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Campus, Sex und Ravioli

Was ich von meiner Zeit in einem Luxus-Wohnheim gelernt habe

Stalker, Rauchvergiftung und das alles nur, um Skyline-Fotos auf der Dachterasse machen zu können? So lebt es sich in den Studentenunterkünften der Zukunft.

Frankfurt ist eine sehr teure Stadt. Eine sehr, sehr teure Stadt. Alles kostet unheimlich viel Geld, insbesondere der wenige verfügbare Wohnraum für Studenten, die bei der Wohnungssuche stets mit Bankern konkurrieren müssen. Bankern, die sich für ihre wahnsinnig wichtigen Projekte, mit denen sie unseren Finanzmarkt sehr zuverlässig und nachhaltig zerstören, gerne sämtliche Ein-Zimmer-Wohnungen unter den Nagel reißen und sich dabei mit ihrem Geldfächer Luft zu wedeln. So hat man als finanziell nicht allzu gesegneter junger Mensch nur noch die Wahl zwischen unheilvollen WG-Situationen im Frankfurter Hinterland oder den wenigen universitär geschaffenen Studentenwohnheimen—deren Wartelisten locker bis ins Jahr 3028 reichen.

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Gerade hatte ich in Erwägung gezogen, in den Serverraum meines damaligen Arbeitsplatzes zu ziehen, als überraschenderweise ein neues Wohnmodell am Frankfurter Immobilienhimmel aufstieg, das eine vierte, ungleich bessere Wohnalternative versprach. Es handelte sich um ein privat geführtes Wohnheim für Studenten, Praktikanten und Auszubildende, das mit dem Slogan „Gute Köpfe unter einem Dach" lockt und unter der Kategorie semi-bonzige „Microliving Anlage" zu verbuchen ist. Was ich damals noch nicht wusste: der Serverraum wäre auf nahezu allen Ebenen die bessere Entscheidung gewesen. Meine Zeit im hochmodernen Luxuswohnheim in der Frankfurter Innenstadt war nämlich das Wohnäquivalent zu einer schwarzen Slapstick-Komödie.

„MiCroliving" steht für „miese Wohnsituation"

Micro bedeutet für 20 m² möblierten Wohnraum („Küche" und Badezimmer eingeschlossen) 500 hart verdiente Euro im Monat zu bezahlen und ein Zimmer zu beziehen, das vor Charme nur so strotzt. Ich landete, als Erstbeziehende, in der ersten von insgesamt sieben Etagen und freute mich über die verkehrsgünstige Lage meiner neuen Heimat, denn vor meinem Fenster befanden sich: eine größere Hauptverkehrskreuzung, eine Straßenbahnstation, eine Bushaltestelle, das Polizeipräsidium, Krankenwagen, hupende, gehetzte Berufstätige in lauten Autos … kurz gesagt: Lärm.

Aber das ist gar kein Problem, denn das einzige Fenster im Raum kann man immerhin gewaltsam schließen und sich erschöpft auf sein Nachtlager—aka ein 90cm breites Bett mit einer etwa 20cm dicken Schaumstoffmatratze—fallen lassen. Vom Bett aus hatte ich einen besonders schönen Ausblick auf die Küchenzeile und ihre hell erleuchtete Mikrowellenuhr, die ihren außergewöhnlichen Schimmer auf den Feuermelder warf, der sich in unmittelbarer Nähe zu den beiden Herdplatten befand. Das hatte zur Folge, dass mindestens ein Mal pro Woche Feueralarm ausgelöst wurde.

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Architekten hassen Menschen

Wenn wir schon bei Notsituationen sind. Ebenjener Feueralarm beinhaltete in schönster Regelmäßigkeit, dass die Feuerwehr nach zehn Minuten anrückte, den Feueralarm abstellte und dem Bewohner erklären musste, wie man ein Fleischlaibchen ohne Rauchentwicklung in der Pfanne zubereitet (es ist unmöglich). Spätestens als ich eines Samstagmorgens in einem undefinierbar stinkenden Apartment wach wurde und in detektivischer Zusammenarbeit mit einer Freundin feststellte, dass es aus dem Fenster meines Zimmernachbarn rauchte, wurde mir klar: Wer auch immer dieses Gebäude—und allem voran die Kochnische—konzipiert hat, muss ein sadistischer humanoider Roboter gewesen sein, der alle Insassen des Studentenblocks zum Äußersten zwingt.

Ich rief also die Feuerwehr („Ist es schon wieder das Studentenwohnheim? Ach da können wir uns ja Zeit lassen."), unsere Freunde von der Feuerwache, die wir alle mit Vornamen kannten, verschafften sich Zutritt zu seinem Apartment, transportierten Mr. Rauchvergiftung ab und mussten feststellen, dass der sonst so überempfindliche Rauchmelder vorsorglich abgeklebt worden war. Für diese heroische Lebensrettungsaktion hat sich Mr. Rauchvergiftung übrigens nicht einmal mit einem Strauß Blumen bei mir bedankt. Gern geschehen, Arschloch.

Nichts ist umsonst, nicht mal zwischenmenschlicher Kontakt

Möchte man aufgrund klaustrophobischer Panikzustände seine Ein-Zimmer-Zelle verlassen, steht jedem Bewohner pro Stockwerk ein Gemeinschaftsraum zur Verfügung, für den man jährlich 150 Euro extra bezahlen muss. Wenn ich Gemeinschaftsraum sage, dann meine ich andere kleine (fensterlose) Zellen, die hauptsächlich verschlossen waren. Beispielsweise die „Soccer Box", die einen Tischkicker beinhaltete, und den „Kino-Raum". Eigentlich eine super Idee, hätte man nicht 50 Euro Kaution pro Nutzung hinterlegen müssen, was bei akutem Geldmangel schon mal zur spontanen Verdurstung beim DVD-Abend führen konnte. Auch gut war eine Art Aufenthaltsraum mit—Achtung, Fun-Overload—einem Tisch und zwei Bänken. Das absolute Highlight war aber die für alle zugängliche Dachterrasse mit „Skyline-Blick", auf dessen Holzboden Menschen ernsthaft mit Einweg-Alu-Schalen Würstchen grillten. So viel zu „Kluge Köpfe" unter einem Dach. I daut it.

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Auf meiner Etage befand sich außerdem ein „Fitnessraum", der so groß war wie meine EC-Karte und aus dem rund um die Uhr Männerstöhnen drang—erzeugt von 18-jährigen Erstsemestern, die sich an der Bosstransformation versuchten und tatsächlich glaubten, die zwei dort vorhandenen Geräte garantieren ihnen ein ausgewogenes und ergebnisorientiertes Training.

Wenn ich also auf meinem Schaumstoffbett lag und das angenehme Rauschen des fließenden Verkehrs genoss, wurde dieses von Fitness-Fred und Sport-Stefan harmonisch ergänzt und schließlich durch das verlässliche Erklingen des Feueralarms zu einer einzigen Komposition des Wahnsinns abgerundet.

In WGs kann man sich seine Mitbewohner zumindest aussuchen

Dass dieses Babylonhaus tägliche Studentenpartys, Erbrochenes im Fahrstuhl oder Facebook-Gruppennachrichten à la „Im vierten Stock ist Patrick W. Er vermisst seine Hose. Gehört der zu einem von euch?" hervorbrachte, ist gegen die Privatsphäre, die man baulich schuf, ein inneres Blumenpflücken. Das Gebäude war ursprünglich einmal das Frankfurter Verwaltungsgericht, was per se schon kafkaeske Züge mit sich brachte. Generell besuchte man sich gerne ungefragt, was aufgrund der fehlenden Türspione Russischem Roulette glich. Es konnte die coole Nachbarin sein, die immer eine Flasche Sekt dabei hatte, oder der gruselige Dude aus 136, der sich stets in mein Apartment setzte und sich wie selbstverständlich durch meinen Kühlschrank fraß. An anderen Tagen klingelten wildfremde Menschen im Alter von allerhöchstens Neunzehn an meiner Tür und fragten, ob ich ihnen Drogen verkaufen könne.

Aber nicht nur der fehlende Türspion brachte zwischenmenschliche Grenzsituationen zu Tage: So musste ich nach einem halben Jahr aufgrund fragwürdiger Facebook-Nachrichten eines anderen Bewohners feststellen, dass man mir 1A ins Zimmer schauen konnte. Immerhin dezimierte sich dadurch die Gefahr, im Schlaf an einer Rauchvergiftung zu sterben. Sollte es in meiner Wohnung anfangen zu brennen, würde Stalkerboy es zweifelsohne mitbekommen.

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Die einfachsten Alltagsaufgaben werden zum Spießrutenlauf der Hölle

Meistens traf ich Stalkerboy übrigens auf dem Weg zum Waschraum, den ich an Waschtagen geschätzte zwölf Mal zurücklegen musste. Der „Waschraum" war im 7. Stock zu finden, was jeden Bewohner zwang, seine dreckige Unterwäsche die endlos langen Gänge, eine Aufzugfahrt (in der man permanent Gefahr lief, steckenzubleiben und erst am nächsten Morgen gefunden zu werden!) und eine steile Treppe nach oben spazieren zu tragen. All das nur, um vor Ort festzustellen, dass sämtliche Maschinen besetzt oder kaputt waren. Ergo wusch ich vornehmlich nachts und hatte aufgrund der Straßensituation vor meinem Fenster im Schnitt drei Stunden pro Nacht, in denen ich den ernsthaften Versuch unternehmen konnte, zu schlafen.

Man plant also in aller Ernsthaftigkeit, seine Ausbildung an seiner Uni voranzutreiben, hat einen Nebenjob, der die Miete für Wohnklo mit Küche eintreibt, kommt um tausend Uhr nach Hause, muss seine Wäsche durch Babylon schleppen (und sie pünktlich wieder abholen, da man sie ansonsten auf dem Fußboden vor der benutzten Waschmaschine findet), schläft nicht mehr, hat keine konstante Internetverbindung, einen nicht ganz ungruseligen Stalker, vier aus dem Ruderlaufende Wohnheimpartys pro Woche und Rigipswände, die so dünn sind, dass man jedes größere Stuhlgangevent des Nachbarn hört—und bezahlt fünfhundert Euro. Unter diesen Umständen kann ich jedem Wohnungssuchenden nur ans Herz legen, diese Möglichkeit weiträumig zu umfahren. Richtet euch lieber in einem U-Bahn-Schacht ein—da zieht der Rauch auch besser ab, wenn es euch nach Würstl oder Fleischlaibchen verlangt.

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Header-Foto: Kiefer. | Flickr | CC BY-SA 2.0