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Frankfurter Buchmesse

Ominöse Polizisten haben auf der Buchmesse Journalisten bedrängt

"Wir waren uns sicher, dass das Nazi-Securitys waren", sagt einer der Journalisten.
Zivil-Polizisten auf der Buchmesse

Gleich gibt es eine Schlägerei, denkt sich Juri Sternburg, als die Männer in den blauen Sakkos auf ihn zustürmen. Sternburg bleibt trotzdem stehen. Wenn's knallt, dann knallt's, denkt er sich.

Dabei war es bis vor ein paar Sekunden noch völlig ruhig gewesen auf dem Parkplatz vor der Frankfurter Buchmesse. Zusammen mit ein paar Dutzend Journalisten und Demonstranten hatte der Autor und Kolumnist Sternburg, der auch für Noisey schreibt, darauf gewartet, dass Björn Höcke, der auf der Messe gerade einen Vortrag gehalten hatte, aus dem Gebäude kommt. Auf dem Parkplatz stand, von Polizisten und Sicherheitsmännern bewacht, ein Auto für den Thüringer AfD-Chef bereit. In der Gruppe der AfD-Gegner wussten viele gar nicht so genau, was sie eigentlich machen wollten, wenn Höcke kommt. Das war dann aber auch egal, weil er nie kam. Irgendwann fuhr das Auto einfach los – das ganze war ein Ablenkungsmanöver gewesen.

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Eigentlich hätten jetzt alle nach Hause gehen können, aber dann rief eine Frau laut "Scheiß-Nazi!" – und plötzlich lösten sich vier Männer aus der Gruppe der Sicherheitsmänner und rannten auf sie zu.

Die blauen Herren

"Wir waren alle sicher, dass das Nazi-Securitys waren", sagt Sternburg – und meint damit von der AfD angeheuerte Sicherheitsmänner. Dafür habe man gute Gründe: Dieselben Männer seien ihm und seinen Begleitern schon vorher im Messegebäude aufgefallen, weil sie sich immer wieder in ihrer Nähe aufgehalten und sie beobachtet hätten. Dass es sich um Polizisten handeln könnte, hätten alle in der Gruppe ausgeschlossen. Die Männer waren zwar in Zivil, aber trugen doch alle eine Art Uniform: blaue Sakkos mit Jeans, manche dazu auch noch blaue Krawatten. "Zivilpolizisten ziehen sich immer so an, dass sie nicht auffallen", sagt Sternburg. "Die hier sahen alle gleich aus."

Die Männer sind an diesem Freitag auch anderen Buchmesse-Besuchern aufgefallen. Zwei von ihnen tauchen zum Beispiel kurz in einem Livestream von RT Deutsch (ab Minute 39:30) auf, wo sie sich etwas seltsam benehmen:

Der Kameramann interviewt gerade zwei Frauen, von denen eine ihn hin und wieder mit ihrem Handy zurückfilmt. Plötzlich kommen von rechts zwei Männer ins Bild, einer stellt sich lächelnd sehr nah an die Filmende und sagt ihr, sie solle "hier keine Personen aufnehmen". Als die Frau ihn darauf hinweist, dass er sich gerade in einen Livestream gestellt hat, also jetzt auf jeden Fall gefilmt wird, verdrücken die beiden sich ziemlich schnell wieder. Wer sie sind oder weshalb sie das Filmen stört, haben die Männer nie erklärt. "Wir werden hier schon eingeschränkt in unserer Meinungsfreiheit!", scherzt eine der beiden Frauen.

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Später sah Sternburg, wie sich einer der Sakko-Männer länger mit dem rechten Verleger Götz Kubitschek, einem Freund Höckes und langjährigen Unterstützer der AfD, ein paar Minuten unterhielt und dabei lachte. Auch deshalb war er überzeugt, dass es sich um Leute der AfD handelte.

"Das haben Sie doch freiwillig gelöscht"

Zu einer Schlägerei kam es dann doch nicht. Die Männer rannten einfach an Sternburg vorbei und umzingelten die Frau, die "Nazi" gerufen hatte, sowie ihre Freundin. Die Männer "stellten sich daraufhin um die beiden Frauen, die sich so eingekreist offensichtlich verängstigt aneinander klammerten", beschreibt die Autorin Sophie Sumburane die Situation auf ihrem Blog. Mehrere Leute aus der Gruppe fingen jetzt an, nach der Polizei zu rufen, die in der Nähe stand.

Worauf die Männer in den blauen Sakkos schließlich erklärten, sie seien selber von der Polizei.

Weil ihnen das keiner glauben wollte, zeigten die Männer schließlich kurz Ausweise mit der Aufschrift "Hessische Schutzpolizei", deckten die Namen dabei aber mit den Daumen ab. Die Männer wollten die beiden Frauen mitnehmen, um ihre Personalien festzustellen.

Weil niemand aus der Gruppe je von einer Hessischen Schutzpolizei gehört hatte, bestanden sie weiter darauf, dass uniformierte Polizisten dazukommen. Irgendwann kamen die auch, unterhielten sich kurz abseits mit den Männern und erklärten dann, das alles seine Ordnung habe. Die Frauen wurden zu einem Einsatzwagen geführt.

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Währenddessen hatte einer der Männer bemerkt, dass Sternburg ein Video drehte, und forderte ihn auf, das sofort zu löschen. Als Sternburg sich weigerte, versuchte er, ihm das Telefon zu entreißen, als das nicht gelang, drohte er, das "Handy mitzunehmen und auswerten zu lassen", erinnert sich Sternburg. Weil er wusste, dass sowas Wochen dauern kann, knickte Sternburg schließlich ein und löschte das Video – was er als Journalist eigentlich nicht muss.

"Dann wurde es aber erst richtig skurril", sagt Sternburg. Als er den Mann nochmal daran erinnerte, dass er das als einen Eingriff in die Pressefreiheit empfinde, erklärte der Mann, Sternburg habe das Video doch freiwillig gelöscht, und ging weg. Kurz darauf kam er aber wieder, erklärte noch einmal, Sternburg habe das Video freiwillig gelöscht – und verlangte dann, er solle das Video auch noch aus dem Ordner für gelöschte Dateien entfernen.

Während all dieser Maßnahmen seien die Männer auffällig unfreundlich gewesen, berichtet Sumburane ("Bist du Jurist? Also, halt den Mund!"). Sternburg sagt, irgendwann hätte einer der Männer den einzigen Schwarzen in der Gruppe zur Seite genommen und ihm gedroht, "wenn er weiter so frech ist, dann knallt's". Nachdem reguläre Polizisten die Personalien aller Beteiligten aufgenommen hatten, fotografierten die Männer in Zivil alle Ausweise noch einmal – auch das ist ungewöhnlich für Polizisten. Danach erteilten sie allen der Gruppe Hausverbot – angeblich im Namen der Buchmesse, obwohl auch Aussteller dabei waren – und warfen sie vom Gelände.

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Wer waren die Männer?

Sowohl Sternburg als auch Sumburane waren über die Behandlung so sauer, dass sie Artikel darüber veröffentlichten und auf Twitter Erklärungen von der Polizei Frankfurt verlangten. Die antwortete am Dienstagnachmittag auf Twitter, man wisse selbst nicht, wer die Männer waren – es handele sich möglicherweise um "außerhessische Kollegen".

Auf Nachfragen reagierte die Pressestelle nur schleppend, am Donnerstagabend veröffentlichte die Polizei schließlich folgende Erklärung:

Auf Nachfrage hat die Frankfurter Polizei bestätigt, dass es sich bei den "Kollegen" um Beamte der hessischen Schutzpolizei in Zivil handelte. Warum sie die kleine Gruppe überhaupt derart drangsalierten, wird aber nicht ganz klar. Sternburg hatte vorher zwar aktiv gegen den Auftritt Höckes mobilisiert, in dem Moment des Zugriff geschah aber nichts Auffälliges: Griffen sie nur ein, weil eine Frau "Scheiß-Nazi" gerufen hatte, das sich wahrscheinlich sowieso gegen den nicht einmal anwesenden Politiker richtete?

Dann bleibt noch die Frage, mit welchem Recht der Mann von einem Journalisten die Löschung des Videos verlangte. Auf Nachfrage antwortet die Pressestelle der Polizei, von einem solchen Vorfall "lägen keine Kenntnisse vor". Grundsätzlich seien Aufnahmen "bei Situationen aus dem Bereich der Zeitgeschichte" erlaubt, möglicherweise habe es sich hier nicht um einen solchen Fall gehandelt.

Was bleibt, ist ein komisches Gefühl bei den Betroffenen: Warum führen sich Polizisten so auf, dass mehrere Leute sie unabhängig voneinander mit AfD-Saalschutz verwechseln? Und warum machen sie AfD-Gegnern das Leben sogar dann noch schwer, wenn gar keine AfD mehr in Sicht ist? Die Antworten wissen vielleicht nur die blauen Herren selber.

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