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Der schwarze Junge, der ein Nazi sein wollte

„Mama, warum bin ich kein Arier?" Zum Geburts- und Todestag von Hans J. Massaquoi.

Da sich am 19. Januar sowohl der Geburts- als auch der Todestag des Journalisten und Schriftstellers Hans J. Massaquoi jährt, haben wir das zum Anlass genommen, um das Leben dieses außergewöhnlichen Mannes, der als Junge trotz seiner dunklen Hautfarbe im Nazi-Deutschland aufgewachsen ist, etwas genauer zu beleuchten und nachzuzeichnen. Als Grundlage diente hierfür auch seine Autobiografie Neger, Neger, Schornsteinfeger!.

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1933, ein Schulhof irgendwo in Hamburg: Der kleine Hans J. Massaquoi präsentiert voller Stolz das Hakenkreuz auf seinem Pullunder, während die Blicke seiner blonden und blauäugigen Klassenkameraden auf ihn gerichtet sind. Es handelt sich hierbei nicht um einen makaberen Scherz und auch nicht um eine der vielen Falschmeldungen, die heutzutage im Internet grassieren. Nein, ihr seht hier ein echtes Foto von Hans J. Massaquoi, dem Sohn einer deutschen Krankenschwester und eines liberianischen Diplomaten, der es geschafft hat, das Dritte Reich zu überleben. In seiner Autobiografie »Neger, Neger, Schornsteinfeger!«: Meine Kindheit in Deutschland schreibt Massaquoi, dass er nur aufgrund einer Lücke in den Rassengesetzen mit dem Leben davongekommen ist. In dem Buch erinnert er sich an seine Kindheit und an den Albtraum, als nicht-arischer Junge in einer Welt voller brauner Hemden, Führerporträts und SS-Soldaten aufzuwachsen.

Die schwarze Bevölkerungsgruppe Deutschlands während der NS-Zeit war mit wenigen hundert, vielleicht tausend Menschen bei 65 Millionen Bürgern kaum wahrzunehmen. Hans war der Enkel des liberianischen Konsuls in Deutschland und so kam es auch, dass die Familie Immunität besaß und er in einem reichen und gebildeten Umfeld ganz normal unter deutschen Kindern aufwachsen konnte.

Im Sommer 1934 sollte sich Hans' Leben jedoch grundlegend ändern. Als er damals an einem schönen Sommermorgen in die Schule kam, wies der Rektor alle Lehrer und Schüler an, sich im Schulhof zu versammeln. Der Pädagoge trug dabei die Art braune Nazi-Uniform, die auch Hans zu besonderen Anlässen anzog, und verkündete, dass der wohl prächtigste Moment im noch jungen Lebens der Schüler bevorstehen würde, denn das Schicksal hatte sie auserwählt, zu den wenigen glücklichen Menschen zu gehören, die „unseren geliebten Führer" in echt zu sehen bekommen. Er versicherte ihnen, dass dies ein Privileg sei, um das sie ihre zukünftigen Kinder und Enkel beneiden würden. Damals war Hans acht Jahre alt und bemerkte gar nicht, dass er von den fast 600 Schülern der einzige war, den Herr Wriede damit nicht ansprach. Nach Hitlers Besuch waren Hans' Schulkameraden vom Charisma des Führers so beeindruckt, dass sie alle der Hitlerjugend beitraten. Der Junge wollte natürlich nicht als Außenseiter gelten und bewarb sich deshalb ebenfalls für eine Mitgliedschaft—zum Glück erfolglos.

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Nach den geschichtsträchtigen Olympischen Spielen von 1936 in Berlin, bei denen der Afroamerikaner Jesse Owens vier Goldmedaillen gewann, sollte sich in Hans' Leben jedoch erneut einiges ändern. Für Hitler und seine Schergen war Owens' Dominanz ein solcher Schlag ins Gesicht, dass Schwarze in Deutschland nun öffentlich an den Pranger gestellt und niedergemacht wurden. Aufgrund der immer schlimmer werdenden ethnischen und politischen Spannungen musste die väterliche Seite von Hans' Familie fliehen. Der Junge blieb mit seiner Mutter allerdings in Deutschland.

Das war jedoch erst der Anfang des Albtraums. Es folgten Schilder an den Schaukeln der Spielplätze, auf denen stand, dass „nicht-arische" Kinder dort nicht erwünscht seien. Schließlich verschwanden viele der jüdischen Lehrer von Hans' Schule auf mysteriöse Art und Weise. Aber erst ein Besuch im Zoo sollte die Faszination des Jungen für die Nazis endgültig zunichte machen. Neben den Tieren stellte man dort nämlich auch eine eingesperrte afrikanische Familie zur Schau, die von den Besuchern ausgelacht und gepiesackt wurde. Vorsichtig näherte sich Hans dem Käfig und war sich gar nicht bewusst, was sein Handeln auslösen sollte. Ein Zoobesucher deutete auf ihn und schrie: „Die haben ja ein Kind!" In diesem Moment war Hans zum ersten Mal dem öffentlichen Zorn ausgesetzt und er hatte von da an immer öfters das Gefühl, von der Gesellschaft stigmatisiert zu werden.

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Hans war sich nun der (traurigen) Wahrheit bewusst und musste viel Leid ertragen, um die Folgejahre zu überleben, in denen die selbstmörderische Politik der Nazis alles kaputt machte. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis sollte direkt nach Beginn des Zweiten Weltkriegs folgen: Zwar durfte Hans vorher nicht in die Hitlerjugend eintreten, weil er „nicht würdig war, eine deutsche Uniform zu tragen", aber zum Wehrdienst wurde er um ein Haar trotzdem herangezogen. Einzig und allein sein Untergewicht rettete ihn vor der Front.

Massaquoi als Kind und als Erwachsener | Foto: bereitgestellt von Albatros Navigation

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war in Hans' Leben erneut einiges los. Erst verdiente er sein Geld als Jazz-Saxophonist und dann wanderte er in die USA aus, nachdem er einen kurzen Zwischenstop in Liberia—der Heimat seines Vaters—gemacht hatte. In Amerika wurde er von Uncle Sam eingezogen, um im Koreakrieg zu kämpfen. Danach folgte ein Journalismus-Studium und schließlich arbeitete Hans mehr als vier Jahrzehnte lang als Chefredakteur des Magazins Ebony, welches lange Zeit den Ruf als wichtigste afroamerikanische Zeitschrift innehatte. In Hans' Biografie lässt sich zum Ende hin lesen, dass er zufrieden damit war, wie sich sein Leben entwickelt hat. Er konnte noch von den Geschehnissen berichten, die er selbst miterlebt hatte. Gleichzeitig wünschte er sich, dass jeder neugeborene Mensch eine glückliche Kindheit in einer gerechten Gesellschaft verbringen kann, denn bei ihm war das definitiv nicht der Fall.

Hans J. Massaquoi ist am 19. Januar 2013 in Jacksonville gestorben. Er hat es geschafft, den Hass und den Fanatismus der Nazis zu überleben und seinen Kindheitsträumen den Rücken zu kehren. Seinen zweifelhaften Ruf als „der schwarze Junge, der ein Nazi sein wollte" und das damit einhergehende Schamgefühl konnte er jedoch nie komplett abschütteln.