Dieser Berliner Geschichtslehrer will für die AfD in den Bundestag
Foto: Rebecca Rütten

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Politik

Dieser Berliner Geschichtslehrer will für die AfD in den Bundestag

Die meisten seiner Schüler sind Muslime. Viele von ihnen sagen, er sei ihr Lieblingslehrer. Wer ist dieser Mann?

"Platzhirsch", Berlin-Mitte. Innen hängen Geweihe, außen ist die Fassade mit Graffiti beschmiert. Götz Frömming ist auf die Minute pünktlich. Breites Grinsen, fester Händedruck. Er trägt Chucks und weißes Hemd, unterrichtet Deutsch, Politik und Geschichte an einem Berliner Gymnasium. Einige seiner Schüler sagen: "Er ist unser Lieblingslehrer." Aber wenn am 1. September die Schule wieder losgeht, wird er nicht im Klassenzimmer stehen. Er wird Menschen blaue Flyer in die Hand drücken und ihnen erklären, warum der Islam nicht zu Deutschland gehört und was das Land gegen die Fluten von Zuwanderern aus Afrika tun könnte. Götz Frömming ist Bundestagskandidat der AfD.

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Wenn die Partei um die neun Prozent erreicht, und da steht die Partei momentan in einigen Umfragen, wird er im Herbst in den Bundestag einziehen. Dort würde er in einer Fraktion mit Leuten sitzen wie Jens Maier aus Sachsen, der sich "kleiner Höcke" nennt und Verständnis für den Massenmörder Andreas Breivik zeigte. Und mit Jürgen Pohl aus Thüringen, der von einer "Abschaffung des deutschen Staatsvolks" spricht. Frömming wirkt ganz anders als sie. Seine Stimme klingt ruhig, mit ihr könnte er super Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Er hört sich nie nach Bierzelt an, sondern immer nach Uni-Vorlesung. Frömming hat einen Doktortitel, leitet Wörter aus dem Lateinischen ab und zitiert ehemalige Bundeskanzler. Er ist Ende 40, sieht aber jünger aus, urban, smart. Auf seinem Facebook-Profilbild sieht man ihn, wie er hinter ein paar Frauen einen Kinderwagen durch die Straßen schiebt.

Foto: Rebecca Rütten

Frömmings Leben hat viel Graues und wenig Schwarzweißes. In Kurzform erzählt er es so: In Schleswig-Holstein geboren, in Bayern aufgewachsen, Mitglied des Bund Naturschutz. Er half Amphibien über die Straße. Demonstrierte gegen Atomkraft und für Naturschutz. Las Heinrich Böll und Thomas Mann. Verweigerte den Wehrdienst. Hatte Freunde und Bekannte bei der Antifa und bei den Grünen, auch schwule Freunde und transsexuelle. Er studierte Geschichte und feierte in illegalen Clubs in Ostberlin. Mal wählte er die Grünen, mal die SPD. Und dann kam 2010 die Euro-Krise.

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Griechenland hatte sich verschuldet. Die Euro-Staaten schnürten damals Rettungspakete, damit das Land im Währungsraum bleiben konnte. Frömming störte, dass Deutschland Griechenland Kredite in Milliardenhöhe gewährte. Er glaubt, dass viele Abgeordnete damals nicht richtig verstanden hätten, worüber sie abstimmten. Er fand, dass Merkel sie mit ihren Entscheidungen überrumpelte, mit ihrem "Alternativlos".

Frömming lehnt dieses Wort ab. Sein Leben lang erlebte er, dass man etwas verändern kann. Als junger Mann protestierte er in seiner Heimat Aschaffenburg in Nordbayern gegen Stauseen und die Zubetonierung der Landschaft. Oft mit Erfolg. Frömming ist keiner, dem die Welt egal ist. Er ist jemand, der glaubt, dass man sich wehren muss. 2013 war Götz Frömming auf dem Gründungsparteitag der AfD in einem Berliner Hotel. Er war einer von 1.500 Menschen, die laut klatschten, als Bernd Lucke sagte, die neue Partei sei angetreten, um "die Zwangsjacke der erstarrten und verbrauchten Altparteien zu sprengen". Ein älterer Mann schwang damals vor den Fernsehkameras die Deutschlandfahne. Mehrere Mitglieder versuchten, sie ihm zu entreißen, buhten ihn aus.

Bernd Lucke auf dem Gründungsparteitag der AfD 2013 I Foto: Imago I Christian Thiel

Die AfD sei eine Partei von Professoren und Ökonomen, hieß es damals. Aber es war schon immer eine Partei, die auch Leute anzog, die glaubten, "die Politik da oben" interessiere sich mehr für Griechenland als das eigene "Volk". Menschen, die enttäuscht waren von den Hartz-IV-Reformen, die nicht verstanden, warum es Lehrstühle für Gender-Forschung gibt, aber kein Geld da ist, um die Grundschule ihrer Kinder zu sanieren. Nicht ein gemeinsames Ziel schweißte all diese Leute zusammen, sondern die gemeinsame Ablehnung. Gegen den Euro, gegen das Establishment, gegen Sprachverbote, gegen Genderwahn und Zuwanderung. Zu all diesen Leuten kam Götz Frömming aus Idealismus. Er glaubt, dass durch die AfD die Demokratie gerettet werden könne. Dass es dieser Partei gelingen würde, dafür zu sorgen, dass Politiker nicht mehr an den Bürgern vorbei regieren.

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Der Parteigründer Bernd Lucke wollte, dass die Partei wächst und verlor den Überblick, wer alles reinströmte. Die islamfeindliche Partei "Die Freiheit" machte Wahlwerbung für sie. Björn Höcke sagte, dass nicht alle Mitglieder der NPD extremistisch seien. Die sächsische AfD lud die Organisatoren von Pegida in den Landtag ein. Nur zwei Jahre nach der Gründung tritt Lucke aus seiner Partei wieder aus. Gleichzeitig mit ihm gehen – nach seinen Angaben – etwa 1.000 Mitglieder. Frömming bleibt. Mit der Zeit würden sich schon die Vernünftigen durchsetzen, meint er.

Frömmings Schule, das Lessing-Gymnasium, liegt im Wedding, ein Berliner Viertel mit 80.000 Einwohnern, das in anderen Teilen Deutschlands eine Stadt wäre. Die Hälfte dieser Menschen hat einen Migrationshintergrund, sie kommen aus der Türkei, aus Polen oder Afrika. Manche nennen den Wedding einen Problemkiez, angeblich gibt es sogar No-Go-Areas. Zwei Drittel der Kinder, die hier leben, sind von Hartz IV abhängig. Und dreimal so viele Senioren wie im Rest Berlins gelten als arm. Das Lessing-Gymnasium wirkt zwischen Thai-Imbiss und Döner-Laden fehl am Platz: ein denkmalgeschütztes Gebäude mit runden Toren und Säulen auf der Fassade. Von den Schülern, die dieses Gymnasium besuchen, spricht nicht einmal ein Viertel Deutsch als Muttersprache. Es sind Bezirke wie dieser, die die AfD normalerweise als Beweis anführt, dass sich Deutschland selbst abschafft, dass "Multi-Kulti" gescheitert ist.

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"Es ist süß zu sehen, wie gerade Mädchen mit Kopftuch sich extra stark schminken."

Götz Frömming sagt: Er habe mit keinem seiner Schüler ein Problem. Er denke gar nicht darüber nach, woher sie kommen. "Es ist manchmal ganz süß zu sehen, wie gerade Mädchen mit Kopftuch Wert auf ihr Aussehen legen, sich manchmal extra stark schminken." Er fährt mit den Schülern zum Surfen an die Ostsee. Die muslimischen Mädchen in seiner Klasse habe er so lange überredet, bis sie am Ende doch alle mitkamen. "Ich habe gesagt, ihr habt 'nen Surfanzug an. Der ist dick und so schwarz. Und dann waren sie dabei."

Gleichzeitig findet er, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Die einzelnen, integrierten Muslime zwar schon, aber der Islam als solcher nicht, das sei historisch falsch. Dann erzählt er – und jetzt wird seine Stimme noch ein bisschen leiser –, wie sich ein Junge in einer Schule, in der er früher unterrichtete, vor Gericht einen Gebetsraum erstritt. Wie sich Jugendliche auf dem Pausenhof zum Beten demonstrativ auf den Boden werfen würden, um damit ihre Macht zu demonstrieren. Er erzählt, wie in Schulen mit vielen Muslimen "stillschweigend" das Schweinefleisch abgeschafft werde. Und wie Schulleiter nicht-muslime Mädchen irgendwann bitten würden, sich "sittsamer" zu kleiden. Und obwohl sich solche Geschichten auch gut an so manchem NPD-Stammtisch machen würden, hört sich Frömming nicht nach aggressivem Rechten an. Seine Stimme ist einfach nur ernst. Er klingt wie ein Wissenschaftler, der einem einen exklusiven Einblick in eine Welt gibt, die einem sonst angeblich verschlossen bleibt. Für Götz Frömming sind solche Beispiele keine Einzelfälle, sondern Sinnbilder der Entwicklung des Landes. Und man fragt sich plötzlich, wer da spricht: Frömming, der besorgte Lehrer oder Frömming, der AfDler, der leicht verunsicherbaren Leuten Angst machen will.

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Ein Besuch an Frömmings Schule. Es ist der letzte Tag vor den Ferien, einer der wenigen Tage im Juli, an denen in Berlin die Sonne schien. Es ist vormittags, aber die Schüler laufen schon zur U-Bahn. Manche haben nicht einmal mehr eine Tasche dabei. Sie sagen, sie kommen aus Palästina, aus dem Irak, aus Pakistan und der Türkei. Fast alle kennen Frömming, fast alle finden ihn gut. "Er ist unserer Lieblingslehrer", sagt ein Mädchen mit dunklen Haaren. "Wir waren letzte Woche auf Klassenfahrt." "Wisst ihr, dass er bei der AfD ist?" Ja, sagen sie, aber es sei ihnen egal. "Er hat immer alle gleich behandelt", sagte eine, die ein Kopftuch trägt.

Lessing-Gymnasium in Berlin Wedding I Foto: Imago I Rolf Zöllner

Ein Junge mit Zahnspange erzählt, dass einmal Linke vor der Schule demonstriert hätten. Sie verteilten Flugblätter, auf denen ein Foto von Götz Frömming abgedruckt war, und forderten einen "Schulverweis" für den Lehrer. "Aber wir wollten alle, dass er bleibt."

Was ist so toll an ihm?

"Er ist locker", sagt er. Ein anderes Mädchen meint: "Sein Unterricht ist gut." Und ein Junge: "Er hat mir geholfen, dass meine Noten besser werden."

Götz Frömming ist offenbar ein guter Lehrer und ein Mensch, den viele für nett halten. Und er ist einer, den die AfD gut gebrauchen kann. Frömming kann die Leute beruhigen, wenn die Tagesthemen zum x-ten Mal von einem "Rechtsruck" innerhalb der Partei berichten. Kandidaten wie Frömming haben für jede Entgleisung ihrer Parteikollegen eine Entschuldigung. Wenn eine Beatrix von Storch nicht ausschließt, dass man an der Grenze auch auf Kinder und Frauen schießen solle, sei sie falsch verstanden worden. Wenn ein Björn Höcke vom 1000-jährigen deutschen Reich schwadroniert, habe er sich halt in Rage geredet.

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Frömming sagt, die Partei sei eben noch jung, müsse "Häutungen" durchmachen. Doch es gibt viele moderatere Parteimitglieder, die vor den rechten Parolen aus der Partei geflohen sind. Hans-Olaf Henkel, früher Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der die AfD mitgründet hat, zum Beispiel. Vor zwei Jahren sagte er über die AfD: "Wir haben ein Monster erschaffen." Heute will er sich nicht mehr zu Frömming oder der AfD äußern. In Sachsen-Anhalt haben bisher drei Mitglieder die Fraktion verlassen – aus Protest gegen den Rechtsruck in der Partei.

Warum bleibt Frömming? Er beantwortet diese Frage mit einer Gegenfrage: "Warum sollte ich gehen? Wollen Sie, dass am Ende nur noch die Radikalen übrig bleiben?" Gleichzeitig will sich Frömming für keine Seite innerhalb seiner Partei festlegen. Er sagt dann Dinge wie: "Uns alle verbinden große Gemeinsamkeiten." Oder : "Die eigentlichen Probleme liegen nicht innerhalb der AfD, sondern draußen in der Welt."

Wenn man das Wahlprogramm der AfD liest, bekommt man einen guten Eindruck, wie groß die Probleme der Welt und vor allem Deutschlands aus Sicht der AfD sind. Die Partei sieht das Land bedroht: vom Islam, von den Zuwanderern aus Afrika und durch Gender-Ideologen. An einigen Passagen des Wahlprogramms hat Frömming selbst mitgeschrieben. Unter anderem an einer, die sich nach Björn Höcke anhört, nachdem er ein Rhetorik-Seminar besucht hat. In diesem Absatz heißt es, dass es eine "Verengung, der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus" gebe. Diese müsse zugunsten einer Geschichtsbetrachtung aufgebrochen werden, die auch positiv identitätsstiftende Aspekte umfasse.

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Frömming findet, dass im Geschichtsunterricht ein zu großer Fokus auf der NS-Zeit liege. "Wenn nur ein, zwei Deutsche in der Klasse sitzen, fragen die Schüler sich: Warum machen wir immer nur den Holocaust?" Da gebe es ein Übergewicht, meint er. Stellt sich die Frage, ob das angesichts sechs Millionen ermordeter Juden und einem Krieg, der großte Teile der Welt überzog, nicht gerechtfertigt ist. Und ob einem Geschichtslehrer das nicht bewusst sein müsste.

Frömming klingt zwar gebildeter, kultivierter als die Höckes und Poggenburgs, aber meint er tatsächlich etwas anderes? Ist so jemand, der auf den ersten Blick sympathischer, freundlicher wirkt, nicht eigentlich gefährlicher als jemand, der von vornherein viele Menschen verschreckt? Und warum darf er trotzdem an einer Schule unterrichten und dort junge Menschen in ihrer Weltsicht beeinflussen?

"Auf der Silvesterparty sagte einer: Entweder du gehst oder ich."

In seiner Schule, sagt Frömming, würde er nicht über seine politische Arbeit sprechen. Nach den Ferien ist er bis zur Bundestagswahl beurlaubt. Gesetzlich sind verbeamtete Lehrer dazu verpflichtet, sich politisch zurückzuhalten. Wenn es nicht klappt mit der Kandidatur, kann Frömming in seinen Lehrerberuf zurückkehren. Denn die AfD ist nicht verboten.

Trotzdem finden es nicht alle gut, dass Frömming als AfDler vor der Klasse steht. Die Demo vor seiner Schule hätte schon ein paar Schüler irritiert, sagt er selbst. "Weil ich einen guten Draht zu den Schülern habe, war dann schnell wieder alles OK." Und bei einer Silvesterfeier habe mal ein Gast gesagt: "Entweder er geht oder ich", erzählt Frömming. Am Ende seien beide geblieben. "Nach ein paar Bier war es dann schon wieder gut. Man muss ja nicht immer die gleiche Meinung haben." Auch mit seiner Frau diskutiert er. Die ist in einem Flüchtlingsverein aktiv und ihr gefallen nicht alle Positionen der AfD, sagt Frömming. "Aber einmal haben wir sogar zusammen den ganzen Kofferraum voller Toilettenartikel gefüllt und sind zu einer Flüchtlingsunterkunft gefahren." Helfen sei ja in Ordnung, meint er. Dass die Flüchtlinge überhaupt nach Deutschland kommen durften, hält er trotzdem für falsch.

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