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Ich habe versucht, mein Leben mithilfe von Apps zu optimieren

Spoiler: Mein Hass auf die Informationsgesellschaft ist dabei gewachsen.
Apps zur Lebensoptimierung

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Wir leben in der Zeit der Apps. Diese nicht ganz so bahnbrechende Erkenntnis hatte ich, nachdem ich einen verkaterten Sonntag mit dem Bingen von 2 Minuten, 2 Millionen verbracht habe. Jeder zweite der Kandidaten, die in der Show um die Gunst und das Geld von reichen Menschen buhlen, hatte eine App entwickelt. Von denjenigen, die schließlich auch die heiß begehrte finanzielle Unterstützung eines der Investoren bekommen haben, hatten wahrscheinlich 80 Prozent eine lebensoptimierende App entwickelt.

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"Mittlerweile gibt es eine App für alles", sagt mir mein Mitbewohner (und Apple). Und er hat Recht, was nicht oft vorkommt. Bei einem Blick in die Suchergebnisse meines App-Stores unter den Schlagworten "Gesund", "Leben" und "Gesundheit" finde ich unzählige Apps, die meisten davon gratis. Ich selbst habe Apps bisher eigentlich nur gebraucht, um meinen Selbstdarstellungstrieb, meine Eitelkeit und mein Kommunikationsbedürfnis zu befriedigen.

Ich habe aber auch zugegebenermaßen kein optimales Leben. Ich nehme wahllos Nahrung zu mir—zu noch wahlloseren Zeitpunkten. Ich weiß absolut nicht, wie viele Zigaretten ich am Tag rauche. Ich mache nicht regelmäßig Sport. Von meinen Ausgaben und Einnahmen—außerhalb der Fixkosten—habe ich keine Ahnung. Genauso wie von meinem Schlafrhythmus oder meiner Alkohol- oder Wasserzufuhr.

Deshalb fand ich die Idee, mithilfe von Apps mein Leben zu optimieren, irgendwie gut. Ich bin jetzt auch nicht mehr 20, ich gehe arbeiten, ich habe Miete zu zahlen—ich bin quasi erwachsen, zumindest ein bisschen. Theoretisch kann ich nicht auf die Miete scheißen, weil ich dann in den Häfn komme, praktisch möchte ich es auch nicht—was mich meiner Meinung nach als "erwachsen" qualifiziert.

Weil aber immer noch ein bisschen mehr geht, wollte ich besser, reifer und kontrollierter leben—viele Apps versprechen genau das. Also habe ich beschlossen, eine Woche lang lebensoptimierende Apps zu testen. Bei der Auswahl der Apps bin ich nach zwei Kriterien vorgegangen: Ich habe jeweils die App ausgewählt, die auf den ersten Blick die bessere Bewertung hatte und gratis war. Dass es für alle Bereiche auch Hundert andere Apps gibt, muss ich hoffentlich nicht extra dazusagen.

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RAUCHEN 2.0: SMOKEFREE

Ich wollte nicht sofort mit dem Rauchen aufhören, sondern erst einmal herausfinden, wie schwer nikotinsüchtig ich eigentlich bin und diese Sucht dann runterschrauben. Um komplett mit dem Rauchen aufzuhören bräuchte ich vollste Konzentration und ziemlich sicher länger als eine Woche.

Klar, ich könnte auch einfach mitzählen. Aber wer tut das schon betrunken oder wenn er unterbewusst und aus Langweile schnell eine raucht? Ich zumindest nicht. Die erste Info, die die App von mir wollte, war, wie viele ich denn zirka rauche und auf wie viel ich reduzieren möchte. Mehr aus Selbstliebe als aus Realismus habe ich am ersten Tag 20 Zigaretten angegeben und wollte diese Anzahl nun um fünf Tschick reduzieren.

Später hat sich herausgestellt, dass ich eigentlich maximal acht Stück am Tag rauche. Also habe ich an Tag zwei zehn Zigaretten angegeben, mich im Zuge dessen selbst beschissen und wieder angegeben, dass ich mein Tagespensum auf fünf reduzieren wollte. Auf die technischen Details der App will ich nicht eingehen, aber grundsätzlich kann man mit einem Handgriff der App die Information geben, dass man jetzt gerade raucht.

Dann geht ein dramatischer Timer los, unterlegt mit rotem Hintergrund. Erst, wenn das Handy bimmelt und der Hintergrund grün ist, dürfte man eigentlich wieder rauchen. Kurz gesagt: Ab Tag drei bin ich durcheinander gekommen und ab Tag vier habe ich die App—trotz mehrerer Reminder, dass ich jetzt rauchen könnte—nie wieder geöffnet.

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ESSEN 2.0: MEIN DIÄT-TRAINER

Eine Diät steht—genau wie all die anderen lebensoptimierenden Aktivitäten—ganz oben auf meinem Plan: Ich könnte mich definitiv besser ernähren und ich könnte auch mehr Ahnung und Kontrolle haben.

Was mir an der App gefallen hat: Diese App ist nicht so durstig nach Information und wenn sie es ist, dann verbindet sie es mit Gaming. Ich konnte selbst wählen, ob ich Lust habe, Sportübungen zu machen oder ob ich mehr Wasser trinken will. Wenn ich das gemacht habe, habe ich Punkte gewonnen, mit denen ich meinen sehr hässlichen und schlecht gezeichneten Avatar anziehen konnte.

Das Punktesammeln habe ich mal gut, mal weniger gut geschafft. Gefühlt alle fünf Minuten hat mein Handy wegen der App geklingelt—aber das hätte ich sicher ausmachen können, ich war nur zu faul. Von allen Dingen, die ich gewählt habe, habe ich es längerfristig nur geschafft, bewusst Wasser zu trinken. Die anderen Tasks wie "Am Tisch Essen" oder "Hälfte des Tellers mit Gemüse füllen" habe ich nur bedingt geschafft. Genau genommen gar nicht, außer an Tag eins.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ohne diese App-Kontrolle mehr Wasser getrunken habe.—ben unterbewusst. Das ist neben der Sinnlosigkeit mein zweites generelles Problem mit diesen Apps: Wenn ich diese Dinge an eine App abgebe—wie eben die Wasserzufuhr—dann wird mir relativ bald suggeriert, dass ich ohne diese App nie Wasser getrunken hätte. Aber das ist Blödsinn. Bis dato habe ich ja auch überlebt, ich habe nur nicht gewusst, wie genau.

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An alle Menschen, die ein übersteigertes Appetit-Gefühl haben und damit wirklich abnehmen möchten: Ich weiß nicht, ob eine App das Appetit-Gefühl wegzaubert und vor allem glaube ich nicht an den gesunden Faktor dieses Unterfangens.

LIEBE 2.0: TINDER

Ich hatte ein paar belanglose Gespräche mit scharfen Typen. Zum Daten bin ich nicht gekommen, weil es keine App für mehr Stunden am Tag gibt. Außerdem hasse ich Blind Dates noch immer, anregende oder erregende Tinder-Gespräche hin oder her. Verliebt habe ich mich nicht. Sexhäufigkeit bleibt dieselbe.

TRINKEN 2.0: ALCODROID ALKOHOL-KONTROLL-PROGRAMM

Diese App funktioniert ähnlich wie die Rauch-App: Ich gebe meine Infos ein und die Maschine spuckt Daten und Grafen zu meinem Verhalten aus. Die gute Nachricht: Es hat sich herausgestellt, dass ich unter der Woche tatsächlich nichts trinke. Die schlechte Nachricht: Laut der App bin ich am Freitag mit über zwei Promille nach Hause gegangen.

Ich weiß nicht, ob ich das bestätigen kann, da ich die App ziemlich betrunken am Heimweg mit Infos gefüttert habe. Es kann sein, dass ich meine Alkoholmenge überschätzt habe—oder auch, dass ich ein paar Drinks vergessen habe. Ich weiß noch, wie ich nach Hause gekommen bin und mich sehr geärgert habe: Ja, ich weiß jetzt, wie besoffen ich zirka war—aber wozu?

Ich verstehe schon: Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Daten über sich zu sammeln, ist gerade ziemlich hip. Diese Daten über sich auszuwerten und daraufhin sein Verhalten zu kontrollieren, ist die normale und menschliche Reaktion auf diese Information. Ich esse ja auch keine Giftbeeren, wenn ich die Information habe, dass sie giftig sind. Vielleicht wäre es besser, wenn ich während des Trinkens jedes Getränk live mitgeschrieben hätte—aber dann werde ich das Label "handysüchtig" wirklich nie wieder los.

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GELD 2.0: MEINE FINANZEN

Diese App hat mir sogar ein bisschen Spaß gemacht. Ich bin draufgekommen, dass die Hälfte meiner Ausgaben nicht für Spaß draufgehen, sondern direkt an meinen unfreundlichen Pizza-Lieferanten. Oder in das Investment meiner zwei Promille.

Die App lasse ich installiert—ich könnte das alles zwar als Notiz speichern, aber dadurch, dass das Programm sofort wissen will, wofür ich mein Geld ausgegeben habe, gehorche ich und füttere sie sofort mit Infos. So erscheint mir ein wunderschönes Torten-Diagramm, das mir genau zeigt, wie gestört ich mit Finanzen umgehen.

Außerdem finde ich, dass so etwas Rationales wie Geld mit einer App zusammenpasst und diese Kombination wirklich hilfreich sein kann. Im Gegensatz zu Schlaf, Liebe oder meiner Ernährung—wo mir eher mein Körper mehr sagen sollte, wann er was möchte, und nicht eine App.

SCHLAFEN 2.0: SLEEP BETTER

Jetzt kommen wir zu meinem persönlichem Highlight des Informations- und Datensammel-Wahns der heutigen Zeit. Diese App habe ich jede Nacht verwendet. Und ich habe jetzt Grafen von sieben Nächten vor mir—samt der Informationen dazu, wann meine Tiefschlafphasen waren, wann ich wach und wann ich im Leichtschlaf war. Ich bin in der Nacht mit dem Handy schlafen gegangen und mein erster Kontakt in der Früh war das Handy.

Die App funktioniert zwar einwandfrei, aber mir entzieht sich der Sinn des Ganzen.

Die Schlaf-App ist mein gehyptes Highlight dieses Experiments. Gehypt deswegen: Niemand stellt diese Frage in der Bewertung (Die Frage wäre: Wozu brauche ich diesen Scheiß?) und meine Freunde, die sie Nacht für Nacht benutzen, können mir auch keine Antwort geben.

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Diese App präsentiert sich professionell und nützlich und nicht als lustiges, unnötiges Spielzeug. Wenn jemand die Antwort für mich hat, warum ich wissen sollte, wie genau ich nachts schlafe—samt Phasen in Minuten angegeben—,der möge sich bei mir melden. Schlafwandler ausgeschlossen. Ich check's nicht. Aber ich trinke an einem normalen Freitag auch Alkohol im Wert von zwei Promille. Vielleicht liegt es ja daran.

FAZIT

Grundsätzlich hat mir das App-Experiment gezeigt, dass mein Akku voll belastet ist, mein Handy vom Vibrieren nicht müde, sondern nur leer werden kann und mein Speicherplatz Grenzen hat. Aber auch, dass man nicht automatisch am Handy hängt, wenn man sein Leben ein bisschen verbessern möchte. Und, dass Gratis-Versionen nur dazu da sind, dich süchtig zu machen, damit du dir die Vollversion kaufst.

MOTHERBOARD: Werden wir bald den Auto-Verschönerungs-Apps verfallen?

Wenn man sich etwas vornimmt—und zwar wirklich und echt im Real Life—dann kann eine App eine gute Unterstützung sein. Aber ich bin nicht der Meinung, dass ich für jeden Blödsinn die ausführlichen Informationen brauche, die die Lebensoptimierungs-Apps mir liefern. Ich genieße mein "unbewusstes" Leben auch ein bisschen.

Für mich war spannend, zu sehen, wie gut ich bis jetzt ohne die Apps ausgekommen bin. Ich trinke nicht bewusst Wasser—aber die Menge, die die App mir vorschrieb, war zu wenig Flüssigkeit für mein Gefühl. Ich habe geschlafen wie immer—gut und ohne festen Partner.

Es kann aber auch erleuchtend sein, zu sehen, wie viel einem ein wenig Struktur bringen kann: Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass ich keine so starke Raucherin bin, wie ich dachte und dass ich eher eine Binge-Trinkerin und keine Spiegel-Trinkerin bin. Wo mein Geld hin verschwindet, weiß ich auch (und es sind definitiv nicht die empfohlenen In-App-Käufe). Nur ob ich mir auch eine Kochrezepte-App runterlade, überlege ich mir noch. Vielleicht mit Hilfe der "Mindmap"-App.

Fredi auf Twitter: @Schla_Wienerin