Menschen

Wir haben mit schwulen Männern über die Beziehung zu ihren Vätern gesprochen

"Ich liebe meinen Vater trotz seiner Homophobie, genauso wie er mich trotz meiner Homosexualität liebt" – Michael, 29
Florian und Jakob
Florian und Jakob | Fotos: Martina Lajczak

"Spiel doch nicht so schwul!", schrie irgendein Typ einem Spieler zu, als ich mit meinen Eltern auf einem Fußballspiel der Landesliga meines kleineren Bruders war. Sofort schreckte ich auf. Ich fühlte mich in meine Schulzeit zurückversetzt, in der homofeindliche Sprüche und Mobbing meinen Alltag bestimmten. Als ich mich umdrehen wollte, um den Spruch zu kommentieren, hielt mein Vater mich davon ab. War es ihm peinlich? Im Auto nach dem Spiel verteidigte er den brüllenden Kerl. "Das schreien die immer, das gehört dazu", sagte er.

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Es ist nicht das erste Mal, dass das Thema Schwulenfeindlichkeit zu einem Streit zwischen mir und meinem Vater führt. Die gleiche Diskussion hatten wir bereits an Weihnachten, als ich von einem Übergriff auf mich in einer Bar berichtete. Mein Vater konnte sich auch damals scheinbar leichter in homofeindliche Pöbler hineinversetzen als in seinen eigenen Sohn. Zwar hat mein Vater nie ein Problem mit meiner sexuellen Orientierung geäußert, er scheint mich aber oft einfach nicht zu verstehen. Und ich ihn auch nicht.

Das liegt vielleicht auch daran, dass mein Vater, oder Väter früherer Generationen im Allgemeinen, unter Männlichkeit etwas anderes versteht als ich. Aber wie gehen andere damit um? Um das herauszufinden, habe ich mit drei schwulen Männern über die Beziehung zu ihren Vätern gesprochen.

Florian, 25

Florian

Ich bin meinem Vater für viele Dinge dankbar. Meine Erziehung war komplett frei von religiösen und politischen Ansichten. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Frankreich, da ist das alles andere als üblich. Die Männer aus meiner Familie sind alle Jäger. Ihr Lebensstil unterscheidet sich sehr von dem, den ich hatte, als ich mit 18 Jahren nach Paris gezogen bin. Dort hatte ich viele neue Einflüsse.

Ich erinnere mich aber auch, dass mein Vater immer ein bisschen homophob war. Das weiß ich von meiner Mutter, aber auch von seinen Kommentaren. An einen Moment kann ich mich dabei besonders erinnern. Ich war 17 Jahre alt und habe eine Fernsehserie geguckt, in der ein stereotypisches schwules Paar auftrat. Er ärgerte sich darüber und sagte: "Hitler hatte Recht damit, sie alle loszuwerden."

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Das war zwar schockierend, gleichzeitig wusste ich aber schon damals, dass es einfach ein dummer Spruch war. Und mir war klar, dass mein Vater ihn später bereuen würde. Ich sage auch ziemlich viel Scheiße, die ich danach bereue. Und ich bin ihm sehr ähnlich.

Es hat trotzdem ziemlich lange gedauert, bis ich mich bei meinem Vater geoutet habe. Meiner Mutter habe ich es bereits mit 19 Jahren erzählt. Meinem Vater aber erst mit 25, das ist erst ein halbes Jahr her. Ich habe mich dafür geschämt, es ihm so lange nicht gesagt zu haben. Dabei lebe ich schon seit Jahren nicht mehr in seiner Nähe und selbst wenn er Probleme mit meinem Schwulsein hätte, würde das mein Leben nicht wirklich beeinflussen.

Bei seinem letzten Besuch habe ich es dann einfach gesagt. 45 Minuten bevor sein Zug gekommen ist. Mein Herz hat gerast, immer schneller und schneller. Aber als die Worte aus meinem Mund kamen, hat es sich gut angefühlt.

Mein Vater reagierte auf mein Outing ernst und gefasst. Es schien, als hätte er sich schon länger auf den Moment vorbereitet. Er hat dann viele emotionale Dinge gesagt, bei denen er sich sichtlich unwohl fühlte. Er ist kein Mensch, der offen über Gefühle spricht. Ich habe ihm gesagt, dass er mir jede Frage stellen kann, die er über Homosexualität hat. Er ist immerhin ein 55-jähriger, heterosexueller Mann und ich weiß, wie schwer für ihn ist, seine Einstellungen zu hinterfragen. Bisher hat er mir noch keine Frage gestellt.

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Vielleicht ändert sich das noch. Ich hoffe nämlich, dass mein Vater eines Tages meinen Partner und seine Familie kennenlernt. Ich möchte ihm mein Leben zeigen.

Jakob, 30

Jakob

Der beste Freund meines Vaters ist auch schwul. Das wusste ich früher aber noch nicht. Außerdem ist mein Vater in der Kunstszene gut vernetzt und hatte schon immer mit vielen Lesben und Schwulen zu tun. Meine Homosexualität war also kein Problem für ihn.

"Ich mag Männer", habe ich ihm mit Tränen in den Augen gesagt. Seine Antwort war: "OK, passt."

Mein Outing war dennoch nicht ganz freiwillig. Ich habe mich meiner Mutter nur anvertraut, weil sie auf meinem Handydisplay gesehen hat, dass ich mit einem Typen schreibe. Sie fing an zu weinen, und ich auch. Sie machte sich Sorgen, dass ich es deswegen schwerer im Leben haben würde. Anschließend bin ich zu meinem Vater. Ich weiß noch ganz genau, dass er in seinem Sessel neben dem Bücherregal gesessen hat. "Ich mag Männer", habe ich ihm mit Tränen in den Augen gesagt. Seine Antwort war: "OK, passt." Er war ruhig und gelassen und hat daraufhin meine Mutter beruhigt.

Aus dem VICE-Netzwerk: Hinten den Kulissen der sogenannten Reparativtherapie

Am nächsten Tag haben wir zusammen darüber gesprochen. Meine Eltern waren sehr unterstützend. Mein Vater ist ein ruhiger Mensch. Seine große Leidenschaft ist das Schreiben. Deswegen bevorzugt er es, Mails oder Briefe zu verfassen, wenn er was zu sagen hat. Ein Moment, in dem er seine Gefühle aber immer in Worte fassen kann, ist, wenn er mich und meinen Partner nach einem Besuch zum Bahnhof fährt. Dann sitzen wir im Auto, bedanken uns, und er fragt, wann wir wieder kommen. Bevor wir aussteigen, nimmt er uns in den Arm und sagt, dass er uns lieb hat.

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Mein Vater ist mittlerweile schon 79 Jahre alt und hat Probleme mit dem Herzen. Deswegen war er auch schon öfter im Krankenhaus. Mein Partner und ich haben uns auch deshalb dazu entschieden, schon nächstes Jahr zu heiraten. Wir wollen, dass mein Vater und alle, die wir lieben, auf unserer Hochzeit mit dabei sein können.

Michael*, 29

Mein Vater wurde als Kind von einem Mann missbraucht. Das weiß ich, seit ich 17 oder 18 bin. Der Mann war wie ein Lehrer für ihn, er hat ihn vermeintlich unterstützt und gefördert, obwohl er ihn eigentlich ausgebeutet hat. Mein Vater ist deshalb schwer traumatisiert, und homophob. Es scheint mir bei ihm jedenfalls wirklich wie eine Phobie zu sein.

Pädophilie ist für meinen Vater zwangsläufig etwas Homosexuelles. Das hat er mir einmal, als ich 13 oder 14 Jahre alt war, gesagt. Abfällige Kommentare über schwule Männer hat er auch sonst immer wieder abgelassen.

Das erste Mal, dass meine sexuelle Orientierung dann zum Thema wurde, war während eines Auslandsaufenthaltes. Meine Eltern und ich haben an einer Strandbar gesessen und ich habe erzählt, dass ich einen Jungen date.

Ich habe gemerkt, wie es meinen Vater belastete. Er wirkte angespannt und sagte nur abfällig: "Lass dich von Männern nicht verderben!" Das Gespräch war daraufhin beendet.

Im selben Jahr, an Weihnachten, wollte ich noch einmal offiziell verkünden, dass ich in Zukunft auch einen Freund, statt einer Freundin mit nach Hause bringen könnte. Mein Outing, sozusagen. Sowohl meine beiden Geschwister als auch meine Mutter hatten kein Problem damit. Mein Vater offenbar schon: "Ich kann es akzeptieren, aber nicht tolerieren", sagte er. Kurz darauf entbrannte ein Streit zwischen ihm und meinen Geschwistern.

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Es mag seltsam klingen, aber: Ich verstehe meinen Vater.

Ich möchte ihn mit diesem Thema nicht unter Druck setzen, denn dadurch würde sich nichts verbessern. Mein Vater verbindet nun mal homosexuelle Handlungen ausschließlich mit Leid, und ich glaube, er wirft sich selbst vor, dass er mich vor diesem vermeintlichen Leid nicht schützen konnte.

Er ist traumatisiert und es ist nicht meine Aufgabe, ihn davon zu überzeugen, dass Homosexualität kein Problem ist. Das muss er für sich selbst tun. Vielmehr möchte ich sein Trauma anerkennen und ihn bei der Aufbereitung unterstützen. Dass er sieht, dass es seinem schwulen Sohn gut geht, ist vielleicht ein Anfang.

Trotz aller Differenzen hatte ich nie das Gefühl, dass mich mein Vater weniger liebt. Ich weiß, dass er mich akzeptiert und stolz auf mich ist. Er ist einfach noch nicht bereit, mir bei diesem Teil meines Lebens Unterstützung zu zeigen. Oder er kann es einfach nicht. Bei manchen Menschen gibt es Gründe für ablehnende Haltungen, das habe ich aus unserer Beziehung gelernt. Und ich akzeptiere es. Ich liebe meinen Vater trotz seiner Homophobie, genauso wie er mich trotz meiner Homosexualität liebt.

* Name von der Redaktion geändert

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