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Fahndung

Wie sich Polizei und Linksradikale mit Fotos im Netz gegenseitig jagen

Auch fünf Monate nach dem G20-Gipfel ist die Propaganda-Schlacht noch nicht vorbei.
Collage: Sabrina Schödl | Alle Fotos von imago

Steine und Gummigeschosse fliegen zwar nicht mehr, aber der Kampf um die G20-Proteste im Juli ist noch lange nicht vorbei. Anstatt um die Macht auf Hamburgs Straßen geht es jetzt um die Deutungshoheit: Von wem ging die krassere Gewalt aus – Autonomen oder Polizisten?

Am Montag hat die Hamburger Polizei über 100 Fotos und Videos von mutmaßlichen Tätern veröffentlicht. Die bisher größte Öffentlichkeitsfahndung in der Geschichte der Hamburger Polizei soll der Sonderkommission "Schwarzer Block" dabei helfen, mit Hinweisen aus der Bevölkerung in den insgesamt 3.340 Ermittlungsverfahren voranzukommen. Aber sie hat auch einen anderen Zweck: Sie soll den Blick wieder auf die Gewalt lenken, die von Demonstranten ausging.

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So veröffentlichte die Polizei auf der Fahndungsseite nicht nur Fotos von Verdächtigen, sondern auch zahlreiche Zusammenschnitte von Videos, in denen diese Verdächtigen zum großen Teil gar nicht zu erkennen sind. Was die Videos stattdessen zeigen: Wie bedrohlich manche Situationen aus Sicht der Beamten gewirkt haben. Immer wieder sieht man Dutzende Steine und Silvester-Raketen auf die Kamera zufliegen, man hört die Angst in den Stimmen der Beamten. "Jetzt reicht es!", hört man einen Polizisten rufen, als ein paar Autonome auf knapp zehn Meter herankommen und mit voller Wucht Steine schleudern. "Wir müssen hier weg, Mann!"

Am schlimmsten ist das Video einer Polizistin, die von einem schweren Pflasterstein direkt auf den Helm getroffen wird und wegsackt wie eine fallengelassene Marionette. "Dass die Kollegin danach noch weiterarbeiten konnte, ist ein Wunder", sagte Pressesprecher Timo Zill auf der Pressekonferenz am Montag. Allerdings ist in dem Video kein Tatverdächtiger zu identifizieren. Genau wie viele andere scheint es vor allem aus einem Grund an die Öffentlichkeit gegeben worden zu sein – um zu zeigen, was für ein harter Tag das für die Polizei war.

Dass die Hamburger Polizei versucht, mit ausgewählten Veröffentlichungen die Narrative über die Proteste zu beeinflussen, ist nichts Neues: Noch während der Proteste selber griff sie durch manchmal übertriebene oder ungeprüfte Meldungen auf Twitter direkt in die Berichterstattung ein. Auch die große "G20-Razzia" gegen Verdächtige in acht Bundesländern Anfang Dezember wurde als "PR-Bluff" kritisiert.

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Linke halten dagegen

Auf der anderen Seite versuchen Linke, die durch die Fahndung entstandene Aufmerksamkeit auf die Polizeigewalt beim G20 zu lenken. Ein typischer Tweet:

Andere verweisen auf die Webseite g20-doku.org, auf der zahlreiche Fälle dokumentiert sind, in denen Polizisten Demonstranten und Journalisten brutal angegriffen oder ihre Grundrechte verletzt haben.

Noch aggressiver haben Berliner Linksradikale reagiert, indem sie ihrerseits eine Reihe von "Fahndungsfotos" veröffentlicht haben: Dabei handelt es sich um Bilder von Berliner Polizeibeamten, die an der Räumung der Rigaer Straße beteiligt gewesen sein sollen – mit den G20-Protesten haben sie also eigentlich nichts zu tun. "Wir freuen uns über Hinweise, wo sie wohnen oder privat anzutreffen sind”, heißt es in dem Text auf indymedia.org. Die Berliner Polizei reagierte empört:

Der Kampf um die Deutungshoheit findet aber nicht nur im Internet, sondern mittlerweile auch vor Gericht statt. Dort muss sich gerade der 19-jährige Fabio V. wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte beim G20-Gipfel verantworten. Dabei wirft die Staatsanwaltschaft ihm gar nicht vor, selbst Gewalt ausgeübt zu haben – die Anklage beruht nur darauf, dass er bei dem Protestzug dabei gewesen sein soll. In den 115 Fällen, in denen gegen Polizisten wegen Polizeigewalt ermittelt wird, wurde bisher allerdings noch keine einzige Anklage erhoben.

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