Foto mit Handy und Screenshot der App
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Sexapp

Ich habe Erika Lusts Sex-App ausprobiert, um mein Leben zu bereichern

Das Paar-Tinder machte mich vor allem: horny.

Erika Lust ist die Feministin der Pornoindustrie: Sie setzt sich für Minderheiten ein und kämpft gegen jede Art von Frauenfeindlichkeit. Lust ist eine Pionierin des feministisches Pornos, sie schreibt, führt Regie und produziert ihre Filme selbst. Sie öffnet Frauen auf der ganzen Welt die Türen in die Pornografie.

Jenen Frauen, die abgeturnt sind von fleischigem Gerammel und schlechten Dialogen und die keine Lust haben, sich hektische und schreiende Paare beim Sex anzugucken, die so gar nichts mit der Realität zu tun haben. Ich bin eine dieser Frauen.

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Seit 2013 produziert Erika Lust die Serie XConfessions, Kurzfilme, die auf wahren Geschichten und Fantasien beruhen. Auf ihrer Website kann man diese ganz einfach einsenden und Lust macht einen Porno daraus. Seit Kurzem gibt es zu dieser Serie eine zugehörige App. "XConfessions" soll Paaren die Möglichkeit geben, sich über ihre sexuellen Wünsche und Sehnsüchte auszutauschen, ganz ohne dieses peinliche Gestammel nachts nach einer Flasche Wein. Das ganze funktioniert so: Man bekommt verschiedene sexuelle Vorschläge, die man an- oder ablehnen kann. Swipen beide Partner nach rechts, gibt es ein Match. Also Paar-Tinder für besseren Sex. Ich bin neugierig.

"Eine faire und offene Kommunikation ist in einer Partnerschaft das A und O", sagt die Psychologin und Paartherapeutin Ilona von Serényi. Stimmt. Obwohl mein Freund und ich noch nie Probleme mit unserer Kommunikation hatten, bin ich gespannt, ob ich etwas Neues über seine Sehnsüchte erfahre. Oder über meine. Gespräche über unser Sexleben laufen sonst eher pragmatisch ab: "Bock auf 'nen Dreier?" "Nö." "OK." Keine Ahnung, ob das eine faire und offene Kommunikation ist, aber es funktioniert. Noch wichtiger ist laut von Serényi die emotionale Selbstöffnung in der Partnerschaft, also "das Mitteilen von Sorgen, Bedürfnissen, Zielen, Eindrücken und Erfahrungen, die einem persönlich wichtig sind zu verstehen. Je häufiger und je mehr sich beide Partner mit emotionaler Selbstöffnung begegnen, desto mehr Nähe und Intimität kann in der Beziehung entstehen." Mal sehen, ob "XConfessions" da helfen kann.

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Ich überrede also meinen Freund, der vorher noch nie etwas von Erika Lust gehört hatte, mit mir die App auszuprobieren. Das war nicht ansatzweise so schwer, wie ich dachte, und nachdem wir uns beide auf unseren iPhones angemeldet haben, geht es direkt los: Ein lila-farbener Hintergrund und weiße Kästchen – im Gegensatz zur feuerroten Tinder-Flamme, die man schon beim heimlichen Blick über fremde Schultern erkennen kann, ist das hier deutlich diskreter.

Es beginnt harmlos und genau so, wie ich die Vorschläge erwartet habe. Doktorspiele, Dreier, Dirtytalk. Von mir aus. Was ich mag: Jede Karte hat ein neues Design, eine Illustration oder ein Wortspiel. Was ich nicht mag: Bis jetzt ist nichts wirklich Innovatives dabei. Und noch kein Match.

Am nächsten Tag nerve ich meinen Freund regelmäßig, mehr zu swipen. Wir haben noch immer kein Match. Die Vorschläge reichen von Rollenspiel (Wow!) über Periodensex und ich sehe mich schon an diesem Artikel verzweifeln. Schnell gibt es keine neuen Vorschläge mehr, das kann es doch nicht gewesen sein.

Es wäre keine Erika-Lust-Produktion, wenn nicht ein paar absurde Vorschläge dabei wären. Schließlich steht Diversität bei ihr an erster Stelle. Das bedeutet auch, dass jeder Wunsch und jeder Fetisch gehört werden. Man weiß nicht, was manche dieser Sehnsüchte in der App verloren haben, aber hier ein paar der "XConfessions"-Highlights:

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Foto: Screenshot der App | Collage: VICE

Lass uns ein Baby machen! (Ich glaube nicht, dass man so etwas über eine App klären sollte. Wenn man nicht über einen Kinderwunsch kommunizieren kann, dann läuft sowieso etwas falsch.)

Lass uns Polyamor werden. (Auch irgendwie eine Sache, die man nicht über eine App planen sollte.)

Ich habe eine Fernbedienung und du den Vibrator in deiner Hose – beim nächsten Familienessen? (Und Mr. Grey empfängt Sie jetzt! Das klingt mir ein bisschen zu sehr nach Filmklischee …)

Du überraschst mich in der Dusche (Ist es noch eine Überraschung, wenn Erika sie für uns plant?)

Dann endlich das erste Match: "dominate me". Ich will, dass du mich eine Nacht lang dominierst. Ich muss dir gehorchen und um deine Aufmerksamkeit und deine Erlaubnis bitten. Ich rufe meinen Freund an, um das erste Match zu feiern. Wir sind allerdings nicht sicher, wer von uns jetzt wen dominieren muss und darf. Die App zwingt uns also, jetzt doch direkt zu kommunizieren. Obwohl Paartherapeuten das für sehr wichtig halten, war doch Sinn der App, genau diese Gespräche zu vermeiden.

Nach und nach landen immer mehr Karten in der "Match"-Spalte, von Sex auf Clubtoiletten über Quickies. Ein wenig enttäuscht sind wir beide über die Auflösung der Karten. Die App zelebriert die Matches nämlich nicht, sondern steckt sie still und heimlich in eine separate Spalte. Von Erika Lust hätte ich eher Konfetti und fliegende Vulven erwartet. Da sind Tinder-Matches aufregender.

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139 Mal haben die Deutschen durchschnittlich Sex im Jahr, findet eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung im Jahr 2017 heraus. Das ist ungefähr so oft, wie ich in den letzten zwei Tagen an Sex gedacht habe.

Schuld daran ist auf jeden Fall die App, die mich permanent in jeder Situation daran erinnert, was ich gerade alles tun könnte. Meinen Freund zwischen meine Brüste kommen lassen, zum Beispiel.

Ich beobachte eine sexuelle Spannung zwischen meinem Freund und mir. Eines muss man der App also lassen, sie regt die Fantasie an und bringt viel Inspiration. Es ist ein bisschen wie diese Tasty-Videos auf Facebook, die einen irgendwann heißhungrig machen. Auch wenn ich nicht wirklich neue Stellungen oder Fetische über "XConfessions" kennengelernt habe, immerhin wurde ich permanent daran erinnert, dass Sex existiert und was man am Abend so alles tun kann. Außerdem bin ich mit meinen Sehnsüchten nicht alleine. Wenn mein Freund und ich Pläne für den Abend machen, wissen wir beide, was passieren wird und was der andere mag. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Die Umsetzung übrigens auch.

Ich bin nicht sicher, ob die App wirklich schon bei Paaren eine sexuelle Revolution hervorgerufen hat. Falls doch, umso besser. Rezensionen zur App gibt es leider noch keine, bis auf diese hier. Deshalb lasst euch sagen: Ich hatte Spaß.

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