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Sex

Warum dieser Mann unwichsbare Pornos produziert

"Nach unseren Pornos bist du erstmal völlig fertig, aber du fängst an zu denken. Weil du die Bilder nicht aus dem Kopf kriegst", sagt Little Swastika.
Foto: Adam Albecker

Frei sein, sagt Little Swastika, kann er nur in seinem Kopf. Und wenn er Grenzen überschreitet. Deswegen amputierte er zwei seiner Finger, deswegen ließ seine Zähne durch Keramik ersetzen, deswegen tätowierte er seinen ganzen Körper bis auf die letzte Stelle und deswegen startete er sein neuestes Projekt: Dirty Dreaz. Unwichsbare Pornos.

Solche, die nicht Porno, sondern Sexual Psychedelic Art heißen. Filme, die zu Kunst sind für Porno, aber zu Porno für Kunst. Porno, weil Little Swastikas Filme nichts zeigen außer Sex. Kunst, weil sich der Zuschauer auf diesen Sex nicht konzentrieren kann. Denn Little Swastikas Filme anzusehen, ist wie Tanzen im Stroboskoplicht: Doggy, Schnitt, Orgasmus, Schnitt, Dildo, Schnitt, Licht, Frau hängt an ihrer Haut, Schnitt, Doggy, Schnitt, Frau wird mit einer Presslufthammer-Dildo-Konstruktion befriedigt. Dazu treibende Musik, Lichtfeuerwerk, etliche Geräusche gleichzeitig.

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Foto: Adam Albecker

"Das ist, als würde man ein Auto bauen, das nicht fährt", sagt Little Swastika. Er steht in seinem Atelier im baden-württembergischen Tengen, trägt einen grauen, mit Farbe beklecksten Rock und kratzt sich an den krausen Dreads, die seinen Rücken hinunterbaumeln. "Aber vielleicht will das ja einer haben. Wie soll man das wissen, bevor es das nicht gibt? Und wie soll man das erklären?"

Er selbst kann das nicht, will es auch nicht. Das gilt für all seine Kunst. Little Swastika heißt eigentlich Marc Lu, bekannt geworden ist er mit seinen Tattoos, bei denen ebenfalls keiner weiß, was er am Ende auf dem Rücken tragen wird, sondern nur, für welchen Stil er sich entscheidet. Selbst Marc weiß angeblich nicht, wie seine Werke am Ende aussehen werden. "Nur irgendwo, da oben im Kopf, da ist eine Vision", sagt er. Das größte Tattoo der Welt hat er gestochen, über zehn Rücken, die zusammen ein Ganzes ergeben. Auf die Rücken von vier Jungs hat er die größte tätowierte Swastika der Welt gestochen. Aber meistens gilt: Er sticht los nur mit einer vagen Idee.

"The Third Dimension", ein Werk von Little Swastika von 2014 und das größte Tattoo der Welt | Foto: Little Swastika | Psyland25

Seine Freundin Annette Reuner – Künstlername "Anuskatzz", Dread- und Tattoo-Model – hat längst aufgegeben verstehen zu wollen, was ihr Partner vorhat. "Ich lasse ihn einfach machen, am Ende wird es ohnehin gut", sagt sie, während sie neben Marc auf einer selbstgebauten Rampe sitzt. Um sie herum liegen Kondome. Annette streichelt Marcs Bein, schaut an die Decke. Ihr Körper ist der beste Beweis dafür, wie sehr sie ihrem Freund vertraut. Auf ihrem Instagram-Account zeigt Anuskatzz, wie ihre Haut über das letzte Jahr immer dunkler und dunkler wurde. Bald bleibt nur noch das Gesicht untätowiert, wobei auch die Ränder ihrer Augen und Zunge bereits grün sind, dank einer Farbspritze.

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Wenn Little Swastika dreht, bleibt das Drumherum dunkel. Meistens filmen er und sein Team in Räumen ohne Sonnenlicht oder bei Nacht. Die Paare vor der Kamera sollen sich wohlfühlen, sollen im Scheinwerferlicht nur sich selbst sehen. Es sind echte Paare, die Sex haben, Liebende, darauf legt Little Swastika wert. Und sie sollen Dreadheads sein, Darsteller wie Marc und seine Freundin. Die meisten sind tätowiert, viele gepierct in Nase, Lippe oder Kinn. Außer Marc und dem Kameramann müssen dann alle das Set verlassen. Die Liebenden fangen an, sich zu streicheln, erst liebevoll, dann fassen sie sich immer härter an. Marc stimmt in der Zeit das Licht ab, wirft Farbpartikel auf die Paare, huscht wuselnd, aber möglichst leise hin und her. Das muss nachher ein Ganzes geben, sagt er: Musik, Licht, Schnitt, Sex.

Foto: B. Zeil Photography

"Nach meinem zweiten Film haben mir alle gesagt, der war viel zu schnell – danach wusste ich, der nächste muss noch viel schneller werden." Auf keinen Fall sollen die Filme, die er für sein Pornolabel Dirty Dreaz dreht, erotisch im klassischen Sinne sein. Sie sollen verstören, vielleicht zunächst ekeln, auf jeden Fall überfordern. "Weil: Andere Pornos, da hast du wenig Zeit, Hose auf, holste dir einen runter und wenn du gekommen bist, hast du alles wieder vergessen. Aber bei uns, da biste danach zwar erstmal völlig fertig, aber du fängst an zu denken. Eine Woche, vielleicht zwei, vielleicht Monate. Weil du die Bilder nicht aus dem Kopf kriegst." Denn in all der Härte, dem Schmerz ist da in allen Filmen auch Liebe. "Du merkst, dass das nicht zwei Fremde sind, die einfach miteinander ficken, weil es sich verkauft, sondern Paare, die auf diese Art von Sex stehen. Dass sie während der Aufnahmen lachen."

Zumal: Der Schmerz gehöre zwar dazu, sei aber nicht das Entscheidende. Es gehe um die Freude am Ausleben der Sexualität. Und Freiheit: Little Swastika will Menschen, die ausbrechen aus dem Normalen, indem sie ihren Körpern in gegenseitigem Einverständnis Dinge zumuten, die andere mit einem Kopfschütteln zurücklassen. So wie die meisten mit dem Kopf schütteln, wenn sie Marc sehen. Oder wenn sie vor seinem Haus stehen. Ein Refugium namens Psyland 25. Es steht in Tengen an der Schweizer Grenze. Einer Gegend mit 74 Einwohnern pro Quadratkilometer. Damit liegt es mehr im Nichts als im Etwas, in einer Gegend, in der sonst nur 0815-Einfamilienhäuser stehen.

Foto: Elena Winterhalter

Gestrichen in grellen Farben fällt es aus der Reihe wie ein Punk im Opernhaus. Während Marcs Körper bis auf die letzte (wirklich allerletzte) Stelle von Tattoofarbe überzogen ist, ist sein Haus eine etwas zu schräge Villa Kunterbunt. Farbe, Symbole, Schuhe, Bilder auf dem Boden, an den Wänden, an der Decke. Bögen im Fußboden, die Dusche aus welligem Beton, das Waschbecken wie ein Schneckenhaus, die Toilette in 1,20 Meter Höhe. Dazu ein gewaltiger Garten mit einem zum Gästezimmer umgebauten Wohnwagen, einer alten Scheune mit Skaterampe, Kunstwerken, Abstellhaufen, Limoflaschen. Little Swastika weiß, dass gänzliche Freiheit unmöglich ist. Aber er sagt, mit seinen Pornos wolle er andere Leute von seinem Streben danach anstecken. Freisein durch Grenzüberschreitung. "Der einzige freie Moment, den viele haben, ist ihr Sex. Also mache ich halt Porno, da komme ich mit meinen Ideen an die Leute ran."

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