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Wie eine Handvoll Christen versucht, die Jugend zu bekehren

Die Seite Soulsaver.at will Jugendlichen mit Geschichten über tote Rockstars, Festivals und andere Schöpfungen Satans den Glauben schmackhaft machen.

Kaum etwas könnte mir egaler als Religion sein—was vielleicht an meiner Erziehung liegt—und seit diesem einen unerträglichen Ostergottesdienst, bei dem ich noch in die Unterstufe ging, und unser Dorfpfarrer in seiner Predigt wortwörtlich sagte, „man muss gegen freie Liebe und Schwule sein", habe ich keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt, weil mich wenig wütender macht, als diese verlogene und veraltete Einstellung. Der gemeinnützige Verein ​Soulsaver hat es aber trotzdem irgendwie geschafft, mir in Erinnerung zu bleiben.

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Ich kenne die Menschen von Soulsaver von diversen österreichischen Festivals—sie sind quasi die Wachtturm-Verteiler unserer Generation—, weil sie meistens über den mit Alkoholleichen übersäten Campingplatz wandern und dort kleine Büchlein verteilen, die die Jugend vor dem endgültigen Untergang bewahren sollen. Mein Lieblingsbuch war damals schon ​„Rock im Sarg". Nicht nur, weil ich mir keinen schöneren Titel für ein Buch vorstellen kann, sondern auch, weil wir uns damals am ​Frequency Festival halb komatös stundenlang daraus vorgelesen haben.

In meinem persönlichen Lieblingsklassiker geht es um die Lebensgeschichten von Rockstars, die aufgrund ihres exzessiven Lebensstils jung gestorben sind—von Elvis bis Sid Vicious. Im Intro des Buches heißt es „Begabt waren viele—jung, schön, reich, und berühmt, doch auch süchtig. Süchtig nach mehr. […] Bricht hinter den Kulissen die unerträgliche Leere aus, tragen Drogen die Neuzeitbarden in die nächste Vorstellung. Und so lauert auf dem Weg nach ganz Oben, der Absturz nach ganz Unten." Ein anderes Buch, das auf der Website zum Download steht, heißt „Kiffen, Koksen, Saufen, Rocken, Sterben" und beschäftigt sich ebenfalls mit toten Berühmtheiten. Ein Kapitel heißt beispielsweise „Heath Ledger—vom heldenhaften Sunnyboy zum mörderischen Psychopathen." Wann war Heath Ledger ein mörderischer Psychopath, außer als er den Joker gespielt hat?

Die Menschen von Soulsaver versuchen, Jugendliche und junge Erwachsene mit ihrer ganz eigenen Interpretation von aktuellen Themen und Geschichten, die im Leben von jungen Menschen präsent sind, auf den rechten Weg und zur Vernunft zu bringen—und mit Vernunft meinen sie Jesus. Dass Jesus für uns alle gestorben ist und wir ihm zumindest ein halbwegs gesittetes Leben schuldig sind, wollen sie uns nicht nur mit originellen Büchern weismachen, die sie früher auch gerne vor dem Wiener Flex verteilt haben, sondern auch mit einem Blog, der permanent mit neuen Geschichten und erleuchtenden Lektionen zu tagesaktuellen Geschehnissen gefüllt wird. Im Prinzip berichtet Soulsaver über die selben Dinge, über die auf VICE berichtet wird—Drogen, Sexualität, politische Themen—, nur darf die christliche Lehre am Ende einer Geschichte natürlich nicht fehlen: Drogen sind schlecht, Homosexuelle sind abnormal und Technik ist böse—nur Jesus ist gut.

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Soulsaver bezeichnet sich selbst als Plattform, die den christlichen Glauben fördern will und jungen Menschen den einzig wahren—wie könnte es anders sein—Soul-Saver Jesus Christus näher bringen möchte. Ein Vorwurf, mit dem sich die Kirche immer wieder konfrontiert sieht, ist ja ihre Rückständigkeit. Alles ist zu altmodisch, zu abstrakt, Geschichten von Engeln und Heiligen sind zu weltfremd und zu wenig ansprechend für Jugendliche, weil sie sich nicht mehr mit den biblischen Geschichten in ihrer Urform beschäftigen wollen und Ministrant zu werden ist mittlerweile sogar in meinem erzkonservativen Heimatkaff uncool.

Screenshot via ​soulsaver.at

Auf den ersten Blick scheint es daher so, als würde das Konzept von Soulsaver funktionieren und als hätten es diese Leute tatsächlich geschafft, durch die richtige Aufbereitung von religiösen Inhalten einen Weg zu finden, das Christentum für Jugendliche, die gerne feiern, sich eigentlich nicht allzu sehr um Religion kümmern und ihr Leben genießen wollen, ansatzweise attraktiv zu machen. Denn schließlich will man selbst nicht wie die verdrogten Rockstars enden, die mit 27 sterben und ihr kurzes Leben damit zubrachten, der Welt den ​Plan Satans zu verkünden, sondern ja doch irgendwie ein gutes Leben führen, für das man sich nicht schämen muss—vor wem auch immer.

Schaut man sich auf Soulsaver dann aber doch ein bisschen genauer um, findet man genau diese Art von absurden Geschichten, die man nach dem Lesen sofort mittels ganz viel Alkohol und noch mehr Satans-Musik aus seinem Kopf löschen möchte und nach denen man am liebsten sofort sein ganzes Hab und Gut an die böse und gefährliche ​Homolobby spenden würde. ​​Hier wird zum Beispiel davon gesprochen, dass unsere künstlich geschaffenen Welten im Gegensatz zu Gottes Schöpfung stehen und uns außerdem „dumm und oberflächlich" machen. Bei aller Liebe, ihr Seelenretter. Auch wenn es euch nicht passt, dass die Jugend verdorben, die Rockstars drogenabhängig und ​WhatsApp unser aller Lieblingsbeschäftigung ist—wir sind im beschissenen 21. Jahrhundert und dagegen kann leider nicht einmal mehr Jesus etwas machen.

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Soulsaver beschäftigt sich aber nicht nur mit Suchtmitteln und deren Einfluss auf unser Leben, sondern auch mit tagesaktuellen Themen. Zum ​Tod von Robin Williams  meinten die Betreiber, dass Robin Williams leider Gottes (no pun intended) nur halb gläubig gewesen sei, und ein halber Gläubiger ist nun mal kein ganzer, was wahrscheinlich letztendlich auch dazu geführt hat, dass er nicht stark genug war, um seine ​Depression zu überwinden. Als sich Apple Chef ​Tim Cook vor Kurzem geoutet und seine Homosexualität stolz als Geschenk Gottes bezeichnet hat, wurde aus gegebenem Anlass auf Soulsaver ein ​Bericht eines ehemaligen Homosexuellen veröffentlicht, der seine frühere Homosexualität als Verwirrung sieht und dazu meint, aus dem Einfluss der homosexuellen Agenda befreit zu werden, war das Schönste, das ihm je passiert wäre. Wenn ich Sätze wie „In europäischen Ländern wird Homosexualität für so normal gehalten, dass Kinder schon in der Grundschule mit „schwulen" Kinderbüchern konfrontiert werden" lesen muss, wird mir schlecht.

Foto: kyz via photopin cc

Religion ist eines der ewigen Streitthemen unserer Spezies. An Gott zu glauben ist für mich so, wie von Echsenmenschen in UFOs zu sprechen, die gerade den dritten Weltkrieg planen und für die anderen ist es eine der normalsten, erfüllendsten und schönsten Sachen der Welt. Ich finde es gut, dass es gläubige Menschen gibt, die bei der Jugend ansetzen, dorthin gehen, wo die Jugendlichen wirklich sind und ihnen den Glauben näher bringen wollen. Ob diese Methode funktioniert, sei dahingestellt, denn die Botschaften, die die Menschen von Soulsaver verbreiten, sind immer noch die alten.

In den Geschichten von Soulsaver geht es nicht mehr um Brot und Wein, Verräter und brennende Büsche (ihr merkt, ich war sehr schlecht in Religion), sondern um Drogen, Sexualität und das echte Leben. Um Jugendliche aber wirklich zu erreichen und sie vielleicht auch ein wenig zum Nachdenken zu bringen, braucht es mehr, als die ewig gleichen Geschichten in neue Kleider zu verpacken. Wenn die Menschen von Soulsaver mit ihren Geschichten mehr als die Lachnummer auf einem Festival und ihre Bücher mehr als der Klopapier-Ersatz für den nächsten besoffenen Dixi Klo-Gänger sein sollen, muss nicht nur die Verpackung, sondern auch der Inhalt an den Zeitgeist der Gegenwart angepasst werden.

Bekehrt Verena auf Twitter: ​@verenabgnr


Titelbild: Joshua Daniel O. via photopin cc