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Deutsche Bahn

Dieser Student fährt für 1323,50 Euro mit dem Taxi quer durch Deutschland – auf Kosten der Deutschen Bahn

"Manchmal lohnt es sich, auf seine Rechte als Fahrgast zu beharren", sagt der 26-Jährige.
Der Taxifahrer habe sich über den Trip gefreut, sagt der Student | Alle Fotos von Sebastian Gosmann

Er sei noch nie in Norddeutschland gewesen, antwortet der Fahrer, als Sebastian Gosmann am Stuttgarter Bahnhof die Tür des Taxis öffnet und erzählt, dass sein Ziel am anderen Ende der Republik liegt. Sebastian Gosmann wollte nicht zu irgendeinem Hotel um die Ecke, nicht in die nächste Stadt oder zum übernächsten Kaff mit Bahnsteig, sondern nach Hause: "Ich muss nach Lübeck", sagt der 26-Jährige. Der Taxifahrer nickt, fährt los und lässt den Motor bis Hamburg laufen – sieben Stunden lang, über 700 Kilometer.

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"Manchmal lohnt es sich, auf seine Rechte als Fahrgast zu beharren", sagt Sebastian Gosmann. Der ICE des Jenaer Psychologiestudenten hatte 22 Minuten Verspätung auf der Strecke Friedrichshafen – Stuttgart, deswegen verpasste er seinen Anschluss in Stuttgart um ein paar Sekunden. Der Zug fuhr ab, als Gosmanns Finger noch auf dem Türöffner lagen. Gosmann hatte ein Ticket zur Mitnahme seines Mountainbikes – mit diesem konnte er den ganzen Tag keine andere Verbindung mehr nutzen. Wütend sei er zum nächsten Service-Schalter der DB gegangen und habe so lange auf die Mitarbeiterinnen eingeredet, bis sie ihm einen Taxigutschein in die Hand drückten.

Dass das Ziel von Gosmann 700 Kilometer entfernt liegt, sollte den DB-Mitarbeiterinnen klar gewesen sein. Am Ende zeigte das Taxameter in roten Ziffern im Rückspiegel 1323,50 Euro an.

1323,50 Euro kostete die Fahrt von Stuttgart nach Hamburg, danach fuhr der Student mit dem Zug nach Lübeck

Quer durch Deutschland für 1323,50 Euro

Ob jemand einen Taxigutschein bekommt, werde im Einzelfall auf Grundlage der geltenden Fahrgastrechte entschieden, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber VICE. Konkrete Aussagen zu solchen Einzelfällen könne er aber nicht machen, auch konkrete Zahlen zur Häufigkeit von Taxifahrten auf Kosten der DB könne er nicht nennen: "Das kommt vor allem in absoluten Ausnahmefällen vor, bei Streckensperrungen, Streiks, wegen Sturm oder Starkregen. Dann bekommen die DB-Kunden natürlich Taxigutscheine, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Reise fortzusetzen", sagt der Bahn-Sprecher.

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Unter der Frage "In welchen Fällen darf der Kunde ein Taxi nutzen?" steht in den Fahrgastrechten: wenn die planmäßige Ankunftszeit am Zielort zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens liegt. Oder bei einer Verspätung von mindestens einer Stunde am Zielbahnhof. Oder wenn ein Zug ausfällt und es sich dabei um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt. Oder wenn der Zielbahnhof durch kein anderes Verkehrsmittels bis Mitternacht erreicht werden kann (weil man beispielsweise ein Fahrrad dabei hat?). Eigentlich werden nur 80 Euro pro Person für eine Fahrt von der Bahn übernommen. Ein kleines Sternchen zeigt jedoch an: Diese 80-Euro-Regel kann überschritten werden. Dann gilt Artikel 18 des Fahrgastrechteverordnungs-Anwendungsgeseztes: Das Eisenbahnunternehmen organisiert eine Alternative, wenn der Fahrgast nicht weiterfahren kann. Wer einen Taxigutschein bekommt, kann also in extremen Ausnahmen der DB-Mitarbeiter oder die DB-Mitarbeiterin entscheiden.


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Der Fall von Sebastian Gosmann ist extrem, es lohnt sich aber immer, seine Rechte als Fahrgast zu kennen – zum Beispiel wenn man das nächste Mal auf dem überfüllten Bahngleis steht und eine Stunde auf seinen Zug wartet. Denn: Ab 60 Minuten absehbarer Verspätung kann man sich den Fahrpreis für ein alternatives Verkehrsmittel erstatten lassen. Außerdem gibt es 25 Prozent des Fahrpreises als Entschädigung zurück, ab zwei Stunden Verspätung die Hälfte des Fahrpreises. Schon ab 20 Minuten ist die Zugverbindung aufgehoben. Seine Rechte kann man ein Jahr lang geltend machen, erst dann verjährt der Schadensersatzanspruch. Nach drei Monaten müssen die Beschwerden bearbeitet sein. Ansonsten vermittelt die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zwischen Bahn und Reisegast.

Mit dem Taxifahrer habe er sich ganz gut verstanden, sagt Sebastian Gosmann. "Ab und zu hat er mit seiner Frau telefoniert, gesagt, dass er heute nicht mehr nach Hause komme." Dann habe er Gosmann müde in Hamburg rausgelassen, die beiden hätten sich per Handschlag und mit Schulterklopfer verabschiedet. Auch in Hamburg hätte Gosmann erneut seinen Zug fast verpasst, der ihn um 23:23 Uhr mit dem Rad nach Lübeck bringen sollte. Doch der Zug stand noch und Gosmann kam nach Mitternacht an seinem Ziel an.

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