Ich habe mit einem Sommelier den Glühwein der Zürcher Weihnachtsmärkte degustiert
Alle Fotos von Fabienne Andreoli

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Popkultur

Ich habe mit einem Sommelier den Glühwein der Zürcher Weihnachtsmärkte degustiert

Glühweintrinker gelten als Pöbel unter den Weintrinkern. Ich habe mit einem Sommelier überprüft, was an diesem Vorurteil dran ist.

Alle Fotos von Fabienne Andreoli Wer etwas auf seinen Geschmack gibt, sollte seine Vorliebe für Glühwein diskret im Stillen ausleben—zumindest wenn er in der Welt der Weinliebhaber bestehen möchte. Als billiger Fusel wird das rote Gebräu dort oft abgetan. Im Lexikon der Önologie, der Weinbaukunde, steht zu ihm: "weinähnliches Getränk, überwiegend aus Rotwein, Zucker, Gewürzen und Zitronen hergestellt." Und das ist keineswegs wohlwollend gemeint. Doch auch bei den Profis gibt's die Schwäche für heisse Weine—wie bei Nicola Mattana. Er ist leidenschaftlicher Weintrinker, diplomierter Sommelier und Geschäftsführer der Buonvini Weinhandlung in Zürich.

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Gemeinsam mit dem Kenner habe ich mich durch das Glühweinangebot der Zürcher Weihnachtsmärkte getrunken. Mattana bewertet die Glühweine auf einer 5-Sterne-Skala—wie er das auch mit den Weinen bei internationalen Weinwettbewerben macht. Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass Mattana nie die volle Punktzahl gibt. Er möchte immer für den Fall gerüstet sein, dass vielleicht schon morgen die Welt dank einem noch besseren Wein zu einem etwas angenehmeren Ort wird.

Weihnachtsdorf Sechseläutenplatz

Preis pro Becher: CHF 6.50.—
Wertung: 3 Sterne

"Die Nase ist nicht sehr würzig, dürfte intensiver sein", lautet das erste Urteil des Profis, während er mit konzentriertem Blick am Glühwein riecht. Was nicht ist, kann ja noch werden—und so nippen wir erwartungsvoll am Pappbecher und schlürfen vom Gemisch aus spanischem Wein von Macabeo Trauben, Gewürzen und Traubensaft. Der Alkohol sei zu dominant, meint Mattana. "Glühwein muss Spass machen." Dass Spass und Alkohol ja geradezu Bromance-Qualitäten haben, wende ich meines seriösen Bildes wegen nicht ein.

Den Grundwein schätzt der Experte auf einen Preis von drei Franken die Flasche, dies zeige sich im kurzen Abgang. Den getesteten Glühwein der Weinhandlung Smith&Smith, der eigens fürs Zürcher Weihnachtsdorf auf dem Sechseläutenplatz produziert wurde, schenken alle 13 Bars auf dem Sechseläutenplatz aus. Unmengen an Glühwein gehen hier Tag für Tag über den Tresen, da erstaunt es wenig, dass es sich nicht um hausgemachten handelt. Fazit: Der Wein schmeckt ordentlich, beschert uns aber auch keine Glücksgefühle.

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Hauptbahnhof

Preis pro Becher: CHF 6.00.—
Wertung: 2 Sterne

Das Pendlerdasein ist kein Zuckerschlecken. Volle Züge, Gedränge, Wartezeiten. Der Weihnachtsmarkt am HB ist der Markt für alle Getriebenen, die sich nur gerade auf dem Heim- oder Arbeitsweg ein wenig Marktluft gönnen können—und dann müssen diese auch noch mit einem wenig überzeugendem Gebräu Vorlieb nehmen.

Mattana meint, der Wein rieche zwar streng in der Nase, zeige danach aber kaum Profil. Er sei nicht definiert im Duft, es fehle an Konzentration und Konsistenz, kurz im Gaumen, schlank, ja fast wässrig sei er, so das Urteil des Sommeliers. Dennoch, der funkelnde Swarowski-Baum und die opulente Deckenleuchte trösten gekonnt über das "weinähnliche Getränk" hinweg.

Zwingliplatz (Grossmünster)

Preis pro Becher: CHF 6.00.—
Wertung: 3.5 Sterne

Der Weinkenner ist von der Konsistenz angetan. Von einem Glühwein erwarte er eine etwas dickflüssigere Konsistenz und jener auf dem Zwingliplatz überzeuge in diesem Punkt. Nicht sirupartig, aber eben auch nicht zu wässrig. Zudem gefällt Mattana die Ausgewogenheit der Gewürze und die Ambiance. Auch der strenge Blick des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger vermag die Besinnlichkeit hier oben nicht zu stören—ganz im Gegensatz zum Zuckergehalt des Weins.

Beim Süssen scheint das christliche Masshalten etwas vergessen gegangen zu sein. Geschmacklich scheint der Wein dafür durchaus interessant, der Weinkenner fühlt sich jedenfalls gefordert. "Ganz erstaunlich finde ich die Schokoladennote. Ich kann mir nicht erklären, woher sie kommt, aber sie ist angenehm." Die anscheinend im Wein steckende Schokolade sucht mein Gaumen vergebens. Wer eindeutige Signale braucht, bestellt wie ich eben doch lieber mit Amaretto oder Kirsch.

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Werdmühleplatz

Preis pro Becher: CHF 6.00.—
Wertung: 4 Sterne

Auf dem Werdmühleplatz ist es weniger hektisch als auf den anderen Märkten, was das Glühweintrinken gemütlich macht. Nach dem ersten Schluck analysiert Mattana: "Der Duft erinnert mich ans Spa. Ich fühle mich wie in einem Schaumbad." Was sich für mich nach einem vernichtenden Urteil anhört, ist in Wirklichkeit lediglich eine Beobachtung. "Eine optimale Süsse und ausgewogene Würze", lobt der Sommelier. "Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Wein, der hierfür verwendet wurde, etwas teurer war. Vielleicht 4 bis 5 Franken der Liter."

Die Grundmaterie sei essentiell. So wäre es auch fatal, für eine Bratensauce oder einen Risotto einen minderwertigen Wein zu verwenden. Dies sei beim Glühwein auch so, erklärt Mattana. Er selber habe eben erst Glühwein gebraut mit einem Wein für 27 Franken—das Ergebnis sei dementsprechend eine Wucht gewesen. Ein solch edler Tropfen wird hier zwar nicht ausgeschenkt, dennoch überzeugt der Glühwein, der in der Epilepsie-Klinik gemacht wird, in Geschmack und Süsse.

Lintheschergasse (Pestalozziwiese)

Preis pro Becher: CHF 5.50.—
Wertung: 3 Sterne

Sollte das Auge auch mittrinken, dann ist hier nicht viel zu holen. Inmitten grell beleuchteter Warenhäuser, direkt neben dem nach Pommes duftenden McDonalds wird der Glühwein aus durchsichtigen Plastikbechern getrunken. Was darin serviert wird, ist glücklicherweise besser als das Drumherum. Der Sommelier findet, die Nase sei würzig. Besonders ein Anisgeschmack komme deutlich zum Vorschein. Im Mund sei der Wein vielleicht fast etwas zu stark gewürzt. Die Konsistenz gefällt Mattana, dafür überzeugt der Abgang wieder weniger. Je länger ein Wein im Mund zu spüren ist, desto besser sei er.

Die Verweildauer des Weines nach dem Schlucken (Abgang) wird in Caudalie gemessen—1 Caudalie gleich 1 Sekunde. Gute Weine haben Werte von 20 Caudalies, Spitzenweine erreichen gar 50 Caudalies. In solchen Sphären bewegen sich die heissen Weine kaum. Der eben probierte bleibt im einstelligen Bereich. Dennoch eine passable Wahl für alle, die kein Ambiente suchen—oder einfach bereits einen sitzen haben.

Fazit

Die Zürcher Weihnachtsmärkte haben ein durchaus süffiges Angebot an Glühweinen. Mit dem geschulten Gaumen des Sommeliers konnte ich, auch noch nüchtern, nicht mithalten. Schokoladennote oder Zitrusdüfte—die Feinheiten suchte ich vergebens. Das kann aber auch an der Natur der Frau liegen. Haben diese nämliche ihre Menstruation treten sie als Jurorinnen bei internationalen Weinwettbewerben in den Ausstand. Der Geschmackssinn sei dann nicht derselbe. Und so bleibt für mich immerhin die Erkenntnis: Schmecken tun nicht alle Zürcher Glühweine gleich, wärmen aber schon.

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