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Popkultur

Das Internet ist ein wundersamer Ort und Werner Herzog hat ihn am besten verstanden

Die Internet-Doku 'Lo and Behold: Reveries of the Connected World' solltet ihr euch anschauen.

Screenshot via VICE Media

Marshall McLuhan sagte mal, dass Medien entweder Erweiterungen oder Amputationen unserer Sinnesorgane sind: Fernsehen lässt uns weiter schauen als unsere Augen, Radio weiter hören und so weiter. In diesem Sinne ist das Internet eine Erweiterung unseres Gehirns. Und gleichzeitig vielleicht eine Amputation davon.

So wie das Fernsehen uns weiter schauen lässt, lässt das Internet uns weiter denken—und gleichzeitig gibt es in ihm auch solche Dinge wie Hass-Kommentare, wild gewordene Shitstorm-Mobs und einen endlosen Fundus an (sozial)pornographischen Seltsamkeiten.

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Genau diese Weirdness und Widersprüchlichkeit sind es aber auch, weshalb das Internet eigentlich das perfekte Thema für Werner Herzog ist. In seiner Doku Lo and Behold widmet sich der Mann, der mit steinerner bayrischer Mine von peruanischen Zwerginnen und ihren Hunderten Meerschweinchen erzählen kann und mehrere Dschungel-Dreharbeiten mit Klaus Kinski überlebt hat, unserer vernetzten Welt. Und zwar aus einer erfrischend unhippen Außenseiterperspektive.

Wie der Untertitel Reveries of the Connected World andeutet, ist hier jemand am Drücker, der selbst kein Smartphone besitzt und gerade deshalb besonders genau hinschaut—sowohl auf die Historie (inklusive Anekdoten über die ersten Internet-Verzeichnisse, in denen noch sämtliche User mit Namen aufgeführt waren) als auch auf die Mystik und Zukunft des Phänomens (inklusive einem Kapitel, das allen Ernstes "INTERNET ON MARS" heißt und wahrscheinlich das Herzog'schste ist, das wir je gesehen haben).

Dabei schwankt Herzog ständig zwischen Kulturoptimismus und -pessimismus und bleibt immer erstaunlich nah an der Sache. Das Internet ist für ihn der Dorfplatz, für den er sich genauso begeistert wie für "solche Phänomene wie WrestleMania" begeistert, wie er 2014 im VICE-Interview gesagt hat. Es ist die alte Geschichte: Die Kunst auf der Suche nach dem unverstellten, unverfälschten, banalenLeben.

Einiges ist nicht ganz am Puls der Zeit—wie der Ausflug nach Green Bank in West Virginia, wo es wegen eines riesigen Teleskops gar kein Internet gibt und wo neben dem Spiegel 2014 auch schon Hanno Settele für seine DOKeins-Reportage zu Besuch war. Einiges fällt absichtlich aus der Zeit—wie das bereits erwähnte Mars-Kapitel. Und einiges ist so am Punkt, wie es nur jemand auf Film bringen kann, der Storyboards als "Werkzeug für Feiglinge" bezeichnet und für die Schlussszene mit den tanzenden Hühnernin Stroszek sein ganzes Team vergrault hat, weil es eben einfach sein musste—zum Beispiel, wenn Herzog sogar Elon Musk sprachlos macht.

Vielleicht verhält es sich mit den Amputationen und Erweiterungen auch ein bisschen anders: Das, was uns das Internet nimmt, gibt uns Herzogs Doku zurück.