Die Grossmütter, die am WEF gegen den Klimawandel protestieren

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Politik

Die Grossmütter, die am WEF gegen den Klimawandel protestieren

Sie verteilen selbstgebackene Kekse an die politische und wirtschaftliche Elite und posieren mit selbstgemalten Transparenten.

Alle Fotos vom Autoren Die Stimmung im Zug nach Davos erinnert an einen Schulausflug – wäre da nicht das Alter. Acht Damen, allesamt über 60 Jahre alt, erzählen sich Witze, tauschen Proviant und bemalen Transparente mit Slogans wie "Let Us Breathe" oder "Act On Climate Change Now". Sie wollen am Weltwirtschaftsforum protestieren, um von der globalen wirtschaftlichen und politischen Elite ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz einzufordern. Immerhin steht das WEF dieses Jahr unter dem Motto "Responsive and Responsible Leadership".

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Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2014 führen Hitzeextreme gerade bei älteren Frauen schneller zu Dehydrierung, Bewusstlosigkeit sowie Herz- und Kreislaufproblemen. Deswegen haben sich engagierte Seniorinnen aus der ganzen Schweiz zusammengetan, um vom Bundesrat ihr Grundrecht auf Gesundheit einzufordern—mit einer juristischen Klage gegen das Bundesdepartement für Verkehr, Umwelt und Energie. "Die Klage liegt noch immer bei Doris Leuthard auf dem Tisch", erklärt mir Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen.

In Davos angekommen, wickeln sich die Seniorinnen die Transparente als Schals um den Hals, um bei den zahllosen zivilen und uniformierten Sicherheitskräften keinen Verdacht zu wecken. Sie machen sich auf zu ihrem Ziel, der letzten Sicherheitsschleuse vor dem Eingang des WEF. Auf den Dächern des Davoser Dorfkerns sind Scharfschützen stationiert.

Einige Meter unter ihnen verteilen die Seniorinnen ihre selbstgebackenen Kekse in Globusform an die WEF-Besucher, um sie an ihre Verantwortung für den Planeten zu erinnern. Mir fällt auf: Viele westliche Teilnehmer lehnen die Kekse dankend ab. Die meisten Besucher aus asiatischen und afrikanischen Ländern nehmen die teighaltigen Erdkugeln erfreut entgegen.

Nach einem kurzen Spaziergang kommen die Klimaseniorinnen an ihrem Ziel an, wo sie sich schnell versammeln und ihre mit Slogans versehenen Schals in die Luft halten. Plötzlich geht alles sehr schnell: Eine Polizistentraube formt sich um die überraschten Seniorinnen. Der Polizeisprecher erklärt ihnen, dass sie hier keine Parolen verbreiten dürften. Ein anderer Polizist weist mich an, keine weiteren Fotos zu schiessen.

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Obwohl die Seniorinnen ihren Charme spielen lassen, werden sie von der Polizei entschlossen weggewiesen. Nach ein paar weiteren Protestversuchen, auf die die Polizei mit einem noch grösseren Aufgebot antwortet, beschliessen die Aktivistinnen, nur noch die mitgebrachten Globuskekse zu verteilen und anschliessend mit dem nächsten Zug nach Hause zu fahren.

Auf der Zugfahrt habe ich Zeit, mich ausführlicher mit den Aktivistinnen zu unterhalten und mehr darüber zu erfahren, wieso sie lieber gegen den Klimawandel kämpfen, als ihr wohlverdientes Seniorenleben mit Nichtstun zu geniessen.

Dominique Blazy Rime, Alter unbekannt

VICE: Der Polizist hat Ihnen den Schal weggenommen. Was hat das bei Ihnen ausgelöst
Dominique Blazy Rime: Es war ein komisches Gefühl, als fast zehn Polizisten in einem Kastenwagen angefahren kamen, nur weil ich einen Schal in die Luft hielt, auf dem "Let Us Breathe" drauf stand. Der Polizist sagte bloss "Fertig jetzt!" und nahm mir den Schal weg. Naja, vielleicht war er einfach neidisch.

Denken Sie, er wird ihn selber tragen?
Das sollte er, denn der Schal ist wirklich schön, fast schon ein Kunstwerk. Oder er könnte ihn auch seiner Frau schenken.

Sie arbeiteten früher als Journalistin. Was halten sie von der heutigen Berichterstattung über den Klimawandel?
Nicht viel. Zu viele Medien sprechen nur über oberflächlichen Kleinigkeiten, nicht über die wirklich wichtigen Dinge. Aber die Klimaerwärmung braucht politische und wirtschaftliche Lösungen. Und wer legt sich heute noch mit der Wirtschaft an?

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Sie?
Nein, ich lebe einfach. Ich will nicht streiten. Ich bin glücklich und gesund. Vielleicht trinke ich ab und zu ein Bier, aber ich bin letzthin 200 Kilometer in einer Woche gelaufen. Ich weiss nicht, ob Sie das schaffen.

Marie-Claire Comment, 67

VICE: Das wievielte Mal haben Sie heute demonstriert?
Marie-Claire Comment: Ich habe in meinem Leben an zahlreichen Demos teilgenommen. Unter anderem gegen die Atomkraft, für Flüchtlinge und gegen das globale Nord-Süd-Gefälle. Ich engagiere mich zudem für die Erklärung von Bern / Public Eye.

Wie hat sich das öffentliche Bewusstsein in den letzten Jahren verändert?
Im Bezug auf das Klima hat es sich, denke ich, verbessert. Im Bezug auf die Politik und die globale Ungleichheit hat es sich verschlechtert.

Was ist Ihre Botschaft an die Jugend?
Wenn man leben will, muss man interessante Fragen stellen. Bleibt am leben, sonst ist es nicht interessant, sonst sind wir alle tot.

Wieso dürfen bei Ihnen eigentlich nur Frauen mitmachen? Mögen sie keine Männer?
Doch, natürlich. Aber ältere Frauen leiden stärken an der Klimaerwärmung als Männer, deswegen. Für die Klage beim Bund musste die Betroffenheit erfüllt sein.

Rosmarie Wydler-Wälti, 66

VICE: Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit Umweltfragen?
Rosmarie Wydler-Wälti: Schon lange. Ich bin eine Alt-68erin. Die Bewegung entstand, als wir erfolgreich das AKW-Kaiseraugst verhindern, danach kam der Grossbrand von Schweizerhalle, als sich der Rhein rot färbte. Ich habe aber auch immer wieder an kleineren Projekten mitgewirkt, wie etwa im Quartier Aluminium zu sammeln.

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Warum machen Sie sich überhaupt die ganze Mühe? Sie könnten doch auch einfach ihren Lebensabend geniessen.
Ich bin noch fit und will etwas Sinnvolles tun mit meiner Zeit. Zudem lerne ich durch diese Arbeit viele interessante Menschen kennen. Für mich ist es selbstverständlich, mich zu engagieren. So setze ich mich in der Partei der integralen Politik unter anderem auch dafür ein, dass in der Schule mehr Wert auf Spiritualität, Körperbewusstsein und Ernährung gelegt wird – und nicht wie heute alles auf die Wirtschaftstauglichkeit der Schüler ausgelegt wird.

Ihr Verein hat beim Bundesrat eine Klage wegen Unterlassung von Handlungen für den Schutz der Gesundheit eingereicht. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir erhoffen uns davon, dass der Bundesrat dem Parlament Gesetzesverschärfungen im Bezug auf CO2-Abgaben, den Flugverkehr oder die Sanierung von Häusern unterbreiten wird. Da gewisse Parteien dann wahrscheinlich ein Referendum ergreifen würden, sind wir auch bereit dazu, das weiter bis nach Strasbourg zu ziehen. Die Paragraphen 8 und 10 der Menschenrechtskonvention garantieren ein Recht auf Leben, auf Unversehrtheit.

Anne Mahrer, 68

VICE: Wie oft haben Sie schon an Aktionen wie der von heute teilgenommen? 
Anne Mahrer: 
In Davos war ich zum ersten Mal. Aber an anderen Orten schon etliche Male. Vor allem gegen die Atomkraft habe ich oft demonstriert.

Wenn alle Menschen auf unserem Wohlstandslevel leben würden, bräuchten wir mehrere Planeten für die Ressourcen. Welches Opfer erfordert diese Entwicklung von uns?
Ich glaube nicht, dass es ein Opfer erfordert. Wir können auch einfach viel effizienter mit Energie umgehen. Also unseren Standard halten und trotzdem viel weniger verbrauchen.

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Wie denn?
Zum Beispiel mit besser isolierten Häusern, mit Hydro-Energie oder besseren Verkehrsrouten. Das sind keine Opfer.

Edith Hiltbrand, 79

VICE: Wann und wie sind Sie zur Umweltbewegung gekommen?
Edith Hiltbrand: In den 80er-Jahren durch Literatur. Ich habe Haben oder Sein von Erich Fromm gelesen. Danach habe ich meine politische Einstellung komplett geändert. Vorher war ich FDP-Wählerin und bin Porsche gefahren.

Den Porsche haben Sie verkauft?
Ja, schon lange. Als in mir die Grünen-Bewegung startete.

Und jetzt fahren Sie einen Tesla?
Nein, gar nichts mehr.

Wie nehmen Sie das Umweltbewusstsein der jungen Generation wahr?
Bei den Jungen, mit denen ich zu tun habe, ist das kaum ein Thema. Es betrifft sie nicht so stark. Vielleicht die heissen Sommer oder wenn im Winter der Schnee fehlt. Aber das ist jeweils nur eine momentane Betroffenheit.

Beatrix Braun, 66

Sind Sie zufrieden mit der Aktion heute?
Ja, aber ich bin schon etwas erstaunt, wie schnell die Polizei eingeschritten ist. Die hätten ja eigentlich merken sollen, dass wir keine Gefahr darstellen. Aber es war eine interessante Erfahrung, es ist immer besser, etwas zu machen, als gar nichts zu machen.

Denken Sie, Ihre Nachricht ist bei den Leadern angekommen?
Nein, ich denke nicht. Aber die Aktion war ja auch medienwirksam, so wird sich die Nachricht verbreiten. Das wird bei den Leuten auch etwas bewirken.

In was für einer Welt werden Ihre Enkelkinder einmal leben?
Die Schweiz baut munter weiter. Immer mehr und mehr. Ich bin nicht mehr so optimistisch wie auch schon. Ich denke, unsere Kinder müssen bald wie in Australien einen Sonnenschutz tragen, wenn sie baden gehen wollen. Ich bin sonst optimistisch, aber in 100 Jahren möchte ich nicht mehr hier leben.

Was ist Ihre Botschaft an die Jugend?
Macht nicht dieselben Fehler wie wir. Autofahren, immer nur an die Wirtschaft denken. Immer schneller, immer weiter, etc. Denkt an die Natur und an eure Gesundheit. Ich hatte selber lange geraucht. Heute wisst ihr ja viel besser Bescheid als wir damals, aber ihr raucht ja munter weiter. Ich hoffe, so wird es nicht auch in Bezug auf die Umwelt sein. Lebt bewusster.

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