Die Sicht aus Berlin vom Penthaus aus
Fotos: Nik Afanasjew
Politik

34.150 Euro für kein Klo und das beste Panorama Berlins

Am Alexanderplatz bieten zwei Typen ein illegal errichtetes Penthaus an. Wir waren zur Besichtigung auf dem Dach.

Bei Immobilien geht es nur um drei Dinge: Lage, Lage, Lage. Das ist ein sehr ätzender Maklerspruch, der leider stimmt. In Berlin wurde im vergangenen Jahr ein Appartement für 25 Millionen Euro angeboten, direkt am Tiergarten, umgeben von den Botschaften Japans und Saudi-Arabiens. Gleichzeitig wird gerade gefühlt die halbe Stadtbevölkerung von Verdrängung bedroht. Ein perverser Gegensatz.

Penthaus in Berlin: Jakob Wirth steht auf einem Dach

Jakob Wirth auf dem Dach. Skeptischer Blick bei grandioser Aussicht

Deshalb haben Jakob Wirth und Alexander Zakharov etwas Schönes gebaut: Ein Penthaus, das unverstellten Ausblick auf den Fernsehturm, das Rote Rathaus und den Berliner Dom bietet – und nur 34.150 Euro kostet. Es ist vollständig mit Spiegelfolie überzogen, steht auf dem Dach eines Hochbaus, ist 3,6 Quadratmeter groß und – wenn es nach seinen Erbauern geht - ein "prekäres Privileg". Heute wollen sie einen Mieter oder eine Mieterin finden. Dafür haben sie das, was aussieht wie das Tiny House von Carlson vom Dach, bei Immoscout angeboten.

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Wirth und Zakharov sind Berliner, Ende 20. Wirth – schwarzer Hut, schwarzer Schal, roter Mantel – ist die Künstlerseele dieses Tandems. Wenn er nicht gerade auf Dächer klettert, studiert er Kunst und Soziologie. "Wir betreiben hier Aneignung von oben", sagt Wirth, während er das Penthaus aufschließt und ihm an diesem verregneten Berliner Herbsttag harter Nordwind ins Gesicht peitscht. "Es geht auch um die Frage: Wem gehört das Dach?"

Im Haus selbst ist alles aus Holz, hängt auf halber Deckenhöhe ein Bett, wartet ein Schreibtisch mit Laptop, steht sogar eine mit Gas betriebene Herdplatte, die Wirth kurzerhand anschmeißt. "Kaffee?"

Zakharov – guttenbergisch nach hinten gegelte Haare, Anzug, Brille – gibt den Immobilienmakler. Im echten Leben heißt er anders und ist Ökonom. Er hält sein maklermäßiges Klemmbrett fest und sagt: "Dächer waren seit jeher Orte der Freiheit. Wir spielen hier mit den Grenzen." Und die beiden spielen keinesfalls alleine: Gleich sollen Interessenten kommen, die das Inserat für das Penthaus im Netz gesehen haben, also potentielle Käufer.

Alexander Zakharov

Der Makler: Alexander Zakharov

'Penthaus à la Parasit': Die Flucht nach oben

Manche Dinge sind ja zu schön, um wahr zu sein, und dazu gehört auch dieses "Penthaus á la Parasit", wie es seine Erfinder nennen. Es existiert schon länger, Wirth und Zakharov übernachten sogar abwechselnd darin, aber verkauft wird der ohne Erlaubnis und somit illegal errichtete Bau nicht. Vielmehr geht es den beiden mit diesem zeitlich begrenzten Projekt um eine Mischung aus Kunst und Protest. Sie sagen: "Statt immer weiter aus der Stadt getrieben zu werden, wie so viele, treten wir lieber die Flucht nach oben an."

Da klettern nun auch schon die Interessenten durch eine Luke auf das Dach – und mancher ist anzumerken, dass sie die Hintergründe dieses unmöglichen Immobiliendeals kennt. Eine Frau in langem Mantel fragt schmunzelnd: "Das hat aber keine Toilette, oder?" Nein, habe es nicht, erklärt Wirth, obwohl sie schon eine passende entwickelt hätten, aber die sei gerade nicht angebracht. Was jeden direkt wegbeamt: die Aussicht. So hoch über der Stadt kann man vielleicht sogar den Harndrang etwas länger halten.

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Wirth steht derweil wehenden Mantels an seiner Haustür und sagt: "Wir machen dieses Dach mit unserem Penthaus überhaupt erst sichtbar!" Die Interessierten nicken. Es sind alles Berliner, ihren Fragen nach auch mit Vorbildung in Wohnfragen – und praktisch veranlagt. "Wenn es keinen Schlüssel für die Außentür gibt, wie kommt man dann überhaupt ins Haus rein?" Keine Sorge, es gäbe eine Lösung, versprechen die Macher. Nicht jedes Geheimnis muss ja sofort gelüftet werden.

Die potentiellen Kunden zweifeln: "Is this real?"

Aber nicht alle durchblicken, was hier vor sich geht. Einige Anwesende wissen nicht, ob sie es hier mit einem echten Angebot oder einer neuen Folge Versteckte Kamera zu tun haben. "Aber das kann man jetzt nicht wirklich kaufen, oder?", fragt eine Frau. Online, auf Immobilienportalen, wo das Penthaus feilgeboten wird, schreiben die Leute Sachen wie: "Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin am Objekt interessiert, da ich genau so etwas in dieser Lage suche. Ich bin Barzahler und bitte um kurzfristige Besichtigung."

Ob Wirth und Zakharov verkaufen würden? Nein. Auch wenn solch ein Angebot, das bestimmt ehrlich erworbene Bargeld von jemandem einzustecken, sicher verlockend klingt, lassen sich Wirth und Zakharov auf nichts ein.

Im Gegenteil: Sie haben selbst etwa 2.000 Euro ins Projekt gesteckt, vor allem die hochwertige Spiegelfolie sei teuer gewesen. Das erzählen die beiden schon in einem Café im Erdgeschoss eines benachbarten Hauses, unweit ihres temporären Penthauses, also im Trockenen. So eine Wohnungsbesichtigung im Freien ist halt auch eine Wetterfrage, Lage hin, Lage her. Irgendwann hatten an diesem Tag alle genug vom Regen. Dafür lasse sich das Penthaus auch in nur fünf Stunden auf- und wieder abbauen, erklären Wirth und Zakharov. Sie hätten es auch schon ein paar Mal aufgebaut gehabt, aber "noch nie in so exponierter Position".

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Penthaus á la Parasit

Voll verspiegelt und schön dabei: das Penthaus à la Parasit

Wirth ist es noch wichtig, den Namen des Penthauses à la Parasit zu erläutern, sozusagen den geistigen Überbau des Überbaus. "Für mich dient der Parasit als Quell der Inspiration. Er ist der Gegenspieler der herrschenden Ordnung. Er ist ihr zugleich überlegen, weil er sich überall einnistet, aber auch unterlegen, weil die Ordnung jederzeit zurückschlagen kann." In diesem konkreten Fall würde das etwa geschehen, indem Polizei oder Hauseigentümer den Zugang zum Dach verschließen. "Aber unser Penthaus einfach einbehalten oder zerstören dürften sie nicht, da haben wir uns rechtlich beraten lassen", sagt Zakharov.

Natürlich kann dieses Projekt auch als Warnzeichen dienen, oder als Beweis, dass der Kampf um das Recht auf Stadt in Berlin so extrem geworden ist, dass die von ihm freigesetzte Energie jetzt sogar nach oben entweicht, nicht mehr nur nach außen, in die urbane Peripherie. Was definitiv klappt, ist der Ansatz, auf Flächen aufmerksam zu machen, die einem sonst nicht auffallen. Nach einem Ausflug auf das Panoramadeck Berlins geht der eigene Blick fast automatisch nach oben, dorthin, wo ein Penthäuschen auf einem Dach wartet, dessen Spiegelfolie ihre Umgebung reflektiert. Und was kriegt einen schon dazu, in einer Stadt den Kopf zu heben, die man schon in- und auswendig zu kennen glaubt?

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