Erhabene Fotos von Geflüchteten und ihren wertvollsten Fluchtgegenständen
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Erhabene Fotos von Geflüchteten und ihren wertvollsten Fluchtgegenständen

Die meisten kennen es nur als hypothetische Frage: Welchen Gegenstand würdest du retten, wenn du flüchten müsstest? Diese Menschen haben sich tatsächlich entschieden.

Ob es nun die junge Syrerin ist, die ihre geliebte Schildkröte in der Jackentasche bis nach München schmuggelte, oder die andere, die ihre Katze im Flüchtlingslager in Idomeni auf den Armen trägt—jeder flüchtende Mensch muss sich mit der Frage konfrontieren: "Was ist mir so wichtig, dass ich es mitnehmen will?" Eine Frage, die ich wie wohl die meisten von euch eher daher kennen, dass in Kindheitsträumen das eigene Zuhause in Flammen aufging und man nur einen einzigen Gegenstand und sich selbst vor dem Feuer retten konnte.

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Der Basler Fotograf Gabriel Hill hat sich genau dieser Frage angenommen und Geflüchtete in sein Studio geladen, wo sonst vor allem Leute des oberen Kaders der Pharma-Branche für Portraits ein und aus gehen. Die einen kennen wir vor allem als selbstbewusst auftretende Anzugsträger, die anderen als verzweifelte Menschen mit wenig Perspektive. Anstatt diesem Kontrast hebt der Fotograf in seiner Arbeit aber das hervor, was beide gemeinsam haben, das bei den einen aber oft vergessen geht: ihre menschliche Würde. Er zeigt die Geflüchteten bewusst nicht als Bemitleidenswerte.

Gabriel hat uns Fotos aus seinem Projekt ImPORTRAITS zur Verfügung gestellt, das es unter die besten sieben Arbeiten der Kategorie "Free" bei den Swiss Photo Awards schaffte. Mehr Fotos aus dem Projekt findest du noch bis Ende August in der Galerie Parzelle 403 in Basel.

Farhad, 27 – Geflüchtet aus Afghanistan im Jahr 2007

"Geflüchtet bin ich 2007 aus Afghanistan. Zwar hatte ich einige Sachen eingepackt, jedoch befahlen uns die Schlepper auf der Flucht alles wegzuwerfen. Ich brachte es nicht übers Herz dieses Foto meiner Mutter wegzuwerfen und konnte es unbemerkt unter meinen Kleidern verstecken. Seither habe ich meine Mutter nicht mehr gesehen. Daher ist das Foto sehr wichtig für mich."

Shireen, 21 – Geflüchtet aus Afghanistan im Jahr 2010

"Ich bin seit zwei Jahren in der Schweiz. Meine Familie hatte nur genug Geld, um meine Flucht zu bezahlen. Ich bin alleine hier. Da eine Flucht sehr viel Geld kostet, wird es meiner Familie auch nicht möglich sein hierherzukommen.

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Als ich aufgebrochen war, hatte mein Vater mir ein Mobiltelefon mitgegeben. Mehr als das Mobiltelefon und die Kleider, die ich trug, konnte ich nicht mitnehmen. Das Mobiltelefon war für mich auf der Flucht die einzige Möglichkeit mit meiner Familie in Kontakt zu treten und ihnen Bescheid zu geben, dass ich wohlauf bin. Auch gab es mir das Gefühl, nicht völlig alleine zu sein. Es hat mir alles bedeutet."

Sejla, 33 – Geflüchtet aus Bosnien im Jahr 1992

"Während meiner Kindheit reiste mein Vater geschäftlich nach Afrika. Obwohl ich mir als dreijähriges Mädchen einen lebendigen Affen gewünscht hatte, brachte er mir eines Tages einen Plüschhasen mit, den er am Zürcher Flughafen gekauft hatte. Dieser namenlose Freund begleitete mich fortan. Als der Krieg anfing, ging alles derart schnell, dass ich weder verstehen konnte, was passiert, noch in der Lage war, zu überlegen, was ich mitnehmen möchte. So kam es, dass ich das Wichtigste im Kriegsgebiet zurückliess: meinen Vater und den Hasen. Ich würde sie für drei Jahre nicht mehr sehen. Ich schrieb viele Briefe, mit all meinen kindlichen Gedanken: 'Konntest Du den Hasen finden? Ich vermisse Dich!'

Als ich 1995 in die Schweiz einreiste, war das Wiedersehen unbeschreiblich. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich dieses liebe und so vertraute Gesicht am Zürcher Flughafen sah. In seiner Hand: mein geliebter Hase."

Rohulla, 24 – Geflüchtet aus Afghanistan im Jahr 2010

"Vor fünf Jahren floh ich aus meiner Heimat Afghanistan. Mit dem Gummiboot überquerten wir das Meer. Keiner von uns wusste, was uns erwartet und ob wir sicher ankommen. Auf der Flucht konnte ich ausser dem, was ich an Kleidung trug, nichts mitnehmen. Ich war noch sehr klein, als mein Vater getötet wurde. Darum habe ich auch fast keine Erinnerung mehr an ihn. Mein Vater trug stets seine goldene Halskette, welche mir meine Mutter gab, nachdem er gestorben war.

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Ich kam alleine in die Schweiz und diese Halskette ist alles, was ich von meiner Familie und meiner Heimat habe. Die Halskette ist für mich das Wichtigste, weil sie mir das Gefühl gibt, dass mein Vater immer bei mir ist und ich nie alleine bin."

Ahmet, 24 – Geflüchtet aus Eritrea im Jahr 2013

"In Libyen hatte ich ein Boot bestiegen, das mich nach Italien hätte bringen sollen. Mitnehmen konnte ich nichts ausser den Kleidern, die ich trug, und einen kleinen Papierzettel mit der Nummer meiner Eltern darauf. Ich sollte gleich Bescheid geben, wenn ich sicher angekommen bin, damit sich meine Familie keine Sorgen mehr machen muss. Nach etwa der Hälfte der Überfahrt ist das Boot gekentert. Es war sehr alt. Da Kleider Wasser aufsaugen, habe ich alles ausgezogen und die Kleider verschwanden in der Tiefe des Meeres. Mit ihnen der Zettel.

Ich und etwa 200 andere Flüchtlinge überlebten die Überfahrt, über 250 sind ertrunken. In der Schweiz angekommen, fand ich erst Monate nach meiner Flucht aus Eritrea jemanden, der meine Familie ausfindig machen konnte. Sie dachten, ich hätte die Überfahrt nicht überlebt. Der Zettel mit der Nummer war das Wichtigste, das ich besass."

Nazim, 26 – Geflüchtet aus Afghanistan im Jahr 2011

"Vor fünf Jahren bin ich aus meiner Heimat Afghanistan geflüchtet. Ich hatte dort eine Ausbildung zum Polizisten gemacht. Kurz nachdem ich begann als Polizist zu arbeiten war ich gezwungen, mein Land zu verlassen.

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Während der Flucht sagten mir die Schlepper, ich müsse meinen Rucksack wegwerfen und mir blieb nur dieses Büchlein von der Polizeiausbildung und eine Kette, die ich von meiner Mutter bekommen hatte. Mein grösster Traum war es, Polizist zu werden. Dieses Büchlein ist das Einzige, was von diesem Traum übrig geblieben ist."

Vinasithamby, 64 – Geflüchtet aus Sri Lanka im Jahr 1984

"1984 musste ich meine Heimat Sri Lanka verlassen. Einen Grossteil der Flucht habe ich zu Fuss bewältigt. Bis ich in der Schweiz ankam, musste ich jedoch noch mit einem Boot, einem Flugzeug und einem Zug reisen.

Mitnehmen konnte ich praktisch nichts, ausser dem, was ich anhatte. Da ich meine ganze Familie zurücklassen musste, waren diese Fotos die einzigen und zugleich wichtigsten Sachen, die ich dabei hatte. Die Fotos zeigen meine Eltern, meinen Bruder und meine verstorbene Schwester."

Suleyman, 18 – Geflüchtet aus Afghanistan im Jahr 2014

"Bis ich in der Schweiz angekommen war, dauerte es fast neun Monate. Fünf Mal bestieg ich in der Türkei ein Boot, um nach Griechenland zu gelangen. Immer wieder wurden wir aufgefasst und zurückgeschickt und ein Mal ist das Boot gekentert.

Von all den Sachen, die ich mitgenommen hatte, blieb mir nur dieses Telefon. Meine Mutter kaufte es mir, als ich die Flucht angetreten hatte. Gekostet hatte es 3000 Afghani, etwa 40 Euro, was einen halben Monatslohn für meine Familie war. Das Telefon war für mich die einzige Möglichkeit, meiner Familie Bescheid zu geben, dass es mir gut geht und ihnen mitzuteilen, wo ich mich gerade aufhalte. Meine Mutter war in grosser Sorge und so konnte ich sie ab und zu etwas beruhigen. Auch half es mir dabei, dass ich mich nicht so alleine fühlte."

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Yosief, 20 – Geflüchtet aus Eritrea im Jahr 2014

"Die Flucht in die Schweiz war lang und beschwerlich. Tagelange Fussmärsche, etliche Verhaftungen in verschiedenen Ländern und die Durchquerung einer der grössten Wüsten der Welt machten die Reise nicht gerade angenehm. Glücklicherweise haben wir alle überlebt.

Ich hatte einige Sachen von Zuhause eingepackt, aber vor der Durchquerung der Wüste musste ich alles wegwerfen, damit ich so viele Wasserflaschen wie möglich einpacken konnte. Behalten habe ich nur ein kleines Büchlein mit Telefonnummern und wenige Fotos aus meiner Kindheit. Die Telefonnummern waren für mich lebenswichtig. Zahlreiche Male wurde ich verhaftet und musste Lösegeld bezahlen, damit sie mich gehen liessen. Glücklicherweise habe ich einen Onkel in den USA, welcher mir dann jeweils Geld schicken konnte. Seine Nummer war daher das Wichtigste überhaupt für mich."

Marie-Therese, 62 – Geflüchtet aus der D.R. Kongo Im Jahr 2008

"Von einer Sekunde auf die Andere musste ich meine Heimat verlassen. Leider reichte die Zeit nicht aus, etwas mitzunehmen."

Taghi, 27 – Geflüchtet aus dem Iran im Jahr 2011

"Vor fünf Jahren musste ich den Iran verlassen. Mitnehmen konnte ich nur, was in meine Hosentasche passte und was ich anhatte. Es sollte mehrere Monate dauern, bis ich in der Schweiz ankam. Die meiste Zeit ging ich zu Fuss. Ein paar Mal überquerten wir mit einem Gummiboot einen Fluss. Ich habe nur diese drei Bilder mitgenommen. Jedes Einzelne steht für eine gewisse Zeit in meinem Leben vor der Flucht, an die ich mich gerne zurückerinnere. Ich hätte gerne mehr Sachen aus meiner Heimat mitgenommen, aber es war unmöglich."

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Migmar, 59 – Geflüchtet aus Tibet im Jahr 1959

"Mit meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester und meinen Grosseltern flüchtete ich 1959 von Tibet nach Indien. Ich war damals etwa zwei Jahre alt. Mein genauer Geburtstag ist unbekannt. Mit meinem Vater und den Grosseltern erreichte ich Indien. Meine Mutter und meine Schwester hatten wir auf der Flucht verloren.

Das Wichtigste, das wir auf der Flucht dabei hatten, waren die Taschenlampen, die uns den Weg über den Himalaya beleuchteten."

Mahmoud, 20 – Geflüchtet aus dem Libanon im Jahr 2014

"Ursprünglich komme ich aus Palästina, flüchten musste ich jedoch aus dem Libanon. Vor einigen Jahren konvertierte ich vom Islam zum Christentum und ein Priester schenkte mir diese Bibel. Während der Flucht drohte unser Boot zu kentern und die Schlepper befahlen uns, allen Besitz, den wir dabei hatten über Bord zu werfen. Die Bibel konnte ich jedoch verstecken. Sie ist mein grösster Schatz, gibt mir in schweren Zeiten Kraft und auch wenn sie vom Meerwasser durchweicht und stark verschmutzt ist, möchte ich sie nicht gegen eine Neue tauschen.

Hier in der Schweiz lebe ich in einem Heim, welches mehrheitlich von Muslimen bewohnt ist. Nur mein Bruder und meine Familie wissen, dass ich konvertiert bin. Ich kann deshalb mein Gesicht nicht zeigen und bin gezwungen ein Doppelleben zu führen."

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