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Technologie

Ein Zürcher Start-up könnte gerade den Kampf gegen den Klimawandel revolutionieren

Und damit erst noch Geld verdienen.
Alle Fotos bereitgestellt von Climeworks

Während Trump am Mittwoch in einem Tweet andeutete, aus dem Pariser Klimaabkommen austreten zu wollen, ging auf dem Dach der Kehrichtverwertungsanlage im zürcherischen Hinwil die weltweit erste kommerziell genutzte CO2-Filteranlage in Betrieb. Die vom Zürcher Start-up Climeworks betriebene Anlage filtert jährlich 900 Tonnen CO2 aus der Luft und liefert sie an ein nahegelegenes Gewächshaus. In diesem kann mit dem "natürlichen" CO2 die Gemüseproduktion um rund 15 Prozent gesteigert werden.

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"Vorher mussten wir industriell hergestelltes, fossiles CO2 einkaufen, welches mit Lastwagen angeliefert und in Tanks zwischengespeichert werden musste", erklärt Markus Meier, Geschäftsleiter des Gewächshauses, auf Anfrage von VICE. Durch das zusätzliche CO2 würden die angebauten Gurken, Tomaten und Auberginen nicht schneller oder grösser wachsen, sondern schwerer werden. Dies sei genau der Effekt, den man sich bei einem Gewichtspreis wünsche, so Meier.

Die CO2-Filteranlage, die ausschaut wie eine zwölf Meter hohe Wand aus 18 überdimensional grossen Haartrocknern, bezieht 80 Prozent ihres Energieverbrauchs von der Abwärme der Kehrichtverwertungsanlage. Sie ist jedoch mehr als ein schickes Gadget für ein Öko-Gewächshaus – es ist der Grundstein für einen neuen, globalen und nachhaltigen CO2-Markt.

Die Köpfe hinter der CO2-Filteranlage: Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher (rechts)

Gelegt haben ihn die beiden ehemaligen Maschinenbaustudenten Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, als sie 2009 aus ihrem Forschungsprojekt an der ETH Zürich ein Start-up machten. Die Grundidee ist simpel: In den Ventilatoren der Anlage befinden sich Zellulose-Filter, die das CO2 absorbieren, das sich in der Luft befindet. Wenn ein Filter nach rund fünf Stunden gesättigt ist, wird er luftdicht isoliert und auf 100 Grad erwärmt. Dabei löst sich das CO2 und kann abgesaugt werden. Dann wird es – wie im Falle der Anlage in Hinwil – entweder direkt an einen Abnehmer geliefert, oder in flüssiger Form zwischengespeichert und auf dem CO2-Markt verkauft.

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"Mit dem CO2 können wir die unterschiedlichsten Kundensegmente bedienen", sagt Dominique Kronenberg, Leiter des operativen Geschäfts von Climeworks, auf Anfrage von VICE. So könne das CO2 auch dafür verwendet werden, um in einem geschlossenen Kreislauf erneuerbare Treibstoffe für den Fahrzeugmarkt, Kohlensäure für den Getränkemarkt sowie Kunststoffe – wie etwa Plastik und andere Materialien – für den Baumarkt herzustellen.

"Was wir heute erleben, ist nicht nur die Geburt einer neuen Spezies, die gelernt hat, ihre selbstverschuldete Klimaerwärmung einzudämmen. Es ist gleichzeitig auch die Geburt einer Wirtschaft, in welcher der Wiederherstellung natürlicher Balance ein kommerzieller Wert zukommt", prophezeit Dr. Julio Friedmann, Senior Advisor am Lawrence Livermore National Lab, auf Anfrage von VICE. Er sehe darin aber mehr als das blosse Potential für Getränkehersteller, sich mit CO2-neutral hergestellter Kohlensäure von der Konkurrenz abheben zu wollen und damit den fortschreitenden Treibhauseffekt etwas einzudämmen.

Überschaubarer Transportweg: Blick aus dem Gewächshaus auf die Kehrichtverwertungsanlage Hinwil

Der langjährige Energieberater der Obama-Administration sieht vielmehr die Entstehung eines Marktes, in der Unternehmen und Privatpersonen massenhaft in CO2-Zertifikate investieren, die für negative Emissionen vergeben werden. Von negativen Emissionen spricht man, wenn aus der Luft gefiltertes CO2 nicht in die Wirtschaft zurückfliesst, sondern tief unter der Erde in Gesteinsformationen eingelagert und somit für immer aus der Atmosphäre entzogen wird.

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"Auch wenn einige Politiker etwas anderes sagen mögen: CEOs von Kalifornien bis Shanghai haben längst begriffen, wie ernst die Situation ist. Immer mehr Firmen unterscheiden zwischen dem Preis und dem Wert einer CO2-neutralen Produktion", so Friedmann. Wenn er an die zwei Trillionen Tonnen CO2 denkt, die sich in der Atmosphäre befinden, ist es für den Regierungsberater bloss eine Frage der Zeit, bis daraus ein globaler Wachstumsmarkt entsteht. Friedmann schliesst nicht aus, dass der CO2-Markt eines Tages grösser sein wird als der Erdölmarkt heute.

Wachstumspotential: Aus der Luft gefiltertes CO2

Auch bei Climeworks denkt man in ähnlich ambitionierten Dimensionen: Das Zürcher Start-up hat sich das Ziel gesteckt, mit ihrer Technologie bis 2025 ein Prozent der globalen CO2-Emissionen aus der Atmosphäre zu filtern und damit zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels beizutragen. Dabei handelt es sich um den Vorsatz der internationalen Klimapolitik, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Klima zu begrenzen.

"Den ersten Schritt haben wir mit der Inbetriebnahme heute geschafft. Ab jetzt haben wir ein konkretes Vorzeigeprojekt und müssen unsere Idee nicht mehr ab Flip-Chart-Slides und Powerpoint-Präsentationen verkaufen. Wir sind dem Pioniergeist der Gebrüder Meier deshalb sehr dankbar", so Kronenberg.

Auch wenn es heute noch nicht möglich ist, die Erfolgsaussichten der Technologie abschliessend zu beurteilen, so stellt die Inbetriebnahme der Anlage definitiv einen lang erwarteten Hoffnungsschimmer in der Bekämpfung der Klimaerwärmung dar. Oder in Friedmanns Worten: "Wir haben die Umwelt verschmutzt. Zeit, die Schweinerei aufzuräumen!"

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