Frederick Lau hat für uns Kühe in Brandenburg gemolken
Alle Fotos: Hakki Topcu 

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Portrait

Frederick Lau hat für uns Kühe in Brandenburg gemolken

Dabei haben wir über seinen neuen Film 'Gutland', leuchtende Hakenkreuze und den BVB gesprochen.

Frederick Lau greift entschlossen die längliche, mit Scheiße beschmierte Zitze, die vor seiner Nase baumelt. Dann spritzt er mit einem Schlauch Wasser darauf und reibt sie sauber. Er setzt nochmal neu an, formt mit Daumen und Zeigefinger einen Ring um die Zitze und zieht nach unten, bis ein starker, milchigweißer Strahl herausschießt. "Boah, wie atzig, ey!", ruft er. Er dreht sich um und grinst stolz. "Habt ihr gesehen? Ich habe das voll hingekriegt!"

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Warum der Schauspieler auf einem Brandenburger Biohof Kühe melkt, ist schnell erklärt: In dem Film Gutland, der am 3. Mai in die Kinos kommt, spielt Lau einen Deutschen, der als Erntehelfer in einem Luxemburger Dorf anheuert.

Für Frederick Lau war das etwas Neues: Statt als Großstadtgangster mit Knarren und Drogen zu hantieren wie in Victoria oder 4 Blocks, musste er plötzlich lernen, wie man Heuballen auf einen Anhänger wirft. "Das hat aber auch gepasst, weil ich ja jemanden spiele, der selbst von sowas gar keinen Plan hat", erklärt Lau auf der Fahrt zum Bauernhof. "Deshalb habe ich mich da auch absichtlich gar nicht drauf vorbereitet." Das Kühemelken hat er bei den Dreharbeiten also auch zum ersten Mal gemacht – und wir wollen heute testen, ob er es noch kann.

"Ich muss erst eine Verbindung zur Kuh aufbauen."

Als wir auf dem Biohof Garlitz im Havelland westlich von Berlin ankommen und den Kühen gegenüberstehen, fällt Lau schnell auf, dass er sich heute vielleicht lieber nicht die neuen Converse und eine frisch gewaschene Stoffhose angezogen hätte. Die Kühe waten nämlich gemütlich durch eine mindestens knöcheltiefe Mischung aus Scheiße, Matsch und Pisse. "Ach, Scheiß drauf", sagt Lau und rennt als Erstes los, um Fotos mit den Tieren zu machen. "Lass dir Zeit, ich muss ja auch erst eine Verbindung zu der Kuh aufbauen", erklärt er dem Fotografen, während er einer der Braunvieh-Kühe den riesigen Kopf tätschelt.

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Der Schauspieler Frederick Lau vor eine Kuhherde in Brandenburg

Im Melkstand erklärt uns Reimund Groß die Prozedur. "Man muss versuchen, mit den Fingern die Zunge des Kälbchens zu simulieren", erklärt Groß, der hauptberuflich eigentlich selber Schauspieler ist, sich aber gelegentlich als Melkvertretung etwas dazuverdient. "Das soll eine ganz sanfte Massage sein, da muss man ein Gefühl für entwickeln." Handschuhe hat er leider keine dabei, also bleibt Frederick nichts anderes übrig, als die Rolex abzuschnallen und mit bloßen Händen ranzugehen. Falls die Kuh davon beeindruckt ist, dass ihr gerade ein Filmstar an den Zitzen herumzieht, lässt sie sich nichts anmerken. "Die hier sind viel friedlicher als die Luxemburger Kühe", lobt Lau, während er einen Strahl weißer Milch durch die Gegend schießt. "Die haben mir immer richtig einen mitgegeben!"

Der Schauspieler Frederick Lau milkt eine Kuh in Brandenburg

Der Wanderarbeiter, den Lau in dem Film spielt, muss aber nicht nur Kühe melken, sondern auch damit klarkommen, dass das Dorf, in das er zufällig geraten ist, ein dunkles Geheimnis hat. Lau musste sich weniger landwirtschaftlich als psychologisch vorbereiten auf die Rolle des Deutschen, der sich – auch äußerlich – immer mehr in der Identität eines Anderen verliert: Kurz vor seiner Ankunft ist ein Mann aus dem Dorf verschwunden – aber statt nach ihm zu suchen, wollen die Dorfbewohner, dass der Fremde ihn einfach ersetzt. "Der luxemburgische Regisseur Govinda Van Maele und ich wollten, dass diese Metamorphose schleichend stattfindet", sagt Lau. "Dass der Zuschauer am Ende gar nicht mehr weiß, wann das passiert ist."

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Die größte Herausforderung für Frederick Lau? Beim Dreh fiel ihm ständig die Nase ab

Die größte Herausforderung beim Dreh war aber eine praktische: Lau fiel dauernd die Nase ab. "Meine Prothese hat nie gehalten, die hat immer so Blasen geschlagen", erzählt er. Die Make-up-Leute behaupteten hartnäckig, das läge nur daran, dass er kurz davor Alkohol getrunken hätte – und erklärten ihm, dass er während der ganzen drei Monate Dreh trocken bleiben müsste. "Ich meinte nur: Jungs, auf keinen Fall!", lacht der Schauspieler. "Das war in Luxemburg, da hat das ganze Team zu jedem Mittagessen Wein getrunken! Ich konnte die dann Gott sei Dank überzeugen, dass das an der Prothese lag und nicht an mir."

Der Schauspieler Frederick Lau melkt eine Kuh in Brandenburg

Der Schauspieler melkt noch fünf bis sechs Kühe an, dann müssen wir aber auch schon wieder los: Das Spiel BVB gegen Schalke geht gleich los. Obwohl er gebürtiger Berliner ist, ist Lau BVB-Fan, seit er denken kann. "Ich habe Familie im Pott und war da oft, da wächst du mit Fußball auf."

Nach ein paar Stunden mit Lau merkt man: Der Typ liebt das Tempo. Anders lässt sich seine Biografie auch nicht erklären: geboren 1989 in Berlin-Steglitz, mit 9 Jahren Berliner Jugendmeister im Judo, mit 12 die erste Rolle in einem Kinofilm, mit 20 kriegt er den Deutschen Filmpreis für seine Rolle in Dennis Gansels Die Welle. Heute ist Lau 29, hat "über 80 Filme oder so" gedreht, schon den zweiten Deutschen Filmpreis gewonnen und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern wieder in Steglitz – in einem Häuschen mit Garten. Es ist ein Klischee, aber Lau lebt es wirklich, das Leben im Schnelldurchlauf. "Weißt du, was mein Ziel ist?", fragt er und wird plötzlich ernst. "Da hab' ich drüber nachgedacht: eine Porzellan-Tafel an meinem Geburtshaus, wo 'Geburtshaus Frederick Lau' draufsteht. Die Guten haben das alle." Dann lacht er laut.

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"Nach einem Dreh braucht man immer ein paar Wochen, damit man wieder checkt, wer man selbst ist."

Dass er jetzt immer öfter auf der Straße erkannt wird, störe ihn selten, sagt Lau. "Vor allem in Berlin sind die Leute bekannte Gesichter ja eh gewohnt. Das Einzige, was wirklich stressig ist, ist so um drei Uhr morgens, weil die Leute da mutig werden. Ich mag es halt gar nicht, wenn mich irgendwelche Besoffenen einfach so anfassen." Lau selbst hat so gut wie gar keine Hemmungen, jeden anzuquatschen, der ihm über den Weg läuft. Nach dem Melken will er so schnell wie möglich ins "Entweder…Oder", eine Kneipe in Brandenburg an der Havel, die er noch auf dem Bauernhof mit der "Sky-Finder-App" gefunden und – vor allem wegen des Namens – für gut befunden hat. "Ne richtige Atzenkneipe!", freut er sich. "Atze" ist sowieso das größte Kompliment, das Frederick Lau an andere vergeben kann: Sein 4 Blocks-Kollege und bester Freund Kida Khodr Ramadan ist "ne echte Atze", Moritz Bleibtreu auch, der Promi-Fotograf Paul Ripke sowieso. Die winzige Kneipe, in die er jetzt reinläuft, passt also wunderbar. Das halbe Dutzend Brandenburger Familienväter, die hier sitzen, hat zwar keine Ahnung, wer er ist, aber Lau braucht keine 20 Minuten, bis sie alle mit ihm Kümmerlinge stürzen und dabei über den BVB-Trainer Peter Stöger schimpfen. "Ich glaube, das liegt daran, dass ich eigentlich immer ehrlich mit jedem bin. Ich verarsch keinen", erklärt er später im Auto. "Und ich gebe den Leuten die Aufmerksamkeit zurück."

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Der Schauspieler Frederick Lau in einer Kneipe in Brandenburg

Klingt nach Angeberei, aber es scheint was dran zu sein: Nach dem Spiel sitzt Lau noch eine Weile in der Kneipe und hört einem wuchtigen Gerüstbauer zu, der ihm von einem schlimmen Unfall und den Problemen mit der Familie erzählt. "Ich chille gerne mit solchen Jungs", sagt er im Auto. "Man muss denen halt nur auch mal zuhören." Ganz selbstlos sei das nicht: Als Schauspieler habe er etwas davon, möglichst viele Charaktere kennenzulernen. Einmal, erzählt er, sei er in San Francisco zwei Stunden mit einem Heroin-Abhängigen spazieren gegangen. Sein Team hat Panik bekommen, aber "das ist auch meine Arbeit", sagt er. "Wenn ich irgendwann mal einen Junkie spielen muss, dann weiß ich jetzt ganz genau, wie ich den Typen spiele."

Nach einem Film über einen Knast-Rowdy benahm Lau sich auch im echten Leben tagelang daneben

Das sei es auch, was ihm am Schauspielen den meisten Spaß macht, sagt er, Leute kennenzulernen, die er sonst nie kennenlernen würde. Es kann aber auch schwer sein, da wieder rauszukommen. "Die Leute, mit denen du dich in dieser Welt befreundet hast, die wollen danach natürlich auch noch was mit dir zu tun haben", erklärt er. "Aber ich muss mich danach immer total abkapseln. Man braucht immer ein paar Wochen, damit man checkt, wer man selbst ist." Nachdem er als Schüler mal einen Film drehte, in dem er einen abgehärteten Knast-Rowdy spielte, benahm er sich auch Tage danach im echten Leben so schlecht, dass seine Freunde ihn mehrmals fast verprügelt hätten.

Der Schauspieler Frederick Lau auf dem Biohof Garlitz in Brandenburg

Seine bisher schwierigste Rolle? "Vielleicht, als ich einen schwulen Nazi spielen musste, der sich gerne anpissen lässt" – 2015, für die Satire Tod den Hippies!! Es lebe der Punk von Oskar Roehler. "Das war wirklich gar nicht meine Welt." Für die Rolle hing Lau nicht nur viel in Schwulenbars und Sexclubs wie dem KitKat herum, sondern musste auch tagelang mit einem in sein Brusthaar rasierten Hakenkreuz herumlaufen. "Im Schlafzimmer nachts hat das geleuchtet!", erinnert er sich. "Das war dann auch für meine Frau ziemlich absurd."

Abends, ein paar Stunden nach dem Abpfiff in Brandenburg, muss Lau dann noch ins Soho House in Berlin, zu einem Screening seines gerade angelaufenen Films Spielmacher. Gegen Mitternacht sitzt er auf der Dachterrasse mit Pool und erzählt einem halben Dutzend Medienleuten begeistert, wie gut er Kühe melken kann. "Man muss da Händchen für haben, verstehst du, richtig mit Gefühl!", sagt er zu einer Instagrammerin, die ernst blickend nickt. Dass er immer noch Kuhscheiße an seinen Sneakern hat, ist ihm egal. Er will eh gleich wieder weg hier – in eine "richtige Kneipe".

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