Das Porträt einer jungen Frau
Foto: Bastian Bochinski
häusliche Gewalt

Stefanie erzählt auf Instagram, wie sie von ihrem Ehemann missbraucht wurde

"Jake hat mir das Gefühl gegeben, dass ich etwas wert bin. Aber von einem Moment auf den anderen war alles anders."

Als er übers Sofa springt, sie am Hals packt und ihren Kopf gegen die Wand schlägt, denkt Stefanie: "Dieses Mal wird er mich umbringen." Es ist die Wut in seinen Augen, die sie vor Angst erstarren lässt. Sie knallt auf den Boden, er tritt mit seinen schweren Militärstiefeln gegen ihren Schädel. Das Letzte, woran sie sich erinnern kann, ist einer ihrer beiden Hunde, der sich anpinkelt – vor Schreck. Dann verliert sie das Bewusstsein. Als sie zu sich kommt, sind ihr Ehemann Jake, der eigentlich anders heißt, und einer ihrer Hunde verschwunden. Auf dem Esstisch findet sie einen Zettel, auf dem steht: "Wenn du wieder zur Polizei gehst, bringe ich den Hund um."

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Stefanie ist 21, als sie Jake übers Internet kennenlernt. Sie lebt damals in der Nähe von Berlin. Sie findet ihn charmant und selbstbewusst, er ist als US-Soldat im Irak stationiert. Stefanie mag seine aufregende Art, seinen Humor. Sie wuchs bei gehörlosen Eltern auf. "Er war mein Ausweg aus der gehörlosen Welt", sagt sie. Sechs Monate lang skypen sie, schreiben Briefe und chatten auf MSN, dann wird er nach Deutschland versetzt und sie holt ihn am Flughafen ab. Eineinhalb Jahre später ziehen sie zusammen in die Staaten. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich Jake.


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Heute ist Stefanie 34 Jahre alt und auf Instagram folgen ihr 45.000 Menschen. Auf ihrem Profil beschreibt sie detailliert, wie ihr die Trennung von ihrem Ehemann gelungen ist, der sie monatelang sexuell, körperlich und psychisch missbraucht hat. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin kämpft Stefanie mit Flashbacks und Panikattacken, kann nur mit Licht schlafen, nachts traut sie sich nicht auf die Toilette. Sie hat konstant Schmerzen im Kiefer und Rücken, leidet unter Doppelsicht und Schwindel. Darüber zu schreiben, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen, das helfe ihr, die Gewalt zu verarbeiten, sagt sie – und es hilft auch anderen Betroffenen.

Auf Instagram beschreibt Stefanie, wie isoliert, schwach und unsichtbar sie sich während ihrer Ehe gefühlt hat. Sie erzählt, wie sehr ihr gewalttätiger Ehemann ihr späteres Liebes- und Sexleben beeinflusst hat – körperliche Nähe triggert sie noch heute, Sex macht ihr Angst. Aber sie beschreibt auch, wie nah Hoffnung und Kraft, Trauer und Schmerz beieinanderliegen; wie sie es geschafft hat, ihr Trauma zu bewältigen.

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Stefanie spricht auf Instagram über häusliche Gewalt

Stefanie spricht offen über die Folgen der häuslichen Gewalt | Foto: Bastian Bochinski

Das Feedback auf Instagram ist überwältigend. Frauen schreiben Stefanie, dass sie ihr Leben gerettet hat; dass sie erst durch ihre Beiträge den Mut gefunden haben, ihren gewalttätigen Ehemann zu verlassen. Auch Männer, deren Partnerinnen von ihren Ex-Männern misshandelt wurden, kontaktieren sie. Sie erhält Nachrichten von Männern, die von ihren Eltern geschlagen wurden. Stefanie weiß, wie sich Betroffene fühlen. "Menschen, die keine häusliche Gewalt erlebt haben, können oft nicht nachvollziehen, wie schwierig es ist zu fliehen", sagt sie. Auch sie selbst hatte die ersten Anzeichen ignoriert, vertraute darauf, dass Jake und sie eine gemeinsame Zukunft haben würden.

Am Anfang war Jake ein liebevoller Partner

Bei einer Familienfeier macht Jake Stefanie einen Heiratsantrag, sie findet den Verlobungsring in einem Eiswürfel des Champagnerglases, das er vor sie gesetzt hat. Anfangs sei er ein liebevoller Partner gewesen, sagt sie. Sie ziehen gemeinsam auf eine US-Army-Base in Arizona und heiraten standesamtlich in Jeans und Shirt. "Jake hat mir das Gefühl gegeben, dass ich etwas wert bin", sagt Stefanie. "Aber von einem Moment auf den anderen war alles anders." An ihrem ersten gemeinsamen Abend in ihrem neuen Zuhause bleibt er bis spät nachts weg. Er kommt aufgedreht nach Hause, erzählt ihr, dass er mit Kollegen pokern war, und dass er viel Geld damit verdienen wird. Zum ersten Mal beschleichen Stefanie Zweifel.

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Nur wenige Wochen später ist das, was in jener Nacht zum ersten Mal passierte, Beziehungsalltag. Jake pokert jeden Abend, betrinkt sich, konsumiert harte Drogen und spielt den ganzen Tag Videospiele. Solange er beim Pokern gewinnt, herrscht Ruhe. "Aber meistens hat er verloren." Dann ist er ausgerastet.

Einmal würgt er sie mitten in der Nacht, weil er einen Albtraum hat. Ein anderes Mal schubst er sie gegen die Tür – sie solle nicht im Weg stehen. Weil er weiß, wie viel ihr ihre beiden Hunde, eine Deutsche Dogge und ein Ridgeback-Mix, bedeuten, sperrt er sich zusammen mit ihnen für Stunden ins Badezimmer und schlägt sie. Er missbraucht Stefanie verbal, sexuell, psychisch und körperlich. Er nennt sie dumm und hässlich, sagt, dass ihre Familie sie nie gewollt habe. Er verdreht ihre Arme, wirft sie auf den Boden. Er tritt sie in die Nieren, schmeißt mit Sachen nach ihr – einmal verpasst er sie knapp mit einem scharfen Küchenmesser. Wenn sie etwas kocht, das ihm nicht schmeckt, schmeißt er den Teller auf den Boden und sagt, sie solle nochmal Essen machen. "Die Folgen seiner Gewalt schränken mich noch Jahre später in meinem Leben ein", erzählt sie.

Heute spricht Stefanie selbstbewusst und gefühlvoll über ihre Vergangenheit. Man merkt: Sie schämt sich nicht für das, was ihr passiert ist. Sie möchte Bewusstsein schaffen, Tabus brechen. Aber die Scham hat sie lange begleitet. "Betroffene Frauen dürfen die Alarmglocken nicht ignorieren, weil sie das ihr Leben kosten könnte", sagt Stefanie. Für diesen Weckruf bedanken sich über Instragram Hunderte Frauen bei ihr. Frauen, die in gewaltvollen Beziehungen leben oder mit ähnlichen Traumata zu kämpfen haben. Durch Stefanies Worte sind sie mutig genug, um sich Hilfe in ihrem sozialen Umfeld zu holen, sagen sie. Nachrichten wie diese seien der Grund, warum Stefanie vor Zehntausenden über die schlimmste Zeit in ihrem Leben spricht. "Betroffene müssen wissen, dass sie es da raus schaffen können. Sie sind nicht alleine", sagt Stefanie.

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Sie wird nicht überleben, wenn sie bei ihm bleibt

Stefanie wehrt sich anfangs noch, aber das macht Jake nur noch rasender. Also erträgt sie seine Gewalt. "Er hat mich immer wieder wissen lassen, dass ich alleine in den Staaten und abhängig von ihm bin", sagt sie. Nach wenigen Monaten ist Stefanie sicher: Sie wird nicht überleben, wenn sie bei ihm bleibt. Also plant sie ihre Flucht. Sie packt das Nötigste zusammen – Geld, Reisepass, Zweithandy, Kleidung – und versteckt den Notfallrucksack in der hintersten Ecke ihres Kleiderschranks.

Bei einem seiner nächsten Wutanfälle nimmt Jake Stefanie ihren Schlüssel und ihr Handy ab, sie schafft es aus der Wohnung, ihren Notfallrucksack in der einen, die beiden Hunde in der anderen Hand. Sie flüchtet zu Bekannten, die auch in der US-Army-Station leben. Sie rufen die Militärpolizei, Stefanie sagt gegen ihn aus. Viele Momente seien unerträglich gewesen, aber besonders der, als sie unter Todesangst gegen ihn aussagen musste. Die Konsequenz dieser Aussage: Er darf das Haus 72 Stunden lang nicht betreten und muss zur Therapie. "Er hat mich psychisch und physisch misshandelt und mir mit dem Tod gedroht. Und das war seine Strafe", sagt sie.

In den 72 Stunden packt Stefanie ihre Sachen in schwarze Mülltüten und bringt sie zu einem befreundeten Soldaten. Aber bei ihm kann sie nicht bleiben: Sie sagt, die US Army würde nicht wollen, dass eine verheiratete Frau bei einem anderen Soldaten lebt. Die Army soll Druck auf den befreundeten Soldaten ausgeübt haben. Also geht sie zurück. "Das System hat ihn geschützt und mich in Lebensgefahr gebracht."

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Schlussendlich überzeugt Stefanie Jake von einer legalen Trennung. Sie einigen sich darauf, dass Stefanie die Hunde mit nach Deutschland nimmt – unter der Bedingung, dass sie auf jegliche finanzielle Unterstützung verzichtet. Wenige Wochen vor ihrer Abreise attackiert Jake Stefanie ein letztes Mal, tritt auf sie ein. Aus Angst, dass er den Hunden in der verbleibenden Zeit in der Militärbasis etwas antut, schweigt sie. Wie schwerwiegend die körperlichen Folgen sind, wird sie erst später begreifen. Im September 2009 kommt sie in Deutschland an, im November 2010 sind sie offiziell geschieden.

Nach drei Jahren zurück in Berlin sieht Stefanie ein: Sie schafft die Traumabewältigung nicht alleine. Also holt sie sich professionelle Hilfe. "Zeitgleich mit meiner Psychotherapie wurde ich mit mehreren Krankheiten diagnostiziert und musste fast zwei Jahre im Bett verbringen", sagt sie. Anfang 2017 beginnt Stefanie, ihre Erfahrungen auf Instagram zu teilen.

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