaus träumen und lieber nicht ihre Sexualität auf der Straße zelebrieren möchten.

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Letztes Jahr wurde mir auf der Parade – wahrscheinlich wegen meines freizügigen Outfits – angeboten, in einem Porno mitzumachen und spontan 800 Euro zu verdienen. Ich wusste nicht, ob ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte. Die Leute, die mir dieses spezielle Angebot gemacht haben, waren jedoch sehr nett – sie haben mich gefragt, ohne irgendwie unangenehm zu sein. Ich habe abgelehnt und sie sind weiter gegangen. Das ist ein Gefühl, das ich auf die Parade allgemein übertragen würde.

Ich sehe die allgemeine Freizügigkeit und Sexualisierung der LGBT-Community grundsätzlich als etwas Positives – meiner Meinung nach ist jede Art von sexueller Freizügigkeit und Offenheit etwas Positives. Klar, wenn Menschen dich nur auf Sex reduzieren oder sexuelle Offenheit mit einer Art Selbstbedienungsladen verwechseln, kann es schon mal unangenehm werden – aber wenn jemand insgeheim gerne etwas ausprobieren möchte, sich jedoch nicht auskennt und sich auch nicht wirklich traut, dann findet diese Person vielleicht Gleichgesinnte auf der Parade.

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Ich liebe es auch, auf der Parade auf so viele Menschen zu treffen. Man tauscht ein paar Worte aus, macht Fotos, tanzt gemeinsam. Daraus entwickeln sich oft Freundschaften – oder man findet jemanden zum Schmusen. Und es ist eben nicht wie im Club, es herrscht eine ganz andere Stimmung, die Menschen sind viel offener.

Um als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden, muss die Community sichtbar sein. Und die Regenbogenparade sorgt für Sichtbarkeit.

Jede Person auf der Parade – egal, ob sie durch Zufall da ist, und egal, wie aktiv sie sich sonst für die Rechte der Community einsetzt – ist Teil der Bewegung. Und das verbindet, es entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft. Du bist nicht alleine, du bist nicht der oder die Einzige. Und wir alle haben das gleiche Ziel: Wir wollen akzeptiert werden und die gleichen Rechte haben.

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Um als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden, muss die Community sichtbar sein. Und die Regenbogenparade sorgt für Sichtbarkeit. Nicht nur sichtbar innerhalb von Wien, sondern über die Landesgrenzen hinaus. Sogar die Polizei ist entspannter und freundlicher als sonst – leider kommt es immer noch oft zu Racial Profiling und homophobem Verhalten, aber noch vor 40 Jahren kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und der LGBT-Community. Heute kann man auf der Parade einem Kiwara zuwinken oder ein Selfie mit ihm machen.

Wo die Polizei allerdings nicht sehr entspannt ist, ist die Gegendemonstration, die jedes Jahr zeitgleich mit der Regenbogenparade stattfindet: der "Marsch für die Familie". Dort beschützen sie hasserfüllte Christen, weil es ihr Job ist. Eines ist jedenfalls klar: Solange es Menschen gibt, die gegen eine so fröhliche und ungezwungene Straßenparty demonstrieren, ist die Regenbogenparade nicht nur nice to have, sondern auch absolut notwendig.