Peter Singer ist der Papst der Tierrechtsszene und würde auch ein Baby foltern

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Peter Singer ist der Papst der Tierrechtsszene und würde auch ein Baby foltern

Gestern Abend bekam er einen Preis für sein Lebenswerk und niemand war so richtig zufrieden

Peter Singer hat am Dienstagabend den „Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleitminderung" vom Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V. erhalten und will den damit verbundenen 10.000 Euro-Preis an eine amerikanische Website spenden, die er berät. Der intellektuelle Teil der Tierrechtsszene feiert also sich selbst und ihren „wichtigsten Philosophen", wie an diesem Abend immer wieder betont wird.

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Und tatsächlich hat Singer mit Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere von 1975 das philosophische Manifest der Bewegung geschrieben und gilt damit als Begründer der Tierethik. 1979 veröffentlicht er dann Praktische Ethik, wo er seine Philosophie weiterentwickelt und Lebewesen in drei Kategorien einteilt: nicht bewusste (Pflanzen zum Beispiel), bewusste Wesen, die Schmerz empfinden können, und schließlich selbstbewusste Wesen, eine Kategorie, in die zum Beispiel Menschen, aber auch Menschenaffen gleichberechtigt fallen. Singer sagt, dass das Leid von bewussten Wesen bedacht und vermieden werden sollte, und stellt das Töten von Menschen und Menschenaffen (oder anderen Tieren, die sich ihrer selbst bewusst sind) auf die gleiche Stufe. Soweit so gut. Singers Logik nach gibt es eine Hierarchie der „Schuld", ein selbstbewusstes Wesen zu töten, ist schlimmer, als ein bewusstes zu töten. Aber dann wird's schon eher unangenehmer. Denn laut Singer sind beispielsweise Neugeborene oder Menschen, die mit schweren Behinderungen geboren werden, erstmal nur bewusste Wesen. Demzufolge ist es weit schlimmer, einen erwachsene Affen umzubringen als ein neugeborenes Baby.

VIDEO: SOKO Tierschutz, unterwegs mit militanten Tierrechtlern

Das alles kann man auf einer abstrakten, erkenntnistheoretischen Ebene natürlich diskutieren und man kann nicht abstreiten, dass Singer auf diesem Gebiet viel für Tiere, Tierhaltung und Veganismus getan hat. Nur leider bleibt er nicht in seinem aus Plastik nachgebildeten Elfenbeinturm und denkt nach. Singer sucht die Öffentlichkeit und schafft es in schöner Regelmäßigkeit, sich selbst und seine Arbeit zu diskreditieren. Erst letzten Sonntag veröffentlichte die NZZ ein Interview, in dem er sagt, dass die Welt ohne behinderte Menschen eine besserewäre, und sich in bizarren Vergleichen darüber verstrickt, welches Leben „lebenswerter" ist.

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Die Abordnung vom Marsch für das Leben musste auf dem Mittelstreifen vor dem Veranstaltungsgebäude gegen Peter Singer protestieren.

Schon früher hatte er sich negativ über Menschen mit Trisomie 21 geäußert und auch diesmal sagt er: „Die Kinder können ziemlich glücklich sein. Manchmal leiden aber die Eltern, wenn sie Erwartungen hatten, die sich nicht erfüllen, und sich zum Beispiel Enkel wünschen. Dann ist es schwierig zu entscheiden, ob ein Leben besser oder schlechter ist." Denn Singer ist Utilitarist, grundsätzlich ist er der Meinung, dass etwas, das möglichst vielen Menschen gut tut, über etwas steht, das nur einzelne begünstigt. Das Leid der Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 darüber, dass sie womöglich keine Enkel haben können, hat also Auswirkungen darauf, ob das Leben ihres Kindes gut oder schlecht ist.

Für Singer hat das alles mit einer Rechnung zu tun. Je mehr jemand leidet oder Leid verursacht (auch wirtschaftlich), desto weniger Wert hat diese Person für die Gesellschaft und desto weniger „lebenswert" ist das Leben der Person. Das zeigt sich dann auch in der Antwort auf eine Frage zur Sterbehilfe, die Singer befürwortet. Gefragt, ob die komplette Legalisierung von Sterbehilfe Druck auf alte Menschen ausüben könnte, sich umzubringen antwortet er: „Das kann passieren. Aber es kann auch hilfreich sein für Leute, die genug haben. Empfindet sich jemand als Belastung für seine Familie, ist es nicht unbedingt unvernünftig, dass er sein Leben beendet. Wenn seine Lebensqualität eher schlecht ist und er sieht, wie seine Tochter viel Zeit aufwendet, um sich um ihn zu kümmern, und dabei ihre Karriere vernachlässigt, dann ist es vernünftig, ihr nicht weiter zur Last fallen zu wollen."

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Genauso wäre es seiner Meinung nach richtig, ein Baby zu foltern, wenn dadurch die Menschheit dauerhaft glücklich werden würde.

Von alldem wollte der Förderverein, der Peter Singer nach Berlin geladen hat, um ihm einen Preis zu verleihen, aber nichts wissen. Wahrscheinlich utilitaristisch gedacht wiegen Singers Leistungen, Tierleid zu vermindern, alles andere auf. Deswegen wollte man auch keine Interviews mit dem Philosophen vergeben, sicherlich einerseits aus Angst, Singer könnte kopfüber in weitere Fettnäpfchen springen, aber auch deswegen, weil man nicht weiter über Singers Meinung zu Embryos und behinderten Kindern diskutieren wollte.

Das entsprach aber nicht der Meinung der sehr bunt aufgestellten Gegendemonstranten. Behindertenverbände hatten zur Demo aufgerufen, Feministinnen und linke Gruppen, denen Singers „Nützlichkeits-Philosophie" zu weit in Richtung Euthanasie geht. Gleichzeitig protestierten auch erklärte Abtreibungsgegner und außerdem noch ein Gruppe gegen die Gegendemo, weil: Meinungsfreiheit.

Richard (25), einer der Gegen-Gegendemodemonstranten ist Philosophiestudent und erklärt, dass es seiner Meinung nach die Meinungsfreiheit verletzt, wenn die Veranstaltung verhindert würde (was mit den relativ wenigen Demonstranten auf dem von der Polizei abgeriegelten, sehr großen Platz vor dem Veranstaltungsgebäude ohnehin nicht zu machen gewesen wäre). Für ihn gehört es dazu, auch Meinungen zu hören, die problematisch sind und er folgt der Argumentation des Fördervereins, dass es hier eben um Tierrechte geht und nicht um die anderen Aspekte von Singers Philosophie. Corinna (64) ist Pädagogin, hat infantile Zerebralparese und sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Sie findet Meinungsfreiheit schön und gut, glaubt aber, dass die Menschenwürde wichtiger ist und unterstützt demnach die Gegendemo.

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Polizisten sperrten den Platz vor der Urania ab, um die Veranstaltung ungestört stattfinden zu lassen.

Aufgrund der Kontroverse um Singer hatte sich die Berliner Urania, der Veranstaltungsort der Preisverleihung, entschlossen, bei der Preisverleihung selbst Singer-Gegner zu Wort kommen zu lassen. Neben dem Contergan-Geschädigten Johannes Igel auch Gerhard Steier, den Anmelder des Marsches für das Leben, einer Veranstaltung, bei der christliche Fundamentalisten und andere Reaktionäre gegen Abtreibungen demonstrieren.

Abgesehen von diesen beiden, im Fall von Steier, extrem konservativen Stimmen (der sich immerhin zusammen mit Singer als Opfer der „Meinungsdiktatur" sah), ging der Plan des Fördervereins auf. Die einzigen Themen des Abends waren Peter Singer und damit Tierrechte. Behinderte Menschen, Euthanasie, Sterbehilfe und kranke Babys waren der Elefant im Raum, über den bis zuletzt keine Wort verloren wurde.

Peter Singer, gerade vom Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V mit dem Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleitminderung ausgezeichnet

Stattdessen zählte jeder der Redner (unter anderem Maneka Ghandi, Ministerin für Frauen und Kinder in Indien) die eigenen Verdienste in Sachen Tierschutz und Tierrechte litaneienhaft auf. Ein EU-Abgeordneter, der für die Tierschutzpartei gewählt wurde, mittlerweile ausgetreten und parteilos im Parlament, berichtete über einen Auftritt vor europäischen Kaninchenzüchtern. Die Moderatorin Melanie Joy, die den Begriff „Carnism" geprägt hat, las ein Grußwort vor, in dem Rassismus und Sexismus mit dem Leid von Tieren gleichgesetzt wurden, und Singer selbst verglich den Kampf um Tierrechte mit der Abschaffung der Sklaverei.

Die gesamte Veranstaltung hinterließ einen ziemlich faden Beigeschmack, egal ob von der Polizei abgedrängte Menschen im Rollstuhl, reaktionäre Lebensschützer, von sich selbst überzeugte Politiker oder der Unwillen, auch die unangenehmen Aspekte im Werk eines Philosophen zu betrachten.

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