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Rechtsextremismus

Diese Menschen verhöhnen den abgestürzten Journalisten aus dem Hambacher Forst

Aber warum? Wir haben sie interviewt.
Screenshot von Twitter

In seinem letzten Video ist er noch oben. Von einem Baumhaus aus filmt der Journalist schweigend, wie die Polizei versucht, eine Aktivistin aus den Wipfeln des Hambacher Forstes zu ziehen, das Video postet er auf Twitter. Wenig später am Mittwochnachmittag geht er über eine improvisierte Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern. Die Brücke gibt nach. Er stürzt bis zu 20 Meter ungebremst auf den Waldboden. Alle Wiederbelebungsversuche scheitern, der Mann ist tot.

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Während Polizisten, Aktivisten und Politiker bereits überlegen, was das Unglück für die Räumung des Hambacher Forstes bedeutet, finden sich unter dem letzten Video auf Twitter zahlreiche Menschen ein, um ihr Beileid zu bekunden. Aber es gibt auch andere Stimmen: anonyme Accounts, die Witze über den Toten und seinen Unfall reißen.

Screenshot von Twitter

Wer solche Tweets liest, dem stellt sich eine Frage: Was sind das für Menschen, die den Account eines Verstorbenen aufsuchen, nur um sich dort über ihn lustig zu machen? Und: Was motiviert sie?

Um das herauszufinden, habe ich acht dieser Profile angeschrieben. Der Großteil hat gar nicht oder abweisend reagiert. Aber nach etwas Überzeugungsarbeit haben sich drei Accounts darauf eingelassen, über Twitter-Chat mit mir zu sprechen. Ich bekam einen Einblick in eine Welt, die sie selbst "Rechtstwitter" nennen – eine Mischung aus 4Chan-Humor, offener NS-Verherrlichung, planlosen Teenagern und knorrigen alten Männern, die mit Wörtern wie "Lump" um sich werfen.

Im Folgenden werde wir ihre Identität auf Twitter verbergen – weil sie teilweise vermutlich noch recht jung sind. Und vor allem, weil niemand diese Leute in seinem Leben braucht.

Der Schüler

Die Accounts der Trolle lassen sich grob in zwei Typen aufteilen: solche mit antiken Büsten oder klassischen Gemälden als Profilbildern (vermutlich ältere Twitterer), und solche mit Anime-Mädchen (vermutlich jüngere). Der Erste, der sich auf eine Unterhaltung einlässt – nennen wir ihn "Ganter" – gehört zur Anime-Fraktion. Er hatte das Video einfach mit "hahahaha gefickt" kommentiert. Außer, dass er noch zur Schule gehe, schreibt er, wolle er nichts über sich verraten.


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Ganter erklärt ziemlich früh, dass der Journalist den Tod "natürlich" nicht verdient habe. "Ich nehme Mal an, dass jeder, der in meiner 'Bubble' drin ist, weiß, dass es nicht komplett ernstgemeint war", schreibt er. Die Bubble beschreibt er als rechts, aber auch als "ziemlich divers", es sei "nicht ein einziger Block", sondern alles von "Nazis zu Anarchokapitalisten und allem dazwischen" dabei. Seit Anfang des Jahres sei er einer von ihnen und fühle sich da wohl, weil er die Leute unterhaltsam finde und "ähnliche Ansichten" habe.

Was für Ansichten sind das?

"Faschistisch, theokratisch, mir fällt jetzt nichts Drittes ein", fasst er seine Haltung zusammen. Ach so, und "vielleicht ein bisschen" antisemitisch, aber "nicht unbedingt extrem". Er teilt übrigens solche Bilder:

Früher sei er auch mal Kommunist gewesen, habe dann aber ein paar Bücher gelesen und sei dann "immer nationalistischer" geworden. Dabei findet das alles offenbar nur im Internet statt: Seine Mitschüler wüssten nichts davon.

Bizarrerweise erklärt Ganter, dass er die Umweltschützer im Hambacher Forst unterstütze – "ist ne gute Sache", schreibt er. Warum er sich dann über den Tod eines Journalisten freue, der über ihren Widerstand berichtet? "Wer alles für eine Schlagzeile tun würde, ist meiner Meinung nach teilweise auch selbst schuld", schreibt er. Auf den Einwurf, dass der Verstorbene allem Anschein nach eher ein Aktivist war, der den Kampf der Umweltschützer dokumentieren wollte, geht er nicht ein. Er beharrt darauf: Der Mann sei nur motiviert davon, "der Erste zu sein – mit einer Story für Ruhm und Geld".

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Weil ich mir ein kurzes "hahaha" über diese absurde Idee nicht verkneifen kann, beendet Ganter, offenbar beleidigt, das Gespräch. Er will mir leider nicht mehr erklären, wie ein freier Journalist, der anscheinend auf eigene Faust ein paar Umweltschützer filmt, damit zu "Ruhm und Geld" gekommen wäre.

Die Neonazi-Tante

Ganter hatte insofern Recht, als dass es in dieser Community (und es ist eine Community, viele dieser Troll-Accounts folgen sich gegenseitig) verschiedene Abstufungen von rechtsextrem gibt. Während Ganter zum Beispiel offen mit Judenhass kokettiert, aber wenig offenes Neonazi-Zeug teilt, macht der zweite Account, der mir antwortet – nennen wir ihn "BöseWeißeFrau" –, aus seiner Gesinnung keinen Hehl: Der Name selbst enthält ein Hitlergruß-Emoji; in den Retweets und Bildern wimmelt es vor offener Nazi-Verherrlichung, AfD- und Identitären-Content und Hass auf Geflüchtete.

Unsere Unterhaltung dauert dann auch nicht sehr lange: Auf die Frage, warum sie es witzig fand, auf den Tod eines Mannes mit "Fällt den Baum! Am besten gleich alle! Bäume sind potentielle Journalistenmörder" und Lachsmiley zu reagieren, schreibt sie nur: "Tut mir leid, wenn Ironie ihnen fremd ist" – eine Antwort, die mich zweifeln lässt, dass es sich wirklich um eine Frau handelt. Einfach, weil das zu sehr nach dem "Ironie"-Verständnis eines 15-jährigen Edgelords auf Twitch klingt.

Erklären will sie/er den Witz aber auch nicht. "Egal, was ich jetzt sage, Sie als 'Qualitätspresse' schreiben eh nur alles verdreht", schreibt BöseWeißeFrau. "Also erübrigt sich weiterer Diskurs." Allzu traurig bin ich nicht, denn bei Leuten, die stolz über ihr "N.S. Heute"-Abo twittern, erübrigt sich die Frage, warum sie den Tod eines Menschen lustig finden.

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Der Student

Der Besitzer dieses Anime-Accounts gibt sich als Student zu erkennen, will aber sonst auch nichts über sich verraten. Auf die Frage, warum er den Tod des Journalisten lustig fand, scheint er keine rechte Antwort zu haben: "Ich fand ihn nicht witzig", schreibt er. "War eigentlich ziemlich unlustig, aber was besseres ist mir nicht eingefallen in dem Moment."

Er gibt selbst zu, dass das kein besonders gutes Licht auf ihn werfe, verteidigt sich aber damit, dass im Internet eben "schon immer" schlimme Sachen gepostet würden – und außerdem sei das hier Twitter "und keine Beerdigung". Witze seien im Übrigen gerechtfertigt, denn: "Wenn Linke den Tod für ihre Propaganda gebrauchen, wieso sollten wir nicht dagegenhalten?"

Er selbst sei "spätestens seit Beginn der Masseneinwanderung" zu einem Rechten geworden. Auf Twitter sei er erst seit weniger als einem Jahr, habe dort aber schon vieles gefunden, "was einem im alltäglichen Leben vorenthalten wird". Dabei habe er gelernt, dass "die meisten großen politischen Entscheidungen zum Nachteil der Deutschen sind und dass die BRD uns in den vergangenen Jahrzehnten bereits enormen wirtschaftlichen, sozialen und seelischen Schaden zugefügt hat". Was das alles mit einem Typen zu tun hat, der einen Film über ein paar Umweltschützer drehen wollte, kann er nicht erklären.

Er gibt selbst zu, sich nicht sonderlich für die Ereignisse im Hambacher Forst zu interessieren – viel wichtiger sei ihm, dass der "Gummiparagraph 130" abgeschafft wird, der Volksverhetzung unter Strafe stellt. Ob er sich auch außerhalb des Internets engagiere, wollte er nicht sagen.

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Der Wutnickel

Ein Account vom Typ antike Büste schrieb mir von sich aus, aber nur um mitzuteilen, dass Journalisten seiner Meinung nach "inkarnierte Exkremente in Menschenhaut" seien. "Ihr hetzt täglich gegen uns und bewerbt unser Aussterben und wundert euch dann, dass wir bei eurem Ableben keine Tränen vergießen?", schreibt er. Auf die Frage, wie denn der Tote vom Hambacher Forst gegen "sie" gehetzt habe, antwortet er nur mit "hahahahaha" und einem Judenhasser-Meme:

Danach ist unsere Unterhaltung beendet.

Fazit

Zugegeben: Die Vermutung, dass es sich bei den Leuten, die sich über den Tod des Journalisten lustig machen, einfach um rechte Trolle handelt, hat sich voll und ganz bestätigt, da gab es keine Überraschung.

Interessant zu sehen war aber, wie egal diesen Leuten der Kontext ist, in dem sie agieren: Der Tote unterstützte die Umweltschützer vom Hambacher Forst, eine Sache, für die sich offenbar sogar manche rechte Trolle begeistern, wie der angebliche Student bestätigte. Mit der großen Erzählung über die von der Merkeldiktatur geplante Masseneinwanderung hatte dieser Mann nichts zu tun.

Trotzdem fielen diese Leute über ihn her – offenbar nur, weil er in einem irgendwie linken Kontext als "Journalist" auftrat. Und obwohl sich vor allem die Anime-Accounts gerne hinter einer Wand aus 4Chan-Humor und angeblicher Ironie verschanzen, merkt man schnell, dass der Hass bei vielen von ihnen real ist – und offenbar immer wieder aus ihnen herausbricht.

Allein die Tatsache, dass ich ein paar von ihnen anschrieb und fragte, warum sie tun, was sie tun, löste in dem Netzwerk eine kleine Welle von Wut und Beschimpfungen aus. "Ich nehme an, Sie schreiben einen Artikel darüber und erwähnen auch die entsetzlich pietätlosen rechten Trolle?", schrieb mir der Student zu Anfang unserer Unterhaltung – als sei schon das ein Zeichen für die Voreingenommenheit der Lügenpresse.

Aber was sie geschrieben hatten, war nun mal wirklich geschmack- und pietätlos. Getrieben waren diese Trolling-Versuche nicht so sehr von dem Drang, witzig oder edgy zu sein – sondern von Hass. Womit der Tote vom Hambacher Forst diesen Hass verdient hatte, konnte mir keiner erklären.

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