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Ein Geistlicher verurteilt Selfies und tritt eine Selfie-Lawine los

An alle Freunde des gepflegten Duckfaces: Eure Selfies sind nichts als Sünde.

Letzten Sonntag hat der indonesische Autor und islamische Geistliche Felix Siauw ein 17-Punkte-Manifesto getweetet, in dem Selfies als Sünde verurteilt wurden—vor allem für Frauen. Denn laut Siauw ist das Schießen von Selbstporträts hochmütig, prahlerisch und arrogant. Normalerweise würde ein persönliches Urteil dieser Art kaum für Reaktionen sorgen, doch weil Siauw ein angesehener, junger Geistlicher mit einer großen Twitter-Gefolgschaft ist, hat seine Twitter-Tirade viele seiner Landsleute ordentlich auf die Palme gebracht. Wohl auch deswegen, weil Indonesien—dessen Bevölkerung zu 88 Prozent aus Muslimen besteht—ein selfie-verrücktes Land ist.

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„[Punkt drei.] Wenn wir verschiedene Selfies machen, dann unter den Fotos das mit der besten Pose aussuchen und am Ende von uns selber schwer beeindruckt sind, nennt man das HOCHMUT", schrieb Siauw. Aufgrund des öffentlichen Aufschreis entschied Coconuts Jakarta am letzten Dienstag, seine meist diskutierten Tweets noch einmal zu veröffentlichen.

„[Punkt vier.] Wenn wir Selfies schießen und sie anschließend auf Social-Media-Plattformen hochladen, weil wir verzweifelt auf Likes und Kommentare hoffen, sind wir in die PRAHLEREI-Falle getappt."

„[Punkt fünf.] Wenn wir ein Selfie schießen und uns danach cooler und besser als unsere Mitmenschen fühlen, haben wir die schlimmste aller Sünden begangen: ARROGANZ."

„[Punkt neun.] Heutzutage machen viele muslimische Frauen von sich Selfies, ohne sich zu schämen. Am liebsten schießen sie noch mehrere Einzelbilder mit unterschiedlichen Posen und fügen die zu einem Foto zusammen. Aber um Himmels willen! Wo bleibt da noch die Reinheit der Frau?"

Siauw ist nicht der erste muslimische Geistliche, der sich über Selfies auslässt. Religiöse Gelehrte und normale Gläubige debattieren schon seit einiger Zeit, wie man diesen Trend vor dem Hintergrund des Islams zu bewerten hat.

Schon 2013 hat sich ein führendes theologisches Seminar in Indonesien mit dem Thema beschäftigt und ist zum Schluss gekommen, dass jede Art der Fotografie nach dem Islam verboten ist—das Gleiche gilt auch für jeden Ausdruck von Stolz. Doch für Schlagzeilen sorgte die Streitfrage erst im Herbst 2014, als Saudi-Arabien sein Smartphone-Verbot für Pilger in Mekka lockerte. Folglich brach eine regelrechte Selfie-Lawine vor der Kaa'ba aus und zahllose Geistliche waren—wer hätte es gedacht—not amused. Denn für sie stellt ein solches Verhalten eine prahlerische, touristische und selbstbezogene Pervertierung eines Ritus dar, der eigentlich mit größter Ernsthaftigkeit, innerer Einkehr und Selbstlosigkeit vollzogen werden müsste.

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Mittlerweile hat sich der Staub aber wieder gelegt und die meisten islamischen Geistlichen sind gemeinsam zu dem Urteil gekommen, dass Selfies keine Sünde sind, solange man sie zu Erinnerungszwecken schießt und nicht aus Gründen der Eitelkeit.

„Sollen Fotos ausschließlich der persönlichen Erinnerung dienen, gibt es kein Problem damit", so ein saudischer Professor für Islamisches Recht—der auch an der Selfies-in-Mekka-Debatte teilnahm und anonym bleiben möchte—im Interview mit der französischen AFP. „Doch wenn du damit rumprahlen willst, sind sie nach dem Islam verboten."

„Wenn Selfies zu einer Gewohnheit werden und man sie am liebsten überall und zu jeder Zeit schießen möchte", erklärte der malaysische Geistliche Dr. Muhammad Lukman Ibrahim gegenüber der Tageszeitung Bernama im letzten Jahr, „haben wir es mit einem Verhalten zu tun, von dem niemand einen Nutzen hat und das folglich mit dem Islam in Konflikt gerät."

Siauw ist also der Auffassung, dass das Schießen von Selfies ein inhärent hochmütiger, prahlerischer und extravertierter Akt ist, dem keine ethische Intention innewohnen kann. Mit dieser reaktionären Sichtweise stellt er sogar noch viele erzkonservative saudische Geistliche in den Schatten.

Als Reaktion auf Siauws Tweets haben viele Indonesier eine Selfie-Kampagne auf den zahlreichen und sehr aktiven Social-Media-Plattformen des Landes ins Leben gerufen. Aus Trotz haben sogar Personen, die nach eigener Aussage vorher noch nie Selfies gemacht hatten, auf den Selbstauslöser gedrückt. Tagelang lief der Hashtag #selfie4siauw vor allem in Jakarta richtig heiß. Aktivisten haben Siauw zudem Heuchelei vorgeworfen, weil er erst vor Kurzem bei einem Selfie-Contest Mitglied der Jury gewesen sein soll—ein Vorwurf, den Siauw entschieden von sich weist. In Wirklichkeit habe er nämlich einen Vortrag zum Thema Selbstprüfung gehalten. Ansonsten hatte er für die heftigen Reaktionen auf seine Tweets und die deswegen losgetretene Selfie-Kampagne nur ein „Kein Kommentar" übrig.