Drogen

Grasdealer im Wald: Ist das ein Tatort oder schon Kunst? Eine Tiefenanalyse

In Paderborn – ja, Paderborn – hat die Polizei einen sehr schlecht versteckten Arbeitsplatz eines mutmaßlichen Dealers fotografiert und wir finden das: seltsam schön.
Ein Tisch und Stühle stehen im Wald
Alle Fotos: Polizei Paderborn  

Eine Theorie besagt, dass man mit dem verrücktesten Verhalten durchkommt, wenn man so tut, als ob es ganz normal wäre. Vielleicht folgte dem ein mutmaßlicher Dealer in Paderborn, als er Cannabis aus einer Art Büro im Gebüsch vertickte. "Hi, ich verkaufe Drogen im Wald, aber ich habe Stühle, einen Tisch und einen Kleiderständer, also alles cool!"

Es hat dann nicht so gut funktioniert. Die Polizei entdeckte den 20-Jährigen, als er gerade mit einer Feinwaage Weed abwog und in Tütchen verpackte. Sie nahm ihn fest und veröffentlichte Mitte August zwei Fotos, die zusammen ein Meisterwerk der Tatortfotografie ergeben. Ich meine, man könnte das so, wie es ist, in einer Galerie für zeitgenössische Fotografie ausstellen, eine Schimpansenband spielen lassen und völlig bescheuerte Preise verlangen. Allein schon der Lichteinfall auf das Mobiliar wirkt so, als würde Gott persönlich hier seine Steuern machen. Aber lasst uns einen Blick auf die Details werfen.

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Die Stühle

Gelbe Stühle

Durch die Stühle kann man viel über das Ausmaß des kriminellen Universums lernen, das von hier aus mutmaßlich gesteuert wurde. Zunächst durch das Design. Die knallgelben Stühle sehen aus, als wären sie aus der nahegelegenen Friedrich-Spree-Gesamtschule geklaut worden, und senden damit eine klare Nachricht: Es ist mir völlig egal, wenn das alles hier irgendjemandem auffällt. Volles Risiko. Ich bin fucking unantastbar. Die Sitzbank hinter dem Tisch könnte aus einem Park stammen. Die Message hier: Ich klaue Dinge, bei mir muss man mit allem rechnen.


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Dann gibt es da aber noch einen weiteren Stuhl. Er ist blau. Zurückhaltend. Eine stille Sitzgelegenheit. Unauffällig genug, dass man sich notfalls einfach drauf setzen könnte, wenn die falschen Leute lesen wollen, was auf der Sitzfläche steht: "10 € = 0,8 Gramm" aber auch "5000 € = 1000 Gramm". Auf der Rückenlehne steht "4:20". Es geht also um Gras, verkauft von einem, der die Codes kennt. Und der Mengenrabatt gibt. Und der diesen mit Markern auf einen blauen Stuhl schreibt, der in einem Gebüsch steht.

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Man kann jetzt schon vermuten, dass hier wohl kein mexikanisches Kartell eine Dependance eröffnet hat. Aber lasst uns korrekt bleiben und allen Hinweisen nachgehen:

Die Anzahl der Sitzgelegenheiten. Warum so viele? Was hat der mutmaßliche Dealer gesagt, wenn Kundschaft kam? "Nimm Platz auf dem gelben Klassenzimmerstuhl, du Baby, und hey, ich habe genug Platz für all deine Freunde, die dich hoffentlich zum Drogeneinkaufen begleiten." Hat er noch nie Scarface geschaut? Oder irgendeinen anderen Drogendealer-Film? Warum sollte er hier so viel Besuch empfangen wollen? Man weiß es nicht, aber vielleicht ist das alles auch eine sehr schlechte Parodie, ausgedacht von Luke Mockridge.

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Die Astkonstruktion

Äste

Als Nächstes möchte ich eure Augen auf die Gesamtszenerie lenken. Gäbe es nicht die Polizeimeldung, was könnte hier im Wald passiert sein? Was sagt der offenbar selbstgeflochtene Holzzaun, der nicht nur das Büro, sondern das ganze Bild einrahmt? Ein heidnischer Stamm könnte auf der Lichtung ein paar Meerschweinchen geopfert haben. Oder es sind die Reste einer Kakaozeremonienjurte, die eine Gruppe Trance-Freaks hinterlassen hat. Oder beides. Wir wüssten es in diesem Moment nicht. Klar wäre jedoch, dass hier ein Schöngeist am Werk war. Ein Mensch, der bereit ist, Arbeit in etwas zu investieren, das einem höheren Zweck dient als der reinen Funktion. Ein Werk im Namen der Schönheit. Als Sichtschutz allein dürften die Äste nicht gedient haben, aber sie machen aus dem Gebüsch einen Raum.

Die Getränke

Getränke

Auf dem Tisch stehen drei Flaschen mit grundverschiedenen Botschaften. Vielleicht, um Kunden zu verunsichern. Beginnen wir rechts: die leere Flasche. Darin war einmal das Liegefahrradfahrergetränk Apfelsaftschorle. Ein freundliches Getränk, das sagt: "Ich bin keine Bedrohung." Daneben: die Cola-Flasche. Das Zeug hat wohl schon jeder getrunken, eine gemeinsame Basis also, das Äquivalent zu Wetter-Gesprächen. Ein Eisbrecher. Dann: die silberfarbene Flasche. Wahrscheinlich ein Energy-Drink, vielleicht ein isotonisches Sportgetränk. Man weiß es nicht, denn man sieht nicht, was drin ist. Vielleicht eine Bombe? Ein geniales Verwirrspiel. Oder einfach Zufall.

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Das Dollarzeichen

Dollarzeichen

Oben links im Bild sehen wir ein kleines Dollarzeichen, das jemand an die Unterseite der Plane gesprüht hat. Ich möchte dazu gerne folgende Theorie anbieten: Wenn dein Arbeitsplatz ein Gebüsch an einer Paderborner Bahnstrecke ist, brauchst du jede Motivation, die du kriegen kannst. Für manche wäre das vielleicht die Aussicht, sich mittags beim Griechen ein halbes Pfund Calamari Fritti ins Gesicht zu stellen. Hier ist es die Aussicht auf das, worum es am Ende wirklich geht: Geld. Durchaus vorstellbar, dass der mutmaßliche Dealer, wenn er mal wieder 0,8 Gramm Gras vertickt hat, seinen Siegelring küsste, den ausgestreckten Zeigefinger Richtung Dollarzeichen reckte und "Dafür mach ich das" rief, so laut, dass es auch jeder Spaziergänger hören kann. Wie pur. Wie real!

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