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Britney Spears' psychische Gesundheit ist nicht eure Unterhaltungsshow

Leave Britney alone. Und alle anderen Menschen in psychiatrischer Behandlung.
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Fotos: Britney (Mitte) | imago | Media Punch || Britney (Seiten) | imago | Landmark Media || Federn: torange.biz | CC-BY 4.0 || Wolken | Pixabay || Herzen | Pixabay || Montage: VICE 

Britney Spears soll sich in einer psychiatrischen Klinik behandeln lassen. Berichten zufolge will die 37-Jährige einen Monat dort bleiben, weil die Krebserkrankung ihres Vaters ihre psychische Gesundheit belaste. Die Sängerin selbst kommentiert die Nachrichten am Mittwoch mit einer Motivations-E-Card über mentale und körperliche Gesundheit auf Instagram und einem Smiley. Kurzum: Eine Geschichte, die so spannend ist wie die Tatsache, dass die Pop-Ikone mit einem Privatjet durch die Welt fliegt. Wären da nicht deutsche Boulevard-Medien wie Bunte, inTouch oder Express, die den Aufenthalt in der "Psycho-Klinik" zu einem "Schock" oder "Drama" stilisieren. Und damit zeigen, warum ein Psychiatrie-Aufenthalt für viele Menschen schlimmer ist, als sich eine Woche mit einem Ballermann-Sänger ein Zimmer zu teilen.

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Als Britney Spears 2008 ihren ersten öffentlichen Zusammenbruch hatte und sich scheinbar im Affekt die Haare abrasierte, lieferte sie Meme-Material für ein ganzes Jahrzehnt. Heute bezeichnen Medien den aktuellsten Klinikaufenthalt der Sängerin als "neuen Psycho-Schock", als sei es das lang erwartete Sequel einer Netflix-Serie.

Dass über Spears' Behandlung überhaupt berichtet wird, liegt sicherlich an ihrem Promi-Status – und am Geschäftsmodell der Boulevard-Medien, mit öffentlichen Personen Geld zu machen. Wer einen Artikel über psychische Erkrankungen in einem Tenor schreibt, der auch zu einem Bericht über eine Atomkatastrophe passen würde, beeinflusst eine gesellschaftliche Wahrnehmung, die auch nicht-prominente Erkrankte betrifft. Und davon gibt es viele.

Allein in Deutschland bekommen innerhalb eines Jahres 17,8 Millionen Erwachsene eine psychische Erkrankung. In den meisten Fällen sind das Angststörungen oder affektive Störungen, zu denen auch Depressionen zählen. Das Bundesministerium für Gesundheit beschreibt Depressionen sogar als "Volkskrankheit".

Nicht einmal ein Fünftel der Betroffenen nimmt professionelle Hilfe in Anspruch

Es mag mittlerweile bekannte Psychologie-Podcasts geben und immer mehr Menschen, die offen über ihre Therapie-Erfahrungen sprechen. Viele Psychotherapeutinnen haben monatelang keine freien Termine oder können keine neuen Patienten in ihrer Praxis aufnehmen. Das zeigt die schlechte Versorgung – aber auch, dass es Menschen gibt, die sie in Anspruch nehmen wollen. Dennoch: Nicht einmal ein Fünftel der Betroffenen holt sich Hilfe bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychiaterin, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.

Dafür verantwortlich sind neben den organisatorischen Hürden und zu wenigen Informationen über die Erkrankungen auch die Stigmatisierungen, die mit einer medizinischen Behandlung einhergehen. Oder, wie Bild schreibt: der Einweisung in die "Psycho-Klinik".

Das schlechte Image zieht sich gesamtgesellschaftlich durch. Menschen, die über psychische Erkrankungen sprechen, werden oft eher bemitleidet als ernst genommen. "Bist du dir wirklich sicher?"; "Du wirkst aber gar nicht verrückt."; "Hast du es mal mit Urlaub probiert?". Nicht alle Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen betroffene Blicke, die wenigsten können etwas mit unbeholfenen Lifestyle-Ratschlägen anfangen. Und noch weniger freuen sich darüber, wenn Nicht-Betroffene aus ihren Erfahrungen gut klickbaren Content zusammenstellen.

Es ist kein Euphemismus, wenn Britney am Mittwoch auf Instagram schreibt: "We all need to take time for a little 'me time'. :)" Psychische Gesundheit ist körperliche Gesundheit. Es ist OK, sich dafür angemessene Hilfe zu holen. Und es sollte keinen Unterschied machen, ob wir wegen einer verstopften Nasennebenhöhle eine Ärztin um Hilfe bitten oder wegen der Panikattacken, die wir abends im Bett bekommen. Auch, wenn Letzteres für die meisten Medien die interessantere Story wäre.

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