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Sex

Ich habe mein Studium mit Sexarbeit finanziert

Einmal bin ich eingeschlafen, während mein Kunde mich geleckt hat.
NW
aufgeschrieben von Naomi-Saphira Weiser
Das Dekolleté einer Frau, im Hintergrund sind 500 Euro Scheine und Kondome
Symbolbild: VICE || Frau: imago | Rolf Kremming || Kondome: imago | Christian Ohde

Als ich mich mit Anfang 20 von meinem Freund trennte, beschloss ich, in eine andere, größere Stadt zu ziehen, um neu anzufangen. Ich wollte selbst für mich sorgen und unabhängig sein. Ich mietete eine Wohnung, schrieb mich an der neuen Uni ein, und fand einen Teilzeitjob. Es war ein spießiger, langweiliger Bürojob bei einem großen internationalen Konzern.

Ich habe unterschätzt, was das Leben in einer Großstadt kostet. Mit der Wohnung habe ich mich finanziell total übernommen, umziehen war aber auch keine Option. Erst habe ich meinen Bausparvertrag, dann mein Sparkonto leer geräumt.

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Aber auch meine Ersparnisse waren irgendwann aufgebraucht, der Bürojob gab nicht viel her und mein Konto wurde gesperrt, weil ich es stark überzogen habe. Familie oder Freunde um Hilfe zu bitten, kam für mich nicht in Frage. Dafür bin ich zu stolz. Ich wollte mich selbst aus der Schulden-Scheiße ziehen, in die ich mich gebracht habe. Mir war klar: Wenn ich nicht auf der Straße landen will, brauche ich einen neuen Job.


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"Jeder weiß, was ich gleich tun werde"

Zuerst hatte ich einfache Studentenjobs auf dem Schirm. Aber als Baby- oder Hundesitterin wird man auch nicht reich. Ich brauchte einen Job, mit dem ich in kurzer Zeit viel Geld verdienen konnte. Neben meinem Wirtschaftsstudium und dem Bürojob blieb mir allerdings nicht viel Zeit übrig. Also beschloss ich, als Escort-Dame zu arbeiten. Man ist flexibel und verdient in kurzer Zeit sehr viel Geld.

One-Night-Stands waren nicht mein Ding, aber der Job schien mir zu diesem Zeitpunkt der einzige Weg. Man könnte sagen, dass die Umstände mich bereits abgestumpft hatten. Ich nahm mir vor, das alles nicht emotional an mich heranzulassen und nicht so viel darüber nachzudenken.

Beim Escort geht es nicht nur um Sex. Das ist der Unterschied zur Prostitution. Man kauft sich für ein paar Stunden eine Freundin. In dieser rein geschäftlichen Beziehung geht es nur um den Mann und seine Bedürfnisse – die körperlichen und die emotionalen.

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Ich begann, im Internet zu recherchieren und fand verschiedene Portale, auf denen man sich als Escort anbieten kann. Entschieden habe ich mich für eine Datingseite mit einem Bewertungssystem. Freier und Escorts beurteilen sich dort nach einem Date gegenseitig. So fühlte ich mich sicherer.

Ich erstellte einen Account, gab meine Vorlieben und meine Tabus an, Analsex und Natursekt kamen für mich nicht in Frage. Ich lud ein paar sexy Bilder von mir in Reizwäsche hoch und hatte sehr bald Interessenten.

Ich fing an, mit einem Typen zu schreiben. Er wirkte sehr höflich. Wir tauschten ein paar Nachrichten aus, er gab mir seine Adresse, wir vereinbarten Uhrzeit und Preis. Ich nahm pro Stunde 150 Euro, Dates unter zwei Stunden nahm ich gar nicht erst an. Erst auf dem Weg wurde ich nervös. Da war dieser eine Gedanke, den ich nicht los wurde: Jeder weiß, was ich gleich tun werde.

"Du bist mein erster Kunde", habe ich gesagt. Er sah mich beruhigend an: "Mach dir keine Sorgen"

Ich fuhr zur angegebenen Adresse in einen der nobleren Bezirke Wiens. Ich hatte keine Ahnung, wie der Mann, mit dem ich gleich schlafen werde, aussieht. Als er mir die Tür aufmachte, war ich erleichtert. Er war groß, gut gebaut und um die 30 – mit den dunklen Haaren und dem Bart war er sogar fast mein Typ. Er behauptete, ein wohlhabender Geschäftsmann zu sein. Die Wohnung war stilvoll eingerichtet. Er hatte überall Kerzen aufgestellt. Ich war immer noch wahnsinnig aufgeregt. Mein ganzer Körper hat gezittert. Natürlich hat er das bemerkt. Also war ich ehrlich. "Du bist mein erster Kunde", habe ich gesagt. Er sah mich beruhigend an: "Mach dir keine Sorgen".

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Er hatte sogar für uns gekocht. Es gab Hühnchen mit Soße und Reis, zum Nachtisch ein Schokoladendessert. Den restlichen Abend lang haben wir uns einfach nur unterhalten. Miteinander geschlafen haben wir nicht. Am Ende hat er sich für den schönen Abend bedankt und ich bekam trotzdem den vereinbarten Betrag. Für mich war es unglaublich, dass ich gerade so viel Geld in der Hand hielt, ohne die eigentlich vereinbarte Gegenleistung erbracht zu haben.

Mein richtiges erstes Mal hatte ich dann mit einem Typen, der geschäftlich in der Stadt war. Ich war viel weniger nervös und hatte mich sehr gut im Griff, als ich vor dem Hotelzimmer stand. Ich habe tief durchgeatmet und angeklopft. Wir haben ein paar Drinks genommen und uns über Alltägliches unterhalten. Smalltalk, wie man ihn mit Menschen führt, die man kaum kennt.

Den ersten Schritt hat er dann gemacht. Es war nichts Besonderes für mich, nur Sex. Wie bei einem normalen Tinder-Date, bei dem man sich für einen One-Night-Stand verabredet. Nur dass man für den Sex bezahlt wird.

Die meisten Männer, die Dates bei mir gebucht haben, waren zwischen 40 und 50 Jahre alt. Sehr gefragt war Girlfriend-Sex. Mein Dates haben mir erzählt, dass sie keine Professionals wollen, sondern Zeit mit dem "Mädchen von nebenan" verbringen möchten. Manche Kunden hatten auch sehr konkrete Outfit-Wünsche. Von Sneakers mit Jeans bis zu Strapsen und Lack und Leder war alles dabei. Bei den Treffen haben wir uns über Belangloses unterhalten, das Wetter zum Beispiel. Wir haben getrunken, gegessen, gelacht. Eine schöne Zeit zu haben, ist genauso wichtig wie der Spaß im Bett. Deswegen hatte ich auch nicht mit allen Sex.

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Getroffen habe ich meine Dates meistens in Stundenhotels, seltener in ihrer Wohnung. Prostituierte kann man meist in Bordellen oder Wohnungen besuchen. In meiner Wohnung wollte ich das einfach nicht tun. Auch aus Selbstschutz. Küssen und Kuscheln waren für meine Dates verboten. Das ist etwas, was ich nur mit einem Menschen teilen möchte, für den ich wirklich Gefühle empfinde. Es war mir extrem wichtig, dass diese Grenze nicht überschritten wird.

Ein Date war für mich einfach nur ein Job. Ich gehe hin, tu es, und gehe wieder heim. Über alles andere wollte ich dabei nicht groß nachdenken.

"Für mich war Diskretion extrem wichtig"

Einmal bin ich eingeschlafen, während mein Date mich geleckt hat. Als ich Stunden später aufgewacht bin, war ich panisch. Er hatte sich zu mir gelegt. Ich habe mich tausendmal entschuldigt, aber er fand es einfach nur süß. Er gab mir das Doppelte von dem, was wir vereinbart hatten und bedankte sich für das tolle Date.

Für mich war Diskretion extrem wichtig. Wenn mein Umfeld davon wüsste, wären die meisten sehr enttäuscht. Meine Familie würde mich mit anderen Augen sehen. Daher habe ich nie gesagt, wie ich wirklich heiße, woher ich komme oder sonst irgendeine persönliche Information genannt. Ich finde das sehr schade. Es ist okay, sich im Club für ein paar Drinks flachlegen zu lassen, aber sein Geld durch Sexarbeit zu verdienen, wird verurteilt. Ich habe bisher nur meinem aktuellen Freund erzählt, dass ich Sexarbeiterin war.

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Man gewöhnt sich an das schnelle Geld. Ich habe weitergemacht mit den Dates, obwohl ich alles abbezahlt hatte. Das hat mich unvorsichtig werden lassen – bis ich zu weit gegangen bin.

"Stundenhotels. Das ist einer dieser Orte, vor denen man als Kind gewarnt wird – Sodom und Gomorra"

Ein Kunde, den ich zuvor noch nie getroffen hatte, bat um zwei Dates an zwei aufeinander folgenden Tagen. Am ersten Tag trafen wir uns in einem Sexshop um Fesseln, ein Lackoutfit und eine Lederpeitsche für mich zu besorgen.

Der Kerl war richtig eklig, er roch nach Zigarettenrauch und einem starken, billigen Aftershave. Er wollte mich fesseln, mir die Augen verbinden und mich auspeitschen. Kein Sex. Daher willigte ich ein.


Am nächsten Tag haben wir uns in einem muffigen alten Stundenhotel verabredet. Stundenhotels sind Orte mit eigener Energie und Dynamik. Es mieft nach kaltem Zigarettenrauch und billigem Raumspray. Aus den anderen Zimmern hört man das Gestöhne anderer Paare, während man die Treppen hochsteigt. Das ist einer dieser Orte, vor denen man als Kind gewarnt wird – Sodom und Gomorra. Als ich an Händen und Füßen gefesselt und mit verbunden Augen auf dem Bett lag, wollte er heimlich Fotos von mir machen. Das war nicht abgesprochen. Als ich ihn darauf ansprach, wurde er richtig cholerisch. Er hat an den Ketten meiner Fesseln gezerrt und mich angeschrien. Schließlich hat er doch die Fesseln geöffnet. Er sagte, dass ich wegen ein paar Fotos alles kaputt gemacht hätte. Ich konnte die Wut in seinen Augen sehen.

Er ist gegangen und hat mir die Hälfte des Geldes hingeklatscht. Eine Stunde lang lag ich noch alleine auf dem Bett im Stundenhotel und habe geheult. Ich habe mich alleine gefühlt. Es war schwer, in diesem Moment keine Vertrauensperson zu haben.

Ich habe mir noch am selben Tag geschworen, dass ich mit dem Escort-Service aufhören werde. Heute hoffe ich, dass ich nie wieder in eine Situation komme, in der es keinen anderen Ausweg gibt. Aber ich schäme mich nicht für das, was ich getan habe. Für mich war es nur ein Job, nichts Persönliches. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Ich würde es wieder tun, wenn es notwendig ist.

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