Wieso die Schweiz Secondos braucht, um über Rassismus lachen zu dürfen

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Wieso die Schweiz Secondos braucht, um über Rassismus lachen zu dürfen

Am rassismuskritischen Humorfestival suchten Komiker mit und ohne Migrationshintergrund nach einem solidarischen Humor—jenseits von Political Correctness.

Alle Fotos von Klaus M. Rosza

Ob Blackfacing im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, Racial Profiling bei der Grenzkontrolle oder schlechtere Chancen bei der Lehrstellen- und Wohnungssuche für Bewerber mit ausländischen Namen: Rassismus stellt in der Schweiz nicht nur am rechten Rand, sondern eben auch in der Mitte der Gesellschaft ein Problem dar. Eigentlich ist das alles andere als lustig. Trotzdem—oder vielleicht gerade deshalb—hat es sich der "Verein zur Förderung rassismuskritischer Öffentlichkeiten" mit der zweiten Ausgabe des Humorfestivals Laugh up! Stand up! erneut zur Aufgabe gemacht, die Rassismusdebatte aus humoristischer Perspektive zu führen.

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"Humor war schon immer ein gutes Medium, um auf Widersprüche in der Gesellschaft hinzuweisen", erklärt Rohit Jain, einer der Initiatoren des Festivals. Secondos (Mitbürger mit internationalem Migrationshintergrund) und "Bioschweizer" (Mitbürger mit kantonalem Migrationshintergrund) stünden dabei gemeinsam in der Pflicht, die Widersprüche des Rassismus aufzuarbeiten.

Laugh up! Stand up! Ein rassismuskritisches Humorfestival | Alle Fotos von Klaus M. Rosza

So gingen am Wochenende in der Roten Fabrik verschiedene Künstler aus der deutschsprachigen Slam- und Comedy-Szene mit zahlreichen Darbietungen, Workshops und Podiumsdiskussionen der Frage nach, wie Secondos und "Bioschweizer" solidarisch und humorvoll über Rassismus sprechen können, ohne einander durch kollektive Anschuldigungen oder Stereotypen auf den kulturellen Schlips zu treten. Wer darf über was lachen und wer nicht? Welche Rolle spielen Herkunft, Sprache und Glaube in einer postmigrantischen Gesellschaft? Und unter welchen Umständen kann Humor dazu beitragen, Vorurteile zu überwinden, anstatt diese zu zementieren? Im Vergleich mit Deutschland und den USA, wo Künstler wie Dave Chappelle oder Serdar Somuncu diese Fragen schon lange thematisieren, steht die Schweiz in dieser Debatte noch ganz am Anfang.

Ghettolektuell mit Jilet Ayşe

Doch zum Glück gibt es den "deutschen Integrationsalbtraum" Jilet Ayşe, die in ihrem Comedy-Programm "Ghettolektuell" auf die problematische Beziehung zwischen "Kartoffeln" (Deutschen) und "Kanaken" (Türken) eingeht. Ihre Kritik lässt sich zu weiten Teilen auch auf die Schweiz übertragen. Gespielt wird Jilet von Idil Baydar, einer Tochter türkischer Einwanderer, die unter anderem als Sozialpädagogin an der berüchtigten Berliner Rütli-Schule gearbeitet hatte. Auf dem Pausenplatz dieses "sozialen Brennpunktes" fand sie die Inspiration für Jilets Rolle:

"Eine totale Ansammlung von allen Klischees, die man über Muslime und Türken medial weiterverarbeitet": Idil Baydar über Jilet Ayşe

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Für Baydar steht fest: "Solange wir im Opfermodus bleiben, haben wir keine emanzipierte Gesellschaft." Die Berlinerin ruft in der Rolle der liebenswert-aggressiven Deutschtürkin das Publikum dazu auf, den Täter erst in sich selbst zu ergründen. "Wenn du noch nicht einmal deinen inneren Rassisten kennst, wie willst du ihn dann auf der Strasse erkennen?" Mit der Aufforderung, das Problem bei sich selbst zu suchen, ecke sie bei "Kanaken" gleichermassen an wie bei "Kartoffeln".

Bereits vor dem Aufkommen der AfD und der Flüchtlingskrise hatte Baydar 2011 mit Jilet Ayşe eine Rolle geschaffen, mit der unbequeme Integrations- und Identitätsfragen behandelt werden können. Dass die Berlinerin dabei auf Erkenntnisse aus ihrer Waldorf-Ausbildung zurückgreift, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst lange Zeit Mühe damit hatte, in der deutschen Mehrheitsgesellschaft anzukommen.

"Ich komme aus der Unterschicht. Aber dadurch, dass meine Mutter mich auf eine Waldorfschule geschickt hatte, habe ich eine Oberschichtsbildung erhalten. Mit dieser Spannung kann ich spielen. Wenn Jilet klug wird, spielt natürlich auch Idil rein. Ich spiele mein eigenes Klischee, weil mich das entlastet."

Ein zweischneidiges Schwert

Einerseits kann Humor als Ventil dienen, um dem Frust der Vorverurteilung Ausdruck zu verleihen. Dadurch kann er Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppen schlagen und dem gegenseitigen Verständnis dienen. Andererseits wurde Humor aber spätestens seit den amerikanischen Minstrel Shows auch immer wieder dazu verwendet, rassistische Vorurteile zu reproduzieren. Auf diesen Missstand machte am Samstagabend die Südafrikanerin Ntando Cele in ihrer Whitefacing-Darbietung aufmerksam, indem sie dem Publikum als weisse Aktivistin die Welt leicht verständlich machte.

Die Antithese zur Minstrel Show: Ntando Cele

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Wenn Rohit Jain nicht gerade Humorfestivals organisiert, forscht er an der Universität Zürich als Doktorand über den Zusammenhang von Rassismus und Humor im TV und Alltag. Für ihn ist die Machtposition des Komikers ausschlaggebend für die Legitimität eines Witzes. "Es ist ein grosser Unterschied, ob sich eine etablierte dänische Tageszeitung mit Mohammed-Karikaturen über den Islam lustig macht oder ob sich ein Muslim über die dänische Mehrheitsgesellschaft amüsiert."

Dazwischen liegt jedoch eine grosse Grauzone, etwa dann, wenn sich ein Müslüm plötzlich auf einer grossen Plattform wie dem SRF wiederfindet, dessen Publikum womöglich mehr über die plump zur Schau getragenen Stereotypen lacht als über die subversive Kritik, die dahinter steht.

"Es braucht eine Provokation"

Trotzdem sieht Jain im Humor einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Kluft zwischen Secondos und "Bioschweizern". Dafür brauche es jedoch Mut und Anerkennung:

Die Secondos sollten sich getrauen, über ihre Rassismuserfahrungen Tacheles zu reden, und die "Bioschweizer" sollten anerkennen, dass es besser ist, erst zuzuhören, anstatt es gleich besser zu wissen. "Zum Ankick der Debatte braucht es eine Provokation." Danach könne man gemeinsam eine solidarische, postmigrantische Gesellschaft aufbauen, so Jain.

Ruft auf zur Provokation: Rohit Jain, Mitinitiator des Humorfestivals

Michel Abdollahis Reise in ein deutsches Nazidorf war definitiv eine mutige Provokation. Der Deutsch-Iraner stellte am Donnerstagabend seinen Film vor, in dem er den Alltag in Jamel, einer "national-befreiten" Zone, dokumentiert. Einen Monat lang lebte der Filmemacher neben Nazis, interviewte sie beim Rasenmähen und entdeckte dabei die Komik des Widerspruchs—selbst in den Abgründen der Menschenverachtung.

Reiste in ein Nazidorf: Michel Abdollahi

Die deutschsprachige Ethno-Comedy hat sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt. Vor zwanzig Jahren skandierten Erkan und Stefan noch in gebrochenem Deutsch plumpe Parolen wie "Brauchst du Probleme?" Heute fordert Serdar Somuncu: "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung!" In der Schweiz haben Komiker wie Bendrit Bajra mit dem Parodieren der Stereotypen von Schweizern und Ausländern grossen Erfolg. Dabei spielen in gewissen Subkulturen, wie etwa der Schweizer Hip-Hop-Szene, Herkunft und Religion schon heute praktisch keine Rolle mehr. Auf der institutionellen Ebene steht die Schweiz in der Rassismusbewältigung jedoch noch vor grossen Herausforderungen. So hat über ein Viertel der Bevölkerung in der Schweiz noch immer kein Stimm- und Wahlrecht—und das in einer der ältesten Demokratien der Welt.

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