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Populismus

G20: CDU will, dass Studenten sich gegenseitig bespitzeln

Außerdem wollen sie linken Gewalttätern Hartz IV entziehen.
Foto: imago | Christian Mang

1.150 Polizisten hatte Baden-Württemberg nach Hamburg zum G20-Gipfel geschickt, 73 von ihnen wurden dabei verletzt. "Da können wir als Politik nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, das muss aufgeklärt werden", fordert der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Blenke. Die CDU-Landtagsfraktion hat im Ländle eine "Große Anfrage" an die Landesregierung gestellt, sie will Antworten auf folgende Fragen: "Wie viele Züge wurden gezielt für Fahrten von Studierenden nach Hamburg anlässlich des G20-Gipfels eingesetzt?" Und: "Sind den Universitäten Aufrufe unter Studierenden bekannt, im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel nach Hamburg zu fahren? Welche Gruppierungen, Vereinigungen, Organisationen haben diese Aufrufe verfasst und verteilt?" Und sogar: "In welchen Städten mit Hochschulen machten Züge, die zur Fahrt nach Hamburg eingesetzt wurden, Halt?" Thomas Blenke und seine Kollegen interessieren ausgesprochen für "Personen im universitären Umfeld", weil sich "linksextremistische Aktivitäten vor allem in Universitätsstädten" abspielen würden, sagt Blenke. Das sei ein Fakt.

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Die Landesregierung – der die CDU selber angehört und bei der sie den Innenminister stellt – ist verpflichtet, innerhalb von sechs Wochen darauf zu antworten. Und weil die Landesregierung die Antworten auch nicht kennt, hat sie die Fragen einfach an die Universitäten weitergeleitet. Vom Wissenschaftsministerium, das von den Grünen geleitet wird, gibt es schon einen Vorgeschmack auf die Antwort: "Wir überwachen keine Studierenden", sagte ein Sprecher am Freitag. Und es sei nicht zu vergessen, dass es das Demonstrationsrecht gibt und das Recht auf freie Meinungsäußerung.


Auch bei VICE: Das war die Gewalt beim G20-Gipfel


Was Kritikern mehr Sorge bereitet als die Fragen an sich, ist der Subtext, den sie haben. Jeder Student, der zu G20 angereist ist, wird pauschal erst einmal als "Linksextremist" – also als Gewalttäter – dargestellt oder zumindest in deren Nähe gerückt. Die stellvertretende DGB-Landesvorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf wehrt sich gegen solche Urteile: "Die CDU-Fraktion versucht, Studierende aus dem Land durch einen Pauschalverdacht in eine linksextremistische Ecke zu schieben." Dabei sind die angereisten Demonstranten zunächst einfach Menschen, die ihre Grundrechte wahrgenommen haben. Im deutschen Strafrecht wird immer nur individuelle Verantwortung sanktioniert, Straftaten müssen einzelnen Demonstranten gegebenenfalls nachgewiesen werden. Stattdessen alle unter Generalverdacht zu stellen, kriminalisiert den Protest. "In dieser Anfrage schwingt ein gehöriges Misstrauen und ein großes Maß an Vorbehalten gegenüber mündigen Studierenden und ihren Vertretungen mit, die öffentlich ihre politische Meinung kommunizieren und ihr Bürgerrecht wahrnehmen", sagte Tabea Häberle, Landeskoordinatorin der Juso-Hochschulgruppen gegenüber dem SWR, der zuerst berichtet hatte. "Wer zum G20-Gipfel gefahren ist, um dort zu demonstrieren, friedlich seine Meinung auszudrücken, geht eine demokratische Fraktion nichts an. Wir haben Verständnis, dass die Polizei die Gewalttäter finden will – aber wer an Demos teilnimmt, ist noch lange kein Straftäter. Diese Unterstellung ist schädlich für unsere Demokratie", sagte Tenko Bauer vom Studierendenrat in Heidelberg gegenüber dem Sender.

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Bauer ist besorgt, in welche Richtung sich das politisch bewegt. Der Studentenvertreter sieht Studenten zu Bespitzelung aufgefordert. Was komme wohl als Nächstes? Der Wunsch, Namen zu nennen? Die Kritik äußert auch der Innenpolitiker der Grünen, Uli Sckerl. "Es kann aber nicht darum gehen festzustellen, wer insgesamt aus Baden-Württemberg an den friedlichen Demonstrationen in Hamburg teilgenommen oder diese Fahrten organisiert hat", findet Sckerl.

Die CDU hat wohl auch nicht ernsthaft erwartet, auf all ihre Fragen eine erschöpfende Antwort zu bekommen. Das Bundesland erhebt natürlich keine Daten zu den Reisen ihrer Studenten. "Wenn dem so wäre, dann hätten wir ein datenschutzrechtliches Problem", so der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink. Der Irrwitz dieser Anfragen ist wohl auch der CDU klar. Als Thomas Blenke von der CDU danach gefragt wurde, warum er nach der Anzahl der Zügen gefragt hatte, die als Sonderzüge zum G20-Gipfel nach Hamburg gefahren sind, entgegnete er: "Warum nicht?"

Und überhaupt, es gehe "nicht um Leute, die friedlich demonstrierten, aber Hamburg war nicht friedlich", sagte Blenke den Stuttgarter Nachrichten . Und deswegen probiert sich die CDU auch an einer neuen Form der Bestrafung in der gleichen Anfrage: "Erachtet sie [ die Landesregierung] es als rechtlich zulässig oder regelbar, bei Verurteilung wegen der Beteiligung an den gewalttätigen Ausschreitungen wie in Hamburg zur Zeit des G20-Gipfels als Nebenfolge der Tat den Widerruf des Bescheides auf Gewährung von Leistungen nach Sozialgesetzbuch (SGB) II ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit vorzusehen?" Mit anderen Worten: Sie will den Straftätern die Grundsicherung streichen, also Hartz IV.

Mit diesen Law-and-Order-Ansagen will die CDU offensichtlich beweisen, dass rechts von ihr kein Platz für die AfD bleibt. Die AfD forderte schon im Juli nach dem G20-Gipfel einen Untersuchungsausschuss für linke Gewalttaten. Die anderen Fraktionen im Landtag hatten das damals abgelehnt, sie fürchteten eine "Show". Thomas Blenke nannte den Antrag damals noch "Effekthascherei".

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