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Mein streng geheimes Treffen mit einem Drogenboss von Silk Road

Nach sechs Monaten Verhandlungen über verschlüsselte E-Mails willigte der Boss der Scurvy Crew—einem der bekanntesten Drogensyndikaten im Deep Web—ein, mich zu treffen. Mir nur unter seinem Pseudonym Ace bekannt, behauptet der Boss einer neuen Form von...

Scurvy Crews spanisches Opium

Dread Pirate Roberts führte ein Schiff, das von vielen für unsinkbar gehalten wurde. Doch als das FBI am 1. Oktober 2013 die Internetplattform Silk Road sperrte und ihren mutmaßlichen Drahtzieher, den 29-jährigen Ross Ulbricht, verhaftete, begann das Online-Drogenimperium zu kentern. Die unzähligen Kunden verstreuten sich im Deep Web und bis zu sieben bekannte Silk-Road-Verkäufer wurden identifiziert und verhaftet. Während das Chaos langsam in den Mainstream durchsickerte und Geschichten über angebliche Auftragsmorde von Dread Pirate Roberts (DPR) für Schlagzeilen sorgten, stand ein prominentes Silk-Road-Drogensyndikat mit Unmengen Opium in einem europäischen Unterschlupf vor einer Entscheidung: Sollten sie, solange es noch möglich war, der Sache ein Ende machen und verschwinden? Oder sollten sie ihr lukratives Online-Drogennetzwerk trotz der gesteigerten Aufmerksamkeit weiterführen? Das heimatlose Drogensyndikat, im Deep Web als The Scurvy Crew (TSC) bekannt, entschied sich für Letzteres. So wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Bitcoins wurden wieder gewaschen, Drogen wurden wieder vakuumverpackt und die marokkanische Grenze wurde weiterhin mit Taschen voll von ungestreckten Drogen passiert. Durch den Zugriff der Behörden starb Silk Road einen plötzlichen Tod, doch die Scurvy Crew, die vor der Intervention des FBI einer der führenden Händler war, nutzte die Umstände, um sich breiter aufzustellen. Nachdem ich sechs Monaten lang über verschlüsselte E-Mails und verschiedene Wegwerf-SIM-Karten Verhandlungen geführt hatte, erklärte sich der Chef der Scurvy Crew zu einem Treffen mit mir bereit. Er wollte mir die internen Abläufe seines Drogenunternehmens im Deep Web erklären: von den bescheidenen Anfängen bis zu den mittlerweile wohl fast millionenschweren Gewinnen. Der mir nur unter dem Pseudonym „Ace“ bekannte Chef des Unternehmens betrachtete sich als einen neuartigen Typus Drogendealer. „Ich mache das nicht nur fürs Geld“, schrieb er mir in einer E-Mail. „Ich mag es, erstklassigen Service anzubieten.“ Ace erklärte sich zu einem Treffen bereit, um zu beweisen, dass der professionelle Drogenhandel im Deep Web nur durch ein Netzwerk aus komplexen, ungewöhnlichen und sogar seriösen Tätigkeiten möglich ist—und eben nicht die Unterwelt linkischer Auftragsmörder und Bitcoin-Betrüger darstellt, auf die sich die Medien mit Vorliebe konzentrieren. Ich wollte einen Artikel darüber schreiben, wie man ein erfolgreicher Geschäftsmann bei Silk Road wird, und Ace war genau der Richtige dafür. Außerdem ist Ace wahrscheinlich der Letzte, der mit Ross Ulbricht gechattet hat, bevor dieser im Oktober in einer Bücherei in San Francisco verhaftet wurde. Mir wurde ein bestimmter Ort auf dem europäischen Festland genannt, zu dem ich fliegen sollte, und ich musste mich außerdem einer eingehenden Überprüfung unterziehen lassen, bevor ich Ace treffen durfte. Er fragte nach meinem vollständigen Namen, meinem Geburtsdatum, nach den Flugnummern, den Ankunftszeiten, meiner Passnummer, der Hoteladresse und sogar nach dem Verkehrsmittel, mit dem ich vom Flughafen zum Hotel kommen würde. Ich übermittelte ihm die geforderten Informationen und erfuhr, dass Mitarbeiter der Scurvy Crew meine Angaben „durchgehen“ werden. Nach ein paar Tagen Stille wurde ich wieder von der Scurvy Crew kontaktiert. Diesmal lautete die Botschaft der unverschlüsselten Nachricht: „Bewege dich nicht vom Flughafen weg, bis du weitere Anweisungen bekommst.“ Die Sache schien ziemlich ominös, doch ich beschloss trotzdem, zum vereinbarten Ort zu fliegen und abzuwarten. Am Flughafen angekommen tat ich, wie mir befohlen worden war, und wartete auf einen Anruf von der Crew, die in den Anfangstagen von Silk Road angeblich 30 Prozent des Geldes machte, das durch die Geschäfte auf der Seite die Besitzer wechselte. Nach 20 Minuten klingelte mein Telefon. Es war Ace. „Geh zum nächsten Bahnhof“, sagte er, „meine Jungs sind in der Nähe.“ Ich verließ den Flughafen und begab mich in Richtung des Zuges. Als dieser abfuhr, rief mich Ace noch einmal an, um mir zu bestätigen, dass seine Jungs gesehen hätten, wie ich in den Zug gestiegen sei, und dass soweit alles glattliefe. „Einer von meinen Leuten ist mit dir im Zug.“ Fünf Minuten später kam ein neuer Anruf. Ace wies mich an, an der nächsten Station auszusteigen und zu einem nahegelegenen Platz zu gehen. Dort saß ich ein paar Minuten lang herum und versuchte zu raten, wer von den ganzen Menschen um mich herum der Scurvy-Crew-Mann sein könnte, der mich beschattete. Ein weiterer Anruf. Ace.

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„OK, ich kann dich jetzt sehen“, sagte er. „Wenn ich zu dir komme, sag einfach nur ,Hi‘ und folge mir.“ Sekunden nach dem Telefongespräch näherte sich mir ein großer, aber ansonsten unauffälliger weißer Typ im Alter von ungefähr 35 Jahren und nickte mir zu.   „Ace?“, fragte ich. Der Mann grinste und schüttelte mir die Hand, während ich nicht über die Tatsache hinweg kam, dass er eher wie ein verkaterter Steuerberater als ein typischer Drogenboss aussah. Ungefähr 15 Minuten lang lief ich Ace in einen abgelegeneren Teil der Stadt hinterher, wo wir schließlich in einer kleinen schäbigen Bar landeten, vor der ein paar Tische und Stühle standen. Ace forderte mich auf, meine Tasche auf einem Tisch auszuleeren. Ich öffnete meinen Rucksack und schüttete meine Sachen aus. Er durchsuchte meine zerknitterten Hemden und Notizblöcke, prüfte das Innenfutter meines Rucksacks und verlangte meinen Pass und mein Telefon. Er nahm den Akku heraus und sah sich meinen Pass an—wahrscheinlich um zu sehen, ob die Nummer, die ich ihm im Vorhinein gegeben hatte, mit der abgedruckten übereinstimmte. Nach ein paar Minuten genauer Sicherheitsüberprüfungen erkannte Ace erfreut, dass ich derjenige war, der ich zu sein behauptete. „Es hat nichts mit dir zu tun“, sagte er. „Man kann in dieser Branche nicht vorsichtig genug sein.“ War er aber auch der richtige Ace? Oder war er nur einer seiner Lakaien, der versuchte mich hereinzulegen? Um zu beweisen, dass er der war, der er zu sein vorgab, packte er einen kleinen Laptop aus und loggte sich mit dem PGP-Schlüssel ein, über den wir seit Monaten kommuniziert hatten. Außerdem loggte er sich in das Nutzerkonto von Scurvy Crew auf der neuen Silk-Road-Seite ein—auf Silk Road 2.0, einer am 6. November ans Netz gegangenen Nachbildung, die angeblich von den ehemaligen Mitbetreibern der Originalseite unterhalten wird. Auch wenn die Seite ihren Zweck erfüllt, ist Silk Road 2.0 von Fehlern, Bitcoin-Diebstahl, internen Dramen und Hacking-Versuchen geplagt. Dennoch scheint sie noch immer die Hauptanlaufstelle für den Drogenhandel im Deep Web zu sein. Das wird auch schnell deutlich, als Ace mir seine scheinbar unendlich lange Bestellliste für den Tag zeigt—Anfragen nach spanischem Opium, marokkanischem Hasch und LSD-Kristallen erstrecken sich über mehrere Seiten. Ich wollte wissen, wie dieser Typ dazu gekommen ist, eine Silk Road-Berühmtheit zu werden und einen derartig florierenden, internationalen Drogenhandel aufzubauen. Ace krempelte seine Ärmel hoch, blickte misstrauisch in der Bar umher und setzte sich mir gegenüber hin. Während er mir seine Geschichte erzählt, wandelt sich sein Benehmen. Er schlüpft in die Rolle eines Fachmanns, der weiß, wovon er spricht. Als wäre er ein reicher Glücksspieler, der seine komplexen Gewinnstrategien erläutert.

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LSD der Scurvy Crew

Es stellte sich heraus, dass Ace seine Drogenkarriere auf ziemlich traditionelle Weise begonnen hat: als kleinkrimineller Straßendealer. „Ich und eine Gruppe Jungs haben in einer europäischen Stadt [mit Drogen gedealt]. Das müsste jetzt ungefähr vier Jahre her sein“, erzählte er mir. „Wir haben das verkauft, was alle haben wollten—Kokain, Weed, Pillen. Wir waren ein Gruppe von vier Läufern. Ich habe sie organisiert und die Vorräte aufgestockt. Irgendwann wurde einer der Jungs verhaftet, dann noch einer, und wir kamen zu dem Schluss, dass es in dieser Form ein zu kostspieliges Geschäft war. Wir haben also eine Pause gemacht. Jeder ging seinen eigenen Weg und wir fingen an, unseren Lebensunterhalt auf legalere Weise zu bestreiten.“ Dieser legalere Weg langweilte Ace jedoch schon bald und so ging er mit den Gewinnen seines vorherigen Jobs auf Reisen. 2011, ein paar Jahre später, lockte es ihn zurück in den Drogenhandel, nachdem er über eine Gruppe australischer Touristinnen, die er in Spanien kennengelernt hatte, von Silk Road erfahren hatte. „In Australien ist es schwierig, vernünftige Drogen zu einem vernünftigen Preis zu bekommen, deshalb haben die Mädchen oft [Silk Road] genutzt“, sagte er. „Ich habe daraufhin die Idee [, im Deep Web zu dealen,] in Betracht gezogen und dann um die vier Monate recherchiert. Ich habe einige Einkäufe getätigt und gesehen, dass das Ganze eine tragfähige Option war. Dann habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was ich verkaufen könnte. Damals war ich in Spanien, wo Bayer ja bekanntlich auf streng kontrollierten Feldern Opium anbaut, die von privaten Sicherheitsdiensten schwer bewacht werden.“ Ace sprach tatsächlich von dem bekannten, deutschen Pharmakonzern Bayer, dessen Chemiker ironischerweise die ersten waren, die in den späten 1890er Jahren Heroin herstellten und vermarkteten. Ace behauptet, aus zuverlässiger Quelle zu wissen, dass das Unternehmen in Spanien noch immer hochwertiges Opium anbaut und es für einige seiner Produkte verwendet. Bei meinem Versuch, Aces Behauptung von Experten bestätigen zu lassen, erzählte mir ein Drogenforscher, dass dies in der Tat nicht ganz abwegig sei. Angeblich kaufen Pharmaunternehmen über Drittparteien Mohnblumen aus der ganzen Welt ein, aus denen sie für wissenschaftliche oder medizinische Zwecke Opium extrahieren. Als ich Julien Little kontaktierte, den Sprecher von Bayer in Großbritannien, sagte er mir, dass der Konzern zwar selbst kein Opium anbaut, es aber „möglich [ist], dass Bayer streng überwachten Vertragsanbau nutzt“, um Opium zu kultivieren. Es ist also gut möglich, dass Ace auf eine solche Ernte gestoßen ist. Aufgrund des unglaublich hochwertigen Opiums und der bewaffneten Wächter, die ihm zufolge die Mohnfelder bewachten, war er sich sicher, dass er ein Lager eines professionellen Pharmalieferanten gefunden hatte, auch wenn dies nicht hundertprozentig nachgewiesen werden konnte. „Um solche Felder zu finden, muss man die Nachrichtenmeldungen verfolgen, die [darüber] veröffentlicht werden. Dann musst du entweder Reporter bestechen, um die Orte herauszufinden, oder du musst bestimmte Bauern kennen“, erklärte er. „Sobald du ungefähr weißt, wo die Gegend ist, fährst du dort herum, wenn die Blumen blühen, und kommst dann zwei Monate später wieder, wenn die Mohnblumen grün und die Blütenblätter abgefallen sind.“ Ausgerüstet mit seinem neuen Wissen über Silk Road, einer Machete und einem Sack beschloss Ace 2011 eines Nachts, dass er das Risiko auf sich nehmen und sich in eines dieser Felder einschleusen wollte. Nachdem er eine Nacht lang durch Dreck und Mohnhalme gekrochen war, kam er mit einer beträchtlichen Menge an Opium nach Hause, das er nur noch extrahieren musste. Dieses wollte er schnell auf Silk Road verkaufen und dadurch bescheidene, aber stetige Gewinne einfahren. Um keine Aufmerksamkeit auf sein neues Metier zu ziehen, gründete er ein kleines Unternehmen mit beschränkter Haftung, in dem er seine Bitcoins waschen konnte. Schon ach einem Monat war Ace total begeistert. Silk Road sollte sein persönliches Schlachtfeld gegen den War on Drugs werden. Um der hohen Nachfrage nachzukommen, stellte er schließlich ein paar Freunde vor Ort ein, um ihm bei der Mohnverarbeitung zu helfen. Während die Leute nun in ihrem sicheren Zuhause saßen und Aces Opium bequem über das Internet bestellen konnten, wurden für ihn die Gefahren seines neuen Tätigkeitsfeldes allzu real. Eines Nachts, als Ace und seine Mitarbeiter durch die Opiumfelder schlichen und die Reife der Mohnblüten überprüften, hörten sie in der Ferne Schüsse erschallen. Kugeln flogen an ihnen vorbei und fetzten durch das Gebüsch. Die privaten Wachmänner waren nicht weit entfernt.

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„Ich dachte mir nur, ,Die können doch nicht auf uns schießen‘“, erzählte mir Ace, dem der Schrecken dieser Nacht noch immer ins Gesicht geschrieben stand. „Wir krochen auf Händen und Knien herum. Plötzlich schrie mein Freund auf. Er war am Bein getroffen worden.“ Sein Freund krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden mit einer frischen Schusswunde im Oberschenkel. Ace und die anderen packten den Verletzten und zogen ihn durch das Mohnfeld. „Wir haben gebetet, dass diese wahnsinnigen Wichser nicht die Bewegungen der Mohnpflanzen sehen“, sagte er mir. Angetrieben von Adrenalin und der Furcht, von einer Kugel getroffen zu werden, überwanden Ace und seine Freunde die kurze Strecke aus dem Mohnfeld ins Auto. „Wir warfen ihn in den Kofferraum“, erinnerte er sich. „Und fuhren den kompletten Pfad durch die Olivenhaine ohne Licht, um unbemerkt zu entkommen. Mein Freund blutete tierisch im Kofferraum, also brachten wir ihn zu einem bekannten Tierarzt, von dem wir wussten, dass er uns wieder zunähen würde, falls wir in Schwierigkeiten geraten sollten.“ Sein Freund überlebte. Ace dachte kurz nach und sagte dann: „Ich glaube nicht, dass [die Sicherheitsmänner] wirklich dachten, dass jemand in den Feldern war … Sie fanden es einfach nur lustig, in die Mohnblumen zu schießen.“ Durch die brenzlige Situation wurde Ace bewusst, dass man offensichtlich Risiken eingehen muss, um an die besten Drogen zu kommen. Anstatt vor dieser Herausforderung zurückzuschrecken, beschloss er, dass er eine Crew mit vertrauenswürdigen Arbeitern brauchte, um das Qualitätsbusiness aufzubauen, das er sich zum Ziel gesetzt hatte. „Mit dem Schmuggel von marokkanischem Haschisch nach Südspanien ging es dann für die Scurvy Crew richtig los“, sagte er mir. „Ich schloss mich einigen Freunden an, um zu verstehen, was es mit dem ganzen Hype auf sich hatte. Damals schmuggelte jeder als kleinen Nebenverdienst Hasch aus Marokko. Da ich aus dem Kokain- und MDMA-Geschäft kam, hatte ich nicht die entsprechende Klientel, an die ich große Mengen Hasch hätte verkaufen können, nicht einmal für Einzelgeschäfte. Aber jetzt hatte ich ja Silk Road. Also nutzte ich es, um das zu verkaufen, was ich aus Marokko mitbrachte.“ Weil Ace an der Spitze der Scurvy Crew stand, konnte er, anstatt mit eiserner Faust zu regieren, den erstklassigen Service und die Integrität demonstrieren, die, wie er glaubte, nur durch Silk Road auf das Drogengeschäft übertragen werden konnten. Und tatsächlich wurde seine Crew auf Silk Road zu einem vertrauenswürdigen und zuverlässigen Namen. Dem Feedback zufolge war das, was sie als „Bayer Opium“ verkauften, der beste Stoff, den man kriegen konnte, und sie waren die Einzigen, die es verkauften—wahrscheinlich aus guten Gründen. Ace drückte es so aus: „Nicht viele Verkäufer haben die Eier, auf ein bewachtes Feld zu gehen und Opium zu klauen.“ Die Einkünfte stiegen und die Scurvy Crew wuchs. Ace hatte jetzt Läufer und Packer eingestellt und innerhalb von sechs Monaten hatte er es von einem Ein-Mann-Verkäufer, der im Dreck herumkroch, zum Leiter eines Teams von Menschen gemacht, die ihm halfen, sein Produkt an den Mann zu bringen. Die Ladungen Opium und Haschisch gingen fast so schnell raus, wie sie reinkamen. Weil Ace die Mengen nicht mehr selber verwalten konnte, kaufte er zwei sichere Häuser, in denen er seine Ware verarbeiten konnte. Bald glich das Geschäft einer gutgeölten Maschine und es kamen noch mehr engagierte Angestellte dazu. „Wir haben ein Team von Leuten, das auf die Felder geht. Sie sammeln das Opium und trocknen es. Das ist ein Vorgang von etwa zehn Tagen. Dabei muss es die ganze Zeit durchkneten, wie Teig, um die Luft herauszubekommen. Dann entfernst du die Feuchtigkeit. Je trockener das Opium, desto besser die Qualität“, erklärte Ace. „Dann wird das Opium in den Verstecken erhitzt; es wird mit einer Nudelmaschine zu einer dünnen Schicht ausgerollt, die etwa so dick wie Pappe ist. Danach wird es in Blöcke geschnitten. Dazu nehmen wir eine Schneidemaschine—die Quadrate sind dann entweder ein Gramm, fünf Gramm oder zehn Gramm schwer. Wenn morgens eine Bestellung [über Silk Road] eingeht, wird die Adresse für diese Bestellung ausgedruckt. Dann wird es in zwei Lagen [verpackt]. Die eine ist vakuumverschlossen, die andere ist ein Feuchtigkeitsschutz. Dann wird es in einen Briefumschlag gesteckt und durch die Welt geschickt. Es ist Fließbandfertigung. Und wenn wir, sagen, dass wir 1.000 Gramm pro Woche verschicken, dann verlieren wir vielleicht 10 oder 20 Gramm [an den Zoll], es lohnt sich also auf jeden Fall.“ Bei rund 14 Dollar Profit pro Gramm verdient die Scurvy Crew allein mit dem Opium um die 14.000 Dollar pro Woche. Schon Ende 2012, nach ungefähr einem Jahr im Geschäft, machte Ace „viel zu viel Geld“, um es in seinem offiziellen Geschäft waschen zu können. Normalerweise hätte er, um einen Buchhalter zu finden, der bereit gewesen wäre, ihm bei der Geldwäsche zu helfen, sich in Kreise einklinken müssen, für die er bei Weitem nicht genug kriminelle Energie besaß—selbst wenn er es gewollt hätte. Aber dank der endlosen Connections über Silk Road war Ace auch diesmal nur wenige Mausklicks von jemandem entfernt, der ihm bei der Sache behilflich sein konnte. „Ich habe einen sehr guten Urkundenfälscher gefunden, der der Scurvy Crew seitdem mit einem schönen ,Auszahlungsdienst‘ geholfen hat“, sagte Ace. „Er hat uns Konten in Amerika und der Schweiz eingerichtet … er nutzt die drei großen Bitcoin-Börsen [, um die Bitcoins zu verkaufen]. Das Geld geht dann direkt auf die Scheinkonten in der Schweiz und in den USA.“ Das Geld kam schnell rein und die Scurvy Crew konnte ein recht komfortables Leben führen. Sie aßen gut, kauften Grundstücke und reisten viel. Und Dank seiner Geschäftsethik, so Ace, wurden die Leute, von denen er das Hasch besorgte, ebenfalls wohlhabend.

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Das marokkanische Hasch der Scurvy Crew

„Im Laufe der Jahre haben wir persönliche Beziehungen mit den [Hasch-]Bauern in Marokko aufgebaut“, sagte Ace. „Mir ist aufgefallen, dass es ziemlich viele Farmen gab, die total heruntergekommen waren—es gab nicht einmal Toiletten. [Die Leute dort] haben einfach in ein Loch im Boden geschissen.“ Während sie in den marokkanischen Bergen nach Ketama und Azila wanderten, um das Hochland-Hasch einzukaufen, beschloss Ace, den Bauern, die ihm dabei geholfen haben, sein kleines Vermögen zu verdienen, etwas zurückzugeben. „Wegen der großen Mengen, die wir ihnen abnehmen, haben wir mit den Bauern Exklusivitätsabsprachen gemacht. Wir haben also beschlossen, ihnen im Voraus einen Pauschalbetrag zu zahlen, um ihnen bei der Verbesserung ihrer Lebensumstände zu helfen“, sagte er. Besonders ein Geschäft, von dem beide Seiten profitierten, ist ihm im Gedächtnis geblieben: „Die Frau eines Bauern war sehr krank und konnte sich keine medizinische Hilfe leisten. Deshalb haben wir eine Vereinbarung mit dem Bauern getroffen, bei der wir für die Behandlung seiner Frau und ein paar grundlegende Umbauten bezahlt haben, da es dort oben im Winter verdammt kalt wird. Wir haben eine einfache Heizung und eine Toilette eingebaut, haben seine Frau untersuchen lassen und gaben ein bisschen Extra für eine Bewässerungsanlage. Als nach drei Monaten die erste Ernte fertig war, bekamen wir sie im Gegenzug für die Hilfe, die wir geleistet hatten, umsonst. Jetzt haben wir ein großartiges Geschäftsverhältnis. Immer wenn das Haschisch fertig ist, schicken wir jemanden rüber, der die Bauern im Voraus dafür bezahlt und bringen es zurück. Das funktioniert jetzt schon seit zwei Jahren wirklich gut.“ Mit dem Opium- und Haschischgeschäft in vollem Gange, kauften nun tausende Kunden auf Silk Road regelmäßig die Produkte der Scurvy Crew und hinterließen positives Feedback, bei dem sie die Qualität der Drogen lobten, sowie auch die seriöse Verpackung und die Geschwindigkeit, in der sie geliefert wurden. Das Geschäft lief gut, die Kritiken waren hervorragend und Dread Pirate Roberts höchstpersönlich war zufrieden mit Aces Entwicklung. Die beiden unterhielten sich öfter. Es war eine „Geschäftsbeziehung“. „Wir hatten eine gutes Verhältnis“, sagte Ace. Der Name von Ace fiel mir zum ersten Mal bei Silk Road auf, als ich in Folge von Ross Ulbrichts Festnahme die Foren durchkämmte. Die Foren sind mittlerweile verschwunden, aber Ace war dort—soweit ich das sehen konnte—der erste, der bezüglich Dread Pirate Roberts die Alarmglocken läuten lies—noch bevor die Nachricht seiner Verhaftung die Medien erreichte. Am 1. Oktober 2013 schrieb Ace einen Kommentar, der in etwa lautete: „Ich glaube, mit DPR stimmt was nicht.“ Etwa 30 Minuten später waren die Foren mit der Nachricht von Dread Pirate Roberts angeblicher Gefangennahme überschwemmt. Natürlich reagierte Ace verhalten, als ich ihn darauf ansprach. „Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt“, sagte er. Dem Zeitpunkt und dem Datum nach zu urteilen, an dem Ace mit Dread Pirate Roberts gechattet hatte, glaubt er, dass sie tatsächlich „inmitten einer Unterhaltung waren, als [Ross] verhaftet wurde.“

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„Ich denke, eine Nachricht, die ich DPR geschickt habe, wurde von ihm beantwortet, und die nächste Nachricht, die ich eine Minute später abschickte, von einem FBI-Agenten“, erklärte er. „Es war extrem seltsam. Wir unterhielten uns gerade über die Einführung von ein paar neuen Funktionen für die Seite—ich wusste, dass er es war, weil er so klang wie immer—, aber die nächste Nachricht, die ich von ihm bekam, war komplett anders geschrieben.“ Ace sagte, dass Dread Pirate Roberts plötzlich nach einer Kopie seines Ausweises fragte. Dies ist nicht allzu ungewöhnlich, da DPR dafür bekannt war, selber persönliche Informationen über die Leute einzuholen, die in seinem Inner Circle arbeiteten. Was Ace beunruhigte war die Tatsache, dass dies mitten in einer Unterhaltung passierte. „Ich brach die Unterhaltung ab und ging in die Foren und sagte: ,Hey Leute, ich glaube, es passiert gerade etwas Komisches.‘ Was mir wirklich sonderbar vorkam, war die Tatsache, dass [die Nachricht] mit [DPRs] PGP-Schlüssel verschlüsselt war und sein Schlüsselbund noch offen war. Von dem Moment an wusste ich, dass sie an seinem Computer waren.“ Das war auch der Moment, an dem Aces Geschäft am Tiefpunkt angelangt war. Die ursprüngliche Silk Road Seite war vom FBI beschlagnahmt worden, wodurch auch alle Bitcoins, die sich noch in dem Treuhandservice (Escrow) befanden, verschwunden waren. Mit Silk Road war ein geschätzter Gewinn von 28,5 Millionen Dollar von den Behörden einkassiert worden. „Beim Untergang von Silk Road 1 verlor die Scurvy Crew über 500.000 Dollar“, sagte Ace, der beim Gedanken an seine Verluste noch immer gequält aussieht. „Die Probleme [der Sperrung von Silk Road] hielten jedoch nicht lange an“, fuhr er fort. „Ich glaube, innerhalb von zwei Wochen liefen unsere Geschäfte schon über die beiden anderen Handelsplätze.“ Die „anderen Handelsplätze“ waren die alternativen Drogenumschlagplätze, die es zu der Zeit im Deep Web gab: Sheep Marketplace und Black Market Reloaded. Beide existierten schon zur gleichen Zeit wie Silk Road, standen aber immer im Schatten von Dread Pirate Roberts qualitativ überlegener Seite. Als das Schiff dann untergegangen war, wechselten die User zu den ehemaligen Konkurrenten. Der ungeheure Zustrom war für die Seiten fast nicht zu bewältigen. Backopy, der Gründer von Black Market Reloaded, musste die Registrierungsfunktion für drei Tage abschalten, nachdem sich in kurzer Zeit der Traffic der Seite von 2.000 auf 5.000 User mehr als verdoppelt hatte. Das Drogenangebot auf Sheep Marketplace schoss schon wenige Tage, nachdem Silk Road aus dem Deepweb verschwunden war, von 500 auf 1.500 Inserate. Inzwischen sind aber beide Seiten in der Versenkung verschwunden. Sheep Marketplace verabschiedete sich klammheimlich mit tausenden Bitcoins seiner User von der Bildfläche und Black Market Reloaded schloss am 23. Dezember 2013 seine Pforten. Blackopy begründete das damit, dass die Seite nach dem Verschwinden von Sheep Marketplace „keine weitere Flüchtlingswelle aushalten könnte“. Er schrieb in die BMR Foren, dass „das Tornetzwerk keine Seiten aushält, die zu groß sind“, und lies den 30,755 Usern genug Zeit, mit ihren Bitcoins das Weite zu suchen.

Sheep Marketplace, eine der (ehemaligen) Alternativen zu Silk Road

Mit einer makellosen Erfolgsbilanz, dem reinsten Opium und Haschisch im Überfluss, und einer so vertrauensvollen Position auf der ursprünglichen Silk Road Seite, dass einige von Dread Pirate Roberts verbündeten weiterhin mit Ace Kontakt hielten, hat die Scurvy Crew es geschafft, jeden Sturm im Deep Web Drogengeschäft außergewöhnlich gut zu überstehen. Die Gruppe ist jetzt auf Silk Road 2.0 und baut sich einen neuen Kundenstamm auf (von dem viele der Scurvy Crew loyal durch das Deep Web gefolgt sind) und planen, ihr Angebot auf weitere Drogen auszuweiten. Ace ist bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin auf freiem Fuß und durch seine Position als Boss muss er sich auch nur noch selten selber die Hände schmutzig machen. „Ich stehe morgens auf, checke die Unmengen an Nachrichten, die ich täglich bekomme“, lacht er. „Die gehe ich dann durch und mache dann eine Art Arbeitsplan, den ich in zwei Teile aufteile, da das Opium und das Haschisch an unterschiedlichen Orten gelagert werden. Ich schicke dann die Opiumliste an das Opiumhaus, in dem dann nach dem Plan die ganzen Sendungen für den Tag fertig gemacht werden. Die andere Liste geht an das Haschischhaus und ich erwarte dann, dass von beiden Orten [die Bestellungen von den Listen] noch bis 16 Uhr am gleichen Tag rausgeschickt werden. Der Kreislauf wiederholt sich dann. Den Rest des Tages bespreche ich Dinge mit meinem Team oder organisiere Geschäfte.“ An diesem Punkt demonstriert mir Ace (wahrscheinlich, um mir zu beweisen, dass er mich nicht verarscht), dass er wirklich dieses Leben führt und zeigt mir einige größere Bestellungen bei Silk Road 2.0, die er gerade eben erhalten hat. Inzwischen hatte ich allerdings kaum noch einen Zweifel daran, dass Ace wirklich der war, für den er sich ausgab. Er schien mir aufrichtig zu sein und immer darum bemüht, seine Aussagen zu belegen. Er war ganz offensichtlich stolz auf das Geschäft, das er aufgebaut hatte, auf das Geld, das er sich selber verdient hatte und auf die Leute, die er für seine Hilfe einstellte. „Weißt du, wie es sich anfühlt, morgens beim Aufstehen, spontan entscheiden zu können, dass du gerne in Paris zu Abend essen willst?“ fragte er mich. „Oder dass du dir einfach ein neues Auto kaufst, weil dich dein altes langweilt, oder dass du verschiedene Häuser an den unterschiedlichsten Orten der Welt hast? Es ist ein Leben, von dem ich niemals gedacht hätte, dass ich es einmal leben werde.“ Er scheint dabei selber viel mehr erstaunt darüber zu sein, als damit angeben zu wollen. Mir kam es so vor, als ob es für Ace geradezu befreiend war, endlich so offen über sein Geschäft reden zu können. Es war definitiv die Arbeit an sich, die ihn antrieb, und er lebte ein gutes Leben, aber die dunklen Ränder unter seinen Augen gaben einen Hinweis auf den Preis, den ein Mensch für so ein Leben voller Geheimhaltung zahlen muss. „Die Kehrseite sind die ganzen Lügen“, sagte er. „Es gibt Tage da hätte ich lieber einen nine-to-five Job als mir pausenlos den Rücken freihalten zu müssen, mir pausenlos Gedanken darüber zu machen, wer da gerade an der Tür klopft, oder wohin ich gehen kann, oder ob mir jemand folgt, wenn ich einfach nur die Straße runtergehe. Ich habe keine Ahnung, was das FBI schon alles über mich weiß. Ich weiß nur, dass ich weitermachen und bei der Sache Spaß haben muss; ansonsten ist es das einfach nicht wert.“ Er beendete unser Interview mit dem Einspruch, dass er sich mehr davor fürchtet, den Kampf gegen die Behörden zu verlieren, als den Rest seines Lebens im Knast zu verbringen. Durch meine vielen Gespräche mit unterschiedlichsten Kriminellen habe ich diese Aussage schon hunderte Male gehört—mit der Ausnahme, dass Ace sie auch wirklich so gemeint haben könnte. So, wie er es sagte, beinhaltete es keinen Hauch von Angeberei und auch keine Selbstbetrug. Er glaubte wirklich an das, was er tat. Nachdem wir uns zwei Stunden unterhalten hatten, war es Zeit zu gehen. Ich sammelte meine Sachen ein und bedankte mich bei Ace und durfte, höchstwahrscheinlich nicht unbeobachtet, die Bar ohne Begleitung verlassen. Auf meinem Weg zurück zum Bahnhof fiel mir etwas ins Auge. Ich schaute nach oben und sah ein riesiges rotierendes Bayer-Logo. Es wird hier nicht behauptet, dass Bayer Opium für irgendwelche illegalen Zwecke kauft oder mit verbotenen Substanzen handelt. Es wird auch nicht behauptet, dass Bayer von der Schießerei im Mohnfeld wusste oder solche Aktivitäten unterstützen würde. Folgt Jakre Harahan auf Twitter