Drei Porträts von Leuten, die die Fusion besucht haben oder dort arbeiten
Braucht es Polizei auf der Fusion? Wir haben mit Gästen und Organisierenden gesprochen || Alle Fotos: Marleen Fitterer
Festivals

Leute auf der Fusion erzählen, was das Gefährlichste war, das sie dort erlebt haben

Für die Sicherheit wollte die Polizei erstmals eine Wache auf dem Festival installieren. Ohne Erfolg. Wir haben Besucherinnen und Organisatoren gefragt, ob es die gebraucht hätte.

Es gibt Dinge, für die es die Polizei braucht: zum Beispiel für Razzien bei Rechten oder um einen besoffenen Waschbären zu retten. Braucht es sie aber auf einem der größten alternativen Festivals Deutschlands? Das Fusion Festival in Mecklenburg-Vorpommern kam 22 Jahre ohne Polizei aus. Dieses Jahr sollte sich das ändern. Laut Neubrandenburger Polizei gebe es bei der Veranstaltung "eine Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen". Eine mobile Wache auf dem Gelände war geplant, auch von einem Polizei-Großeinsatz war die Rede. Daraufhin überarbeiteten die Veranstaltenden ihr Sicherheitskonzept, das anschließend vom zuständigen Amt genehmigt wurde. So fand die Fusion letztes Wochenende wie gewohnt statt – ohne Polizei.

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Der gefundene Kompromiss habe sich bewährt, schreibt die Polizei nach dem Ende des Festivals in einer Pressemitteilung. Die Kooperation zwischen Beamten und Veranstaltenden sei "sehr gut" gewesen. Dennoch wird die Fusion von einem traurigen Ereignis überschattet: Ein 28-Jähriger wurde tot in seinem Zelt aufgefunden. Die Todesursache ist unklar, ein Fremdverschulden schließt die Polizei aber aus.

Wir waren auch auf der Fusion, um mit Mitarbeitenden und Gästen über die Sicherheit auf dem Gelände zu sprechen. Was war das Gefährlichste, was sie auf der Fusion erlebt haben? Hätte es dafür Polizei gebraucht? Und was, wenn doch mal ein Notfall passiert?

Lena (25) ist seit 2012 regelmäßige Teilnehmerin

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Lena (2. v. r.) nimmt das siebte Mal an der Fusion teil

VICE: Kannst du dich an ein Erlebnis auf der Fusion erinnern, das dich besonders mitgenommen hat?
Lena: Bei unserem Camp [im Jahr 2016, Anm. d. R.] hat einer im Nachbarzelt etwas Falsches genommen. Das Medi-Team war innerhalb von wenigen Minuten da und hat geholfen. Wir haben uns am Tag danach nach seinem Befinden erkundigt. Dann ging es ihm wieder gut.

Hätte es in dieser Situation die Polizei gebraucht?
Wenn die Polizei diese Sache übernommen hätte, dann wäre es dem vielleicht noch schlechter gegangen. Man fühlt sich ja dann vor allem schlecht, weil man etwas Illegales gemacht hat. Es ist nur unverantwortlich, wenn Leute nach ihrem Konsum ins Auto steigen. Was man seinem Körper antut, liegt in der eigenen Verantwortung, aber andere in Gefahr bringen, das geht nicht. Deshalb finde ich es in Ordnung, wenn die Polizei nach dem Festival Kontrollen macht, und wenn Leute, die nicht nüchtern fahren, aus dem Verkehr gezogen werden.

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Gernot Rücker ist seit über 15 Jahren Notarzt auf der Fusion

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Gernot Rücker betreut den gesamten Sanitätsbereich des Festivals

VICE: Mit was für Verletzungen und Krankheiten kommen die Fusion-Gäste zu Ihnen?
Gernot Rücker: Mit den verschiedensten! Schnittwunden, Verletzungen, Blinddärme, die raus müssen, Harnwegsinfektionen, Zahnschmerzen, Zeckenbisse, Menschen haben Bauchweh, Durchfall oder erbrechen sich.

Heute sind fast 40 Grad, wie sind Sie vorbereitet?
Ich habe extra viele Kartons Infusionen bestellt. Wir sind auf Hitzeerschöpfungen und Hitzschläge vorbereitet.

Und was ist mit Drogen?
Es gibt auch Gäste, die Probleme mit Drogen haben, aber das bleibt im sehr niedrigen Prozentbereich. Das sind Unfälle. Menschen, die zu viel von einer Substanz genommen oder Substanzen verwechselt haben. Auch wenn Leute Drogen verabreicht bekommen, ohne es zu wissen, also durch Fremdeinwirkung. Das passiert selten, aber es passiert. Wenn hier jemand eingeliefert wird, weil er etwas Falsches oder zu viel konsumiert hat, dann ist das so, dann verurteile ich den nicht.

Es gibt keinen Punkt in Mecklenburg-Vorpommern, der katastrophenmäßig besser ausgestattet ist als das Fusion Festival.

Liefern Sie die Betroffenen anschließend ins Krankenhaus?
Wir behandeln fast alle vor Ort. Nur zum Beispiel bei Knochenbrüchen oder Blinddarmoperationen liefern wir Leute ins Krankenhaus. Dafür, dass wir es hier mit einer Menschenmasse von der Größe einer Kleinstadt zu tun haben, sind die Notfälle gering. Wir haben allein 36 Ärztinnen und Ärzte. Wir bieten 24 Stunden Überwachung. Es gibt keinen Punkt in Mecklenburg Vorpommern, der katastrophenmäßig besser ausgestattet ist als das Fusion Festival.

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Wie kann solchen Unfällen aufgrund von Überdosierungen vorgebeugt werden?
Drug Checking eignet sich sehr gut dafür. Wir machen das hier im kleinen Rahmen. Wenn eine Droge der Auslöser dafür war, dass es einer Person schlecht ging, und wir die Droge zur Hand haben, dann analysieren wir die. Wenn wir wissen, mit welchen Inhalten wir es zu tun haben, dann ist es für uns einfacher, Patienten oder Patientinnen, die hier bewusstlos eingeliefert werden, zu behandeln.

Welche Droge ist Ihrer Meinung nach die gefährlichste?
Unser Feind bei Großveranstaltungen ist ganz klar die Schnapsflasche und die mangelnde Dosierfähigkeit im Rausch. Alkohol ist die Substanz mit dem höchsten Risiko für Schwierigkeiten. Alkohol schürt das Aggressionspotential.

Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Wir sehen, dass die Teilnehmenden immer älter werden. Vor ein paar Jahren hatten wir hier einen älteren Mann, der ein paar Vorerkrankungen hatte und hier einen Herz-Kreislauf-Stillstand bekommen hat. Den haben wir erfolgreich wiederbelebt. 20 Minuten Reanimation.

Sind Sie der Meinung, dass es eine Polizeiwache auf dem Gelände geben soll?
Wir sind sehr gut vernetzt mit der Polizei. Würden wir sie brauchen, könnten wir sie ganz schnell erreichen. Es ist gut zu wissen, dass es sie gibt, aber es braucht sie nicht vor Ort. Das Aggressionspotential ist hier ganz niedrig.

Jerome (44) war erst nur Gast auf der Fusion, seit 2007 baut er den Firespace-Floor auf

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Jerome ist seit über 10 Jahren am Aufbau der Fusion beteiligt

VICE: Was war das Gefährlichste, was auf der Fusion je passiert ist, seitdem du dabei bist?
Jerome: Vor sechs oder sieben Jahren gab es einen Waldbrand hinter dem Gelände. Wenn der sich ausgebreitet hätte, dann hätte das Festival abgebrochen werden müssen. Aber Polizei wäre dafür auch nicht nötig gewesen, sondern Löschtrupps. Das Gelände ist ja eine große Freifläche, ein offenes Gelände. Das ist nicht wie bei der Loveparade, dass die Leute bei Panik nirgends ausweichen könnten. Hier handelt ein großes Team von 7.000 Ordnern, die alle mehr oder weniger instruiert sind, die alle wissen, was zu tun ist. Die wissen, wo die Feuerlöscher sind und wo die Notwege. Das kann keine Polizeiwache mit 100 Leuten kompensieren.

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Sascha leitet seit über 18 Jahren das Security-Team

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Security-Chef Sascha (2. v. l.) bei der Pressekonferenz

VICE: In welchen Situationen wird Security gebraucht?
Sascha: Wir haben klassische Aufgaben wie Einlasskontrolle oder die Absicherungen der Bühne. Wir beobachten das Publikum aber auch defensiv, unterbinden Straftaten, die aber eigentlich so gut wie nie stattfinden.

Ernst wird es also nie?
Es gibt kleine Streits oder Beziehungsdramen. Wir sind nicht nur Security, sondern auch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. Die meisten Situationen regeln wir durch Gespräche. Bei Menschen, die versuchen, sich ohne Ticket Zutritt zum Gelände zu verschaffen, greifen wir ein. Da verstehen wir keinen Spaß. Die bekommen Hausverbot. Bei wiederholtem Male müssen sie mit einer Anzeige rechnen.

Bei jedem kleinen Volksfest gibt es mehr Schlägereien als auf der Fusion.

Gibt es keine Probleme mit Gewalttaten?
Die Zeit der Schlägereien ist schon lange vorbei. In den Anfangsjahren waren hier Leute, die einfach nicht her gepasst haben. Die haben aber relativ schnell erkannt, dass sie hier am falschen Ort sind. Bei jedem kleinen Volksfest gibt es mehr Schlägereien als auf der Fusion.

Woran liegt das?
An der Publikumsstruktur. Bei Streitereien oder Zwischenfällen kümmern sich die Gäste selbst darum. Wir haben aber auch Streifen auf dem Gelände, die das Geschehen beobachten, mit deeskalierendem Anspruch. Dieses Jahr arbeiten wir zum ersten Mal mit weißen und pinken Westen, damit man uns erkennt. Das wurde von den Behörden verlangt.

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Wie häufig wird die Polizei kontaktiert?
Die Fälle, in denen wir in den letzten 18 Jahren Polizei gebraucht haben, können wir an einer Hand abzählen. Die Anzahl steht in keinem Vergleich zu anderen Festivals. Wenn es zu solchen Situationen kommt, dann sind wir die Letzten, die nicht mit der Polizei kooperieren würden. Wenn der Gast zum Beispiel auf eine Anzeige besteht, dann müssen wir darauf reagieren.

Flo (25) besucht die Fusion zum siebten Mal

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Flo ist der Meinung, die Polizei könnte eine gefährliche Situation noch verschlimmern

VICE: Kannst du dich an eine kritische Situation erinnern, die du auf dem Fusion-Festival erlebt hast?
Flo: Beim Auftritt von Giegling letztes Jahr hat eine vermummte Gruppe den Floor gestürmt und Flaschen und Steine Richtung DJ geworfen. Dabei wurden ebenfalls Künstlerbetreuende und Stagemanager getroffen, woraufhin der Gig abgebrochen wurde und die Gruppe abgehauen ist. Die Securitys waren sofort da und haben die Situation unter Kontrolle gebracht. Ich denke, die Polizei wäre in dieser Situation nur kontraproduktiv gewesen, vielleicht wäre es dadurch nur noch mehr eskaliert.

Sophie (35) feiert auf der Fusion seit 2004

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Sophie hat bereits eine brenzlige Situation erlebt

VICE: Hast du bereits eine gefährliche Situation auf der Fusion erlebt?
Sophie: Vor ein paar Jahren gab es einen Zwischenfall während einem HipHop-Konzert. Da sind verschiedene linke Gruppierungen aufeinander los. Die Sängerin hatte einen palästinensischen Hintergrund und hat sich offen gegen Israel ausgesprochen. Dann kamen Anti-Deutsche, die pro Israel sind. Das waren ein Haufen schwarzgekleidete Menschen, die Stunk gemacht haben. Aber die Securitys haben damit schon gerechnet. Die waren sofort deeskalierend zur Stelle, ohne dass etwas passiert ist. Das hat nicht mal zehn Minuten gedauert.

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Marcus (52) arbeitet seit sechs Jahren als Fusion-Rettungsschwimmer

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Marcus sorgt auf der Fusion für Sicherheit am See

VICE: Wie sorgt ihr hier für die Sicherheit der Menschen?
Marcus: Von unserem Team sind immer zwei Rettungsschwimmer im Einsatz. Ein guter Rettungsschwimmer arbeitet aber bereits präventiv. Wir beobachten die Menschen: Sind sie alkoholisiert? Sind es noch Kinder? Können sie schwimmen? Wir sprechen dann mit den Personen, holen sie präventiv aus dem Wasser. Seit es das Fusion Festival gibt, gab es noch keinen Badeunfall. Sicherheit entsteht ja auch dadurch, dass Menschen aufmerksam sind und aufeinander aufpassen. Das ist hier der Fall. Das entlastet uns.

Welche Fälle landen bei euch?
Verletzungen am Fuß, Krämpfe im Wasser oder Kreislaufprobleme können sehr schnell gefährlich werden. Manchmal auch unter Alkoholeinfluss oder anderen Drogen. Das wird unterschätzt. Gerade bei Alkohol neigen die Menschen zu Übermut. Mir fällt aber kein triftiger Grund ein, weshalb hier eine Polizeistreife am Strand patrouillieren sollte.

Susanne ist Mit-Veranstalterin des Fusion Festivals

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Susanne ist Plenums- und Vereinsmitglied des Kulturkosmos

VICE: Bist du der Meinung, dass es auf der Fusion Polizei braucht?
Susanne: Vor ein paar Jahren ist hier ein Mensch an einem Herzinfarkt gestorben. Bei solchen Fällen braucht man die Polizei. Wir stellen auch Dealer, dann nehmen wir denen die Drogen weg und übergeben sie an die Polizei. Unsere Organisation und unser Sicherheitskonzept sind wirklich gut. Die Awareness der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber auch von den Gästen selbst, ist sehr groß. Wir schauen, dass die Wege kurz sind, dass die Kommunikation im Ernstfall schnell funktioniert, dass die Ordner und Ordnerinnen gut ausgebildet sind. Sobald unsere Regeln verletzt oder Grenzen überschritten werden, ist das nicht akzeptabel. Wir schicken auch Leute nach Hause.

Update vom 4.7.2019, 12:05 Uhr: Wir haben den Artikel um die Abschlussbilanz der Polizei ergänzt.

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