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Ein Lügendetektor hat mir gezeigt, dass Schwarz-Weiß-Denken grundlegend falsch ist

In meinem Heimatland Serbien sind Lügendetektoren gerade der letzte Schrei. Mit einem wie aus Stein gemeißelten Pokerface wollte ich mich da natürlich auf die Probe stellen.

Slobodan nimmt mich in die Mangel. Alle Fotos: Lazara Marinkovic

In meinem Heimatland Serbien sind Lügendetektoren gerade der letzte Schrei. Egal ob Politiker nun den Einsatz von Abhörgeräten abstreiten oder Ehemänner ihre Treue beweisen wollen, viele Serben sehen das Ergebnis eines solchen Tests als die ultimative Wahrheit an. Rein gesetzlich betrachtet ist das natürlich nicht der Fall.

„Jeder will das mal ausprobieren", erzählt mir der Privatdetektiv Slobodan Zecevic am Telefon. Und er sollte es wissen. Als Ex-Mordkomissar der serbischen Polizei hat Slobodan die letzten zehn Jahre damit zugebracht, das erste Detektivbüro Belgrads zu leiten, in dem auch ein Lügendetektor steht. Bis dato haben sich bei ihm schon gut 19.000 Leute dem Test unterzogen und die meisten davon sind dabei völlig ahnungslos, wie das Ganze eigentlich funktioniert.

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„Vor Kurzem habe ich irgendwo gelesen, dass man mit einem Lügendetektor auch den Blutdruck messen kann. Das stimmt nicht. Die Grundlage eines solchen Tests ist die Kunst der Gesprächsführung. Und die ist gar nicht so einfach zu erlernen—vor allem wenn das Ziel der Unterhaltung ein Geständnis ist", erklärt er mir.

Obwohl ich nichts zu gestehen habe, frage ich Slobodan, ob ich mich dem Test auch mal unterziehen kann. Ich würde mich jetzt nicht als gute Lügnerin bezeichnen, aber ich weiß doch, wie ich meinen Gegenüber reinlege. Mein Pokerface ist wie in Stein gemeißelt, aber meine Handflächen werden leider immer feucht. Ich glaube jedoch auch, dass schweißnasse Hände den Gesprächsverlauf nicht unbedingt beeinflussen. Slobodan erklärt mir, dass der Test vor allem aus einer Reihe an Fragen besteht—einige davon relevant, andere wiederum nicht. Der Schlüsselbegriff hier lautet Vergleichs- bzw. Kontrollfragen. Ich habe dabei keine Ahnung, in welcher Reihenfolge die Fragen gestellt werden.

Slobodan analysiert die Ergebnisse.

Ein paar Tage später schaut Slobodan schließlich mit seinem Lügendetektor unterm Arm im serbischen VICE-Büro vorbei. Ich habe mich in keinster Weise auf den Test vorbereitet, also weder Alkohol noch irgendwelche Beruhigungsmittel konsumiert und auch nicht nach Möglichkeiten gegoogelt, wie man bei einem Lügendetektortest schummelt. Ich glaube, dass ich als Kontroll-Freak in der Lage bin, mich zusammenzureißen und jede Frage nach Belieben zu beantworten. Slobodan zufolge ist es jedoch unmöglich, den Lügendetektor zu überlisten. „Ja, manche Menschen können vielleicht besser lügen als andere, aber das tut hier nichts zur Sache. Flunkern ist hier nicht drin", versichert er mir.

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Nun, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Die ganze Prozedur beginnt mit einem Probelauf, bei dem mir acht Fragen gestellt werden.

Slobodan Zecevic: Arbeitest du bei VICE?
Ich: Jap.

Fährst du mit dem Auto zur Arbeit?
Nein. Nun, eigentlich schon. Ich bin aber nur Beifahrerin.

Lebst du alleine?
Ja.

Magst du deine Redakteurin?
Ob ich sie mag? Ernsthaft?

Würdest du jemals den Arbeitsplatz wechseln?
Moment mal.

Das Ganze wird mir doch ein wenig unangenehm. Ich frage Slobodan, ob ich einige Fragen auch mit einem Vielleicht beantworten könnte. Er verneint meine Bitte, was mich in eine ziemlich beschissene Situation manövriert, weil ich doch unentschlossener bin, als ich immer gedacht habe.

Ich nehme an, dass das bei vielen anderen Leuten genauso ist, denn die Ergebnisse solcher Tests haben vor Gericht keine Gültigkeit und sind bei polizeilichen Ermittlungen nur eine Art erster Eindruck. „Als ich noch Polizist war, habe ich auch in Fällen ermittelt, in denen der Verdächtige den Test zwar nicht bestanden hat, aufgrund der mangelhaften Beweislage aber trotzdem wieder freigelassen werden musste", erzählt Slobodan.

Das Zubehör

Schließlich ist es an der Zeit für die erste richtige Fragerunde. Slobodan schnallt mehrere Gürtel um meinen Oberkörper, um meine Atmung messen zu können. Außerdem installiert er ein Gerät, dass den sogenannten psychogalvanischen Reflex aufzeichnet. Alle Vorrichtungen werden dann noch mit seinem Computer und dem Lügendetektor verbunden.

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Ich habe Slobodan vor dem Test noch nie gesehen. Wir haben nur ein paar Mal telefoniert und einige E-Mails hin- und hergeschrieben. Außerdem habe ich nichts geklaut, also habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen. Diebstahl ist übrigens der häufigste Grund für einen Lügendetektortest.

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„In vielen serbischen Arbeitsverträgen steht, dass man einen Lügentest machen muss, wenn der Arbeitgeber das verlangt. Genau deswegen werde ich oft von vielen Restaurants oder Banken angerufen. Ich soll dann verdächtige Angestellte ins Kreuzverhör nehmen", erklärt mir Slobodan.

Der zweithäufigste Testgrund ist dann natürlich die Liebe. „Solche Fälle mag ich gar nicht. Ich zerstöre damit nämlich oft Beziehungen. Manchmal kann das dann auch richtig gefährlich werden. Eifersucht ist die Hölle", fährt er fort. Manchmal nennt Slobodan neugierigen Pärchen auch einen viel zu hohen Preis, nur um sie loszuwerden.

„Außerdem befrage ich keine Kinder unter 14. Und da lasse ich nicht mit mir reden. Oftmals schleppen Eltern hier ihre Sprösslinge an und wollen sie testen lassen. Dabei geht es meistens um zwei Dinge: Geld und Drogen", erzählt er mir.

Die nächste Fragerunde beginnt damit, dass Slobodan mich anweist, still dazusitzen und meine Beine nicht zu überschlagen.

Arbeitest du bei VICE?
Ja.

Fährst du mit dem Auto zur Arbeit?
Nein.

An dieser Stelle schlägt der Lügendetektor zum ersten Mal aus. Warum sollte man jedoch beim Thema Auto lügen? Und ich sage auch wirklich die Wahrheit. Nur ist es eben so, dass ich nicht selber fahre, sondern im Auto eines Freundes sitze. Ich fange an zu lachen.

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Lebst du alleine.
Ja.

Anscheinend lüge ich erneut. Slobodan fragt mich, ob ich mir sicher bin. Langsam nervt mich die ganze Sache ein wenig, denn von zusätzlichen Fragen war niemals die Rede. Ich erzähle Slobodan von meiner Katze, aber er meint daraufhin nur, dass er sich sicher ist, dass ich lüge. Jetzt lache ich lauthals los. Ich bin verwirrt—als ich an diesem Morgen meine Wohnung verließ, war niemand drin. Die einzige Erklärung, die mir einfällt, ist die, dass ich vor Kurzem darüber nachgedacht habe, nach einem Mitbewohner zu suchen.

Magst du deinen Job?
Ja.

Scheiße, noch ein Ausschlag. Ich versuche, ruhig zu bleiben—so wie es mir gesagt wurde. Allerdings überschlage ich aus Versehen meine Beine und werde deswegen auch gleich angeschnauzt. Anscheinend behindert diese Körperhaltung den Blutfluss und wirkt sich damit auch auf das Gerät aus.

Magst du deine Redakteurin?

Mögen? Ich weiß immer noch nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Ja, natürlich mag ich sie, aber manchmal kotzt sie mich auch richtig an. Ich bin mir jedoch sicher, dass ich sie auch manchmal zur Weißglut bringe. Das Ganze hat jedoch nichts damit zu tun, ob ich sie mag oder nicht. OK, ich mag sie und beantworte die Frage deshalb mit Ja.

Diese Antwort resultiert in dem bis dato größten Ausschlag des Lügendetektors. Slobodan hält sich nicht zurück und beschuldigt mich direkt, meine Redakteurin nicht zu mögen. Vielleicht hätte ich meine Beine nicht überschlagen sollen? Leider wartet besagte Redakteurin, die ich scheinbar hasse, auf diesen Artikel und deshalb gibt es kein Zurück mehr.

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Würdest du vertrauliche Informationen an die Konkurrenz verkaufen?
Nein.

Zum Glück schlägt die Maschine hier nicht aus.

Magst du deine andere Redakteurin?
Was sollen denn diese Fragen? Natürlich mag ich sie. Sehr sogar.

Und schon wieder gibt es einen Ausschlag. Ich habe keine Ahnung, was hier eigentlich los ist.

Würdest du deinen Job kündigen?
Geht es hier um diesen Job bei VICE oder allgemein um Journalismus? Aber nein, ich würde nichts davon aufgeben.

Dreimal dürft ihr raten, wie die Maschine reagiert. So langsam werde ich richtig wütend.

Hast du etwas gegen deinen Chefredakteur?
Nein!

Alles gut.

Meine Ergebnisse

Normalerweise dauert der Frageteil ungefähr 30 Minuten, aber ich bin schon nach 15 durch. Slobodan zeigt auf eine kurvige Linie, die sein Laptop anzeigt, und meint, dass da alles drunter und drüber geht.

„Ein heilloses Durcheinander", sagt er. Hätte es sich hier um eine richtige Befragung gehandelt, dann wäre aufgrund meines ständigen Lachens und des Überschlagens meiner Beine eine Wiederholung nötig gewesen. „Auf dem Polizeirevier hätte ich dich zurück in deine Zelle geschickt und dann am nächsten Tag erneut befragt."

Er schätzt, dass ich den Lügendetektor überlisten wollte, dabei aber gescheitert bin. Ich weiß nicht, wo ich gescheitert sein soll, denn Slobodan hat ja nichts über mich in Erfahrung gebracht. Ich frage ihn, ob es möglich ist, Menschen dahingehend zu manipulieren, dass sie Dinge sagen, ohne darüber nachzudenken.

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„Natürlich. Ich kann Leute dazu bringen, alles zu gestehen. Fällt dir zum Beispiel auf, wie ruhig meine Stimme gerade ist?", fragt er. Und es stimmt, seine Stimme ist tatsächlich total ruhig—ein himmelweiter Unterschied zu dem Ton, den er drauf hatte, als er mich zu der Person befragt hat, mit der ich angeblich zusammenwohne. „Allein durch die Stimmlage und die Lautstärke kann man ein Geständnis erreichen."

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Abgesehen von meinem Lachen und meiner Gegenwehr ist mein Test laut Slobodan auch so chaotisch ausgefallen, weil die Fragen so schlecht definiert waren und wir uns nicht gut kennen. „Es ist doch ziemlich wichtig, sich der Situation der befragten Personen bewusst zu sein und ein Gefühl für deren Vokabular zu haben. Bei Kriminellen liegt der Schlüssel in ihren Slang-Ausdrücken, während man bei Beziehungsproblemen vor allem auf die Lage der Befragten achten muss—zum Beispiel, ob sie arbeitslos geworden sind oder ein Alkoholproblem haben. Der wichtigste Aspekt des ganzen Prozesses ist jedoch die Erfahrung des Fragestellers. Es ist unmöglich, einen erfahrenen Fragesteller reinzulegen", erklärt er mir.

Ich frage Slobodan, was ihm an seiner Arbeit gefällt. „Aufeinanderprallende Meinungen", antwortet er mir.

Ich persönlich habe bei dem Experiment vor allem eins festgestellt: Ich hasse Lügendetektortests, denn es ist unmöglich, sein Leben komplett schwarz-weiß zu beschreiben. Ich glaube nicht, dass ich das Ganze noch mal probieren würde, aber falls es doch soweit kommen sollte, kann ich ja immer noch meine Beine überschlagen.