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Die längste Wahl der Welt

Friendly Reminder: Wir sind nicht die einzige westliche Demokratie, die Wahlen verkackt

Würde man überall so wenig Toleranz gegenüber Fehlern zeigen wie in Österreich, würde man wahrscheinlich permanent von Wahlwiederholungen lesen.
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Seit der Verschiebung der Wiederholung des zweiten Durchgangs der Präsidentschaftswahl scheinen sich in Österreich zumindest alle in einer Sache einig zu sein: nämlich dass wir uns in der politischen Welt endgültig zum Affen gemacht haben. Während Schweizer Druckereien schon verkünden, dass sie problemlos alle nötigen Kuverts für unsere Wahl innerhalb von 24 Stunden drucken könnten, befürchtet man bei uns, als jenes Land im kollektiven Gedächtnis zu bleiben, in dem die offizielle Wahl-Auskunft dazu auffordert, kaputte Kuverts mit Uhu zuzupicken.

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Aber sind wir in unserer Unfähigkeit, als (eigentlich) gut funktionierende Demokratie eine landesweite Wahl niet- und nagelfest auf die Beine zu stellen, tatsächlich so eine Ausnahme?

Wenn man nach anderen Ländern Ausschau hält, bei denen Wahlen in den letzten Jahren ebenfalls wiederholt oder verschoben werden mussten, dann stößt man tatsächlich erst mal auf Staaten, mit denen man sich als mitteleuropäische Demokratie sonst eher ungern vergleicht. Nigeria zum Beispiel—im einwohnerreichsten Staat Afrikas wurden im Frühjahr 2015 die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen massiver Sicherheitsbedenken neu angesetzt.

Um anschaulich zu machen, auf welchem demokratischen Level wir uns hier bewegen: Der größte Erfolg dieser Wahl war eigentlich die Tatsache, dass ein amtierender Präsident seine Niederlage bei einer Wahl überhaupt eingestand und freiwillig das Amt abgab—wenn auch an einen ehemaligen Militärdiktatoren. Obwohl die Wahl überhaupt erst wegen der großen Sicherheitsbedenken verschoben worden war, war auch der zweite Termin von Entführungen und Morden an Wahlhelfern überschattet.

Vor einer Wiederholung der Präsidentschaftswahlen steht neben Österreich aktuell außerdem Haiti—das ärmste Land des amerikanischen Doppelkontinents, dessen Infrastruktur durch das verheerende Erdbeben 2010 weitgehend zerstört wurde. Hier sollte man vermutlich anmerken, dass es—anders als in Österreich—tatsächlich eindeutige Hinweise auf massiven Wahlbetrug gab. Zu früh ausgezählte Wahlkarten und Probleme mit dem Klebstoff von Briefkuverts wären dort vermutlich das geringste Problem.

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Tatsächlich kommt es aber nicht nur bei Wahlen in krisengebeutelten Ländern zu Problemen oder Ungereimtheiten—auch in gut funktionierenden und erfahrenen Demokratien ist das bei praktisch jeder Wahl der Fall. Das bestätigte uns in einem Interview auch OSZE-Wahlbeobachter Gunther Neumann: Oft würden Beisitzer und Vorsitzende in den vermeintlich fortschrittlicheren Staaten die Aufgaben sogar weniger ernst nehmen als jene in Ländern, die sich demokratische Wahlen gerade erst erarbeitet hätten.

Diese Unregelmäßigkeiten oder Schlampereien haben im Westen aber so gut wie nie die Konsequenz, dass Wahlergebnisse gänzlich für ungültig erklärt oder verschoben werden. Hätte man immer und überall so wenig Toleranz gegenüber Fehlern gezeigt, wie man es aktuell in Österreich tut, wäre man es wahrscheinlich gewohnt, alle paar Monate von Wahlwiederholungen- oder Verschiebungen zu lesen.

In Deutschland etwa wurden vor den Bundestagswahlen 2005 von einer privaten Firma 50.000 Briefwahlunterlagen falsch verschickt. Trotz aller Bemühungen, das Problem zu beheben, waren letztendlich über 10.000 Stimmen ungültig—im Österreich von 2016 wären das 10.000 Gründe für eine Wahlanfechtung. Damals stand eine Anfechtung zwar im Raum, passierte aber nicht. Auch bei der letzten Bundestagswahl häuften sich Berichte über veraltete, falsch- oder nicht zugestellte Briefwahlkarten.

Von noch viel gröberen Problemen wurde bei den extrem knappen Parlamentswahlen in Italien 2006 berichtet—unter anderem wurden Urnen voller Stimmzettel in Rom auf der Straße gefunden. Silvio Berlusconi witterte damals—angesichts einer sich anbahnenden Niederlage—Wahlbetrug von Seiten der Opposition, und akzeptierte seine Niederlage erst einmal nicht. Vor allem die im Ausland abgegebenen Stimmen waren dem Rechtspopulisten damals ein Dorn im Auge. Nach einer Neuauszählung mussten tausende Stimmen annulliert werden—Berlusconis Forza Italia landete trotzdem nur auf dem zweiten Platz; die Macht behielt er bekanntlich noch einige Jahre. Im ärmeren Süden des Landes ist Stimmenkauf durch die Mafia vor allem bei regionalen Wahlen übrigens immer noch ein massives Problem. In Großbritannien wies Regierungspolitiker und Anti-Korruptions-Beauftragter Eric Pickles [laut Guardian](wie der Guardian berichtet) erst kürzlich darauf hin, dass sich die offiziellen Stellen offensichtlich nicht eingestehen wollen, in welchem Ausmaß dort immer noch Wahlmanipulation und Bestechung existieren. Die wenigen berichteten Fälle von Wahlbetrug in jüngerer Zeit könnten nur die Spitze eines Eisberges sein, so der Grundtenor.

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Aber in den USA scheinen Pannen bei Wahlen nochmal eine andere Dimenion und Regelmäßigkeit zu haben. Das bekannteste Beispiel dafür waren die massiven Unregelmäßigkeiten bei Präsidentschaftswahlen 2000, in deren Folge George W. Bush letztendlich auf kuriose Art und Weise gegen Al Gore gewann.

Man braucht in den USA aber gar nicht so weit in die Vergangenheit zu blicken: Bei den diesjährigen Wahlen um die Präsidentschaftskandidatur gab es Berichte von fast schon absurden Schlampereien—insbesondere bei der Entscheidung zwischen den demokratischen Kandidaten Clinton und Sanders im extrem wichtigen (weil einwohnerreichsten) Bundesstaat Kalifornien.

Völlig chaotische Zustände in Wahllokalen, kaum bis gar nicht geschulte Wahlvorsitzende und unzählige Wähler, die aufgrund von fehlerhaften Listen nach Hause geschickt wurden, waren hier nur einige der Probleme. Fast ein Monat nach dem Wahlkampf waren eine halbe Million Stimmen immer noch nicht ausgezählt, berichtete die New York Times. Wie umfassend das Chaos bei der kalifornischen Pre Election war, hat der Poltiblog The Yung Turks in einer Dokumention zusammengefasst:

Keine Ahnung, ob es irgendjemanden tröstet, aber der österreichische Hallodri scheint bei genauerem Hinschauen jedenfalls gar nicht so spezifisch österreichisch zu sein. Stellt euch trotzdem darauf ein, dass auch bei der verschobenen Wiederholung der Stichwahl um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten irgendwelche Pannen passieren werden—hoffentlich diesmal ohne größeres Ausmaß oder Konsequenzen.

Tori auf Twitter: TorisNest