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Der VICE Guide zu deinem Führerschein

Wenn du bereit für Muskelkater und wahnsinnige Fahrlehrer bist, bist du bereit, ein Auto zu lenken.

Foto: State Farm | Flickr | CC BY 2.0

Wenn man am Land aufwächst, kommt man einfach nicht drum herum, den Führerschein zu machen. Wenn der letzte Bus um 18:30 Uhr geht, das nächste Kino (nicht selten die einzig mögliche Freizeitgestaltung) mindestens 20 Autominuten entfernt ist und deine Mama mit ihrem blöden Opel Astra somit immer irgendwie am längeren Hebel sitzt, bleibt einem aber auch nichts anderes übrig.

Keine Angst vor dem ersten Mal

Wenn man ihn dann schließlich in der Hand hat, den Wisch, holt man erst mal rituell jede Person aus dem Freundeskreis ab, schaut, wie viel Bass das Autoradio packt und hat diesen obligatorischen Moment, den alle Führerschein-Neulinge durchleben müssen: Man hat zum ersten Mal Leute mit, versucht lässig so zu tun, als wäre alleine Fahren überhaupt nicht aufregend und an der einen Herzinfarkt-Kreuzung stirbt dann plötzlich das Auto ab, während irgendein Bus oder Zug oder Lastwagen näherkommt.

Hysterie. Schweiß. Hupen. Und man kann noch nicht mal im Boden versinken—je länger man panisch versucht, ganz ruhig wegzufahren, desto schlimmer wird das Ganze nämlich. Es ist der blanke Horror. Aber auch irgendwie befreiend, wenn man es dann doch schafft.

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Genieße die Macht der Schlüssel

Ganz zu schweigen von diesem unbeschreiblichen Gefühl, das einen beschleicht, wenn man ständig mit den eigenen Schlüsseln klimpern kann—das beste Gefühl der Welt. Nichts macht einen erwachsener als in einer Konversation pausenlos mit Autoschlüsseln rumzufuchteln. Je mehr Anhänger, desto besser. Klirr, klirr. Wenn man genau hinhört, klingt es irgendwann nur noch nach „Unabhängig! Selbstständig! Frei!". Ich glaube, es ist gar nicht der Führerschein selbst, oder das Autofahren, das einem dieses überlegene Gefühl gibt—es sind die Schlüssel.

Foto: Kurt Nordstrom | Flickr | CC BY 2.0

Bis zu diesem Moment sind es jedoch ein paar qualvolle Monate, die man überstehen muss. Zunächst mal muss man gefühlte 1.000 Stunden in Theorieeinheiten verbringen. Wenn man nicht gerade masochistisch veranlagt ist, wird man dafür die Pflaster-Methode anwenden—das bedeutet, du musst deine Ferien für einen Intensivkurs opfern, und musst dafür auch noch einen ziemlich großen Haufen Geld bezahlen.

Such dir einen Leidensgenossen

Während der Ausbildung in der Fahrschule wirst du auf Menschen treffen, von denen du bisher nicht wusstest, dass oder wo sie existieren. Jegliche Form von vorheriger Differenzierung—andere Schule, andere Gegend, andere Interessen, andere Freundeskreise—gilt hier als aufgehoben. Führerscheinkurse sind so egalitär, dass sich die SPÖ vor Neid glatt anscheißen könnte. Plötzlich sitzen alle im selben Boot—auch wenn dieses Boot meist ein stickiges Hinterzimmer der Fahrschule ist.

Noisey hilft: Autofahren mit Freunden

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Und so verbringt auf einmal überdurchschnittlich viel Zeit mit Menschen, denen man im echten Leben so nie über den Weg laufen würde. Während dem ersten Raucher-Smalltalk wird dir auch wieder einfallen, warum. Daher ist es ratsam, sich mit jemandem aus dem eigenen Umfeld abzusprechen, um gemeinsam durch diese Hölle zu gehen.

Fahrlehrer sind creepy

Foto: OakleyOriginals | Flickr | CC BY 2.0

Fahrlehrer sind meiner Erfahrung nach—ähnlich wie Köche—eine dieser Berufsgruppen, die generell stark dazu neigen, völlig geistesgestört zu sein. Es gibt auch Ausnahmen, aber die meisten wirken immer so, als wären sie gerade wieder viel gefährlich nah am Nervenzusammenbruch (der vierte für diese Woche).

Es gibt jene, die über die Jahre hinweg verlernt haben, Emotionen zu zeigen und jetzt innerlich tot sind, aber auch jene, deren Zornesader immer noch lebhaft pulsiert, wenn man mal wieder fast eine Massenkarambolage verursacht. Das Schlimme daran ist, man kann es ihnen nicht mal wirklich übel nehmen. Schüler haben es irgendwann hinter sich, Lehrer nicht.

Stell dich auf Muskelkater ein

Wer nie wirklich Autofahrer-Muskelkater hatte, der weiß nicht, was Fahrstunden sind. Erst, wenn man beim Gang zur Toilette reflexartig den Drei-S-Blick anwendet, hat man richtig gelitten. Und nur, wenn du währenddessen eine Nackenstarre und zwei Halsmuskelzerrungen gleichzeitig bekommst, gehörst du wirklich zur Fahrer-Kaste.

Hat man die Praxiseinheiten erst mal hinter sich, ist man auch schon bereit für den ersten Reinfall. Oder man hat Glück, erwischt einen netten Prüfer, schummelt sich irgendwie durch die Profiltiefen und fährt ein imaginäres Glas-Auto. Am Ende hat man plötzlich einen Führerschein und sehr viel Angst.

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Lerne, dich selbst richtig einzuschätzen

Foto: Leonid Mamchenkov | Flickr | CC BY 2.0

Ehrlich gesagt empfand ich es damals mit 15 sogar schon als etwas unverantwortlich, mir überhaupt einen Mopedführerschein auszustellen. Acht Stunden lang mit einem Mofa am Übungsparkplatz Kreise zu drehen haben mich meiner damaligen Ansicht nacht längst noch nicht verkehrsreif gemacht. Inzwischen beinhaltet die Ausbildung übrigens zumindest zwei ganze Lehreinheiten im öffentlichen Verkehr. Am Ende ist es wohl immer noch eine Frage von Selbsteinschätzung.

Wenn du bereit bist, bist du bereit. Die Vorzüge eines Führerscheins werden sich schon bald zeigen—die Tage, an denen du deinen Reisepass regelmäßig beim Fortgehen verloren hast, sind gezählt. Von nun an soll dein Führerschein dich ausweisen. Auch wenn das Foto so peinlich ist, dass Türsteher immer ein bisschen schmunzeln müssen und du plötzlich bereust, deine Mama jemals für ihr Führerscheinfoto ausgelacht zu haben.

Es ist auch egal, wenn du ihn nicht machst

Einen Führerschein zu haben ist aber nicht immer wichtig. Wäre ich in einer Stadt aufgewachsen, in der öffentliche Verkehrsmittel auch nach Einbruch der Dunkelheit weiterhin zugänglich bleiben, wäre die Frage nach dem Führerschein wohl ein ziemlicher No-Brainer gewesen, genauso wie sie auf dem Land einer war.

Wozu auch Führerschein machen, wenn man nicht wirklich auf ein Auto angewiesen ist? Warum sollte man diese Tortur freiwillig über sich ergehen lassen? Ganz abgesehen davon scheint es mir eigentlich ziemlich egoistisch, ein Fahrzeug, in das eigentlich fünf Menschen passen würden, tagtäglich für sich alleine zu nutzen. Eigentlich spricht nichts so richtig für den Führerschein, wenn man ihn ganz einfach nicht benötigt. Und das ist völlig OK so.

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Foto: Tambako The Jaguar | Flickr | CC BY-ND 2.0

Nichtsdestotrotz kommt es auch in Ballungsgebieten immer mal wieder zu Situationen, in denen es jemanden mit Lenkberechtigung braucht. Als Landkind-jetzt-Stadtmensch—ergo Führerscheinbesitzer—wird man in diesem Fall oft behandelt, als wäre man Harry Potter. „Ihr müsst ihn beschützen! Er muss leben! Er hat den Führerschein!", oder so ähnlich.

Wenn du ein Slacker bist, mach ihn am Land

Angeblich ist die Prüfung am Land ja viel einfacher, weil da weniger Verkehr ist. So manches Stadtkind soll sogar schon auf die ländliche Fahrschule gewechselt haben, nur um beim fünften Prüfungsantritt endlich irgendwie durchzukommen. Leider glaube ich das sofort—ich habe schon beim Land-Führerschein drei Antritte gebraucht und würde mich niemals freiwillig dem Wahnsinn aussetzen, der großstädtische Autofahrer zu dauerhupenden Psychopathen macht.

Bewusst drauf zu verzichten, ist wahrscheinlich das Coolste

Für Führerscheinlose—Schlammblüter, wenn man so will—ist das Thema meist ein unangenehmes. Weil man darauf in der Regel nicht so stolz ist, obwohl man ruhig dürfte. Bewusst auf den Führerschein und ein Auto zu verzichten ist nicht nur ein Statement für die Umwelt, es spart auch noch Geld und Nerven. Sofern sich am Land so was wie Fahrgemeinschaften und bessere Öffi-Anbindungen entwickeln sollten, wird es auch dort irgendwann gesellschaftlich akzeptabel sein, keinen Führerschein zu haben. Bis dahin bleiben Landkinder die Erben des edlen Geschlechts der Lenkberechtigung.

Folgt Franz auf Twitter: @FranzLicht