Wie man Abschiebungen im Flugzeug verhindert

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Wie man Abschiebungen im Flugzeug verhindert

"Sobald die Tür geschlossen ist, entscheidet allein der Pilot. Auch die Polizisten sind dann nur noch Passagiere."

Illustrationen via Oplatz.net

Auf einmal ging alles ganz schnell: "Wir waren auf dem Weg in den Urlaub nach Spanien und sind gerade in Wien ins Flugzeug eingestiegen. Meine Freundin Stefanie, meine Schwester, meine Mutter und ich. Ganz hinten, alleine in einer Reihe, sahen wir einen jungen schwarzen Mann. Er sah ziemlich verängstigt aus. Wir vermuteten sofort, dass es da um eine Abschiebung geht."

Pablo Hörtner erzählt, dass für die Familie an diesem 20. Oktober 2015 sofort klar gewesen wäre, dass sie nun handeln müsse. Er fragte den jungen Mann, ob er freiwillig im Flugzeug wäre. "'Ich werde dazu gezwungen', war seine eindeutige Antwort." Auch für Stefanie Klamuth war es keine Frage, dass sie nun etwas tun müssten.

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"Wir haben sofort eine Stewardess angesprochen und gesagt, sie soll mit dem Piloten sprechen", erzählt sie. "Wir sind dann zu viert einfach stehen geblieben und haben uns nicht angeschnallt. So konnte das Flugzeug nicht starten."

Das Flugzeug war zu diesem Zeitpunkt bereits am Weg zur Rollbahn. "Doch dann kam die Durchsage des Piloten, dass wir noch mal umdrehen würden. Der junge Mann wurde rausgebracht, wir hatten die Abschiebung verhindert."

Pablo Hörtner ist immer noch erleichtert, wenn er davon erzählt. "Der junge Mann hat uns berichtet, dass er aus Kamerun stammen würde und an Studierenden-Protesten beteiligt war. Er erzählte, dass er deshalb flüchten musste und hatte offensichtlich große Angst vor der Abschiebung."

"Klar war es etwas unangenehm, da auf einmal aufzustehen und die Leute sehen dich an. Aber wir haben dann mehrere positive Rückmeldungen bekommen. Der Mann am Sitzplatz neben mir hat sich sogar für unseren Einsatz bedankt", erzählt Stefanie Klamuth.

Auch Johannes Auersperg wurde bereits Zeuge einer Abschiebung in einem Flugzeug. Bei ihm war das allerdings nicht ganz so ungeplant. Mitte März 2017 wurde der 18-jährige Nasir von Österreich in die afghanische Hauptstadt Kabul abgeschoben. Das österreichische Außenministerium hat für ganz Afghanistan die höchste Sicherheitswarnstufe Sechs erlassen.

"Vor allen Reisen wird gewarnt! Im ganzen Land besteht das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle", heißt es auf der Website des Außenministeriums.

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Für Auersperg war es empörend, dass ein Mensch unter solchen Bedingungen zwangsweise nach Afghanistan geschickt wird. "Wie kann für Österreicher dort Reisewarnstufe Sechs gelten, aber für Asylsuchende alles easy?" Er beschloss, spontan seinen Urlaub anzutreten und wollte mit dem Flieger in die Türkei, mit dem Nasir abgeschoben werden sollte.

"Am Flughafen fand bereits eine beeindruckend zivilisierte und doch mächtige Demo statt. Ich nahm einige Flugblätter mit, die ich im Flugzeug verteilen wollte." (Über die Proteste am Flughafen Wien gegen die Abschiebung von Nasir haben wir hier berichtet.)

"Wie kann für Österreicher dort Reisewarnstufe Sechs gelten, aber für Asylsuchende alles easy?"

"Im Flugzeug begann ich dann, die Flugblätter zu verteilen und wollte den Kapitän sprechen. Andere Passagiere standen auf, solidarisierten sich. Darauf erklärte mir ein ziviler Polizist, dass der Kapitän mich des Fliegers verwiesen hätte", erzählt Auersperg. Schließlich wäre er von mehreren Polizisten aus dem Flugzeug gedrängt worden, die Abschiebung konnte er nicht verhindern.

Für ihn war der Protest trotzdem wichtig: "Wenn Menschen mitten in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden, dann kann ich doch nicht einfach zusehen, sondern muss zumindest versuchen, das zu verhindern."

Wenn wir mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen, könnten wir alle sehr schnell in dieselbe Situation kommen wie Pablo, Stefanie oder Johannes. Denn sehr viele Menschen, die deportiert werden, werden mit ganz normalen Linienflugzeugen abgeschoben. Manchmal gibt es Polizei-Begleitung, in anderen Fällen werden die Menschen einfach in den Flieger gesetzt.

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"Wenn Menschen mitten in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden, dann kann ich doch nicht einfach zusehen, sondern muss zumindest versuchen, das zu verhindern."

Die meisten Passagiere bekommen das kaum mit. Sichtbar wird die Abschiebung nur, wenn sich entweder die Person wehrt, die abgeschoben werden soll oder wenn solidarische Menschen im Flugzeug darauf aufmerksam machen. Und manchmal geht es dabei wirklich buchstäblich um das Leben eines Menschen.

So hat sich der ehemalige Studierenden-Anführer Ousmane Camara im Winter 2010 noch auf der Gangway des Flugzeugs erfolgreich gegen seine Abschiebung zur Wehr gesetzt. Bereits am nächsten Tag hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Abschiebeschutz für Camara beschlossen.

Die Begründung: in Guinea wäre sein Leben in Gefahr. Hätte Camara keinen Widerstand geleistet, wäre er trotz Lebensgefahr abgeschoben worden. In anderen Fällen aber kann schon die Abschiebung selbst lebensgefährlich oder sogar tödlich sein.

So starb im Mai 1999 der damals 25-jährige Nigerianer Marcus Omofuma während seiner Abschiebung im Flugzeug nach Sofia. Die drei begleitenden österreichischen Polizisten hatten ihn laut Zeugen in der Maschine gefesselt und geknebelt, Marcus Omofuma erstickte daraufhin qualvoll. Heute erinnert das Marcus-Omofuma-Denkmal am Beginn der Wiener Mariahilfer Straße an ihn.

Die rechtliche Lage zu Abschiebungen im Flugzeug erklärt Rechtsanwalt Clemens Lahner: "Solange die Türen des Flugzeugs noch offen sind, kann die Polizei von sich aus bei Protesten einschreiten. Doch sobald die Tür geschlossen ist, entscheidet allein der Pilot. Auch die Polizisten sind dann nur noch Passagiere."

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Den folgenden Ablauf schildert er so: "Wenn Sie sich nicht hinsetzen und anschnallen, werden die FlugbegleiterInnen kommen. Wenn Sie nun sagen, dass sie sich nicht hinsetzen werden, bevor der Pilot informiert wird und kommt, wird das in der Regel auch passieren und der muss dann entscheiden, ob eine Person befördert werden kann oder ein Sicherheitsrisiko vorliegt."

Laut Lahner könnte ein solches Sicherheitsrisiko eben dann vorliegen, wenn eine Person nicht freiwillig im Flugzeug ist. "Wenn die Piloten über eine Situation Bescheid wissen sollen, müssen sie klarerweise darüber informiert werden. Die abzuschiebende Person oder andere Passagiere müssten also darauf aufmerksam machen", so Lahner.

"Sobald die Tür geschlossen ist, entscheidet allein der Pilot. Auch die Polizisten sind dann nur noch Passagiere."

Das erfolgversprechendste Zeitfenster für Proteste wären somit die wenigen Minuten, nachdem die Türe schon geschlossen worden ist und sich das Flugzeug am Weg zur Rollbahn befindet. Wenn das Flugzeug den Startvorgang einmal beginnt, wird es in den meisten Fällen zu spät sein.

Immer wieder versuchen AktivistInnen, Abschiebungen in Flugzeugen zu verhindern. Es gibt dazu auch eine Reihe von öffentlich zugänglichen Informationen, etwa Informationsflugblätter für andere Passagiere und für die FlugbegleiterInnen. Es gibt sogar ein ausführliches Anleitungsvideo, was im Falle von Abschiebungen im Flugzeug unternommen werden könnte.

Und solche Proteste sind auch immer wieder erfolgreich. Das zeigen etwa die Fälle von Pablo Hörtner, Stefanie Klamuth und ihrer Familie und auch der Widerstand von Ousmane Camara gegen seine Abschiebung. Manchmal gelingt es sogar noch in der Luft, Abschiebungen zu verhindern. Ein Beispiel dafür zeigt dieses Video von einem erfolgreichen Protest während eines Fluges von Paris nach Bamako, der Hauptstadt von Mali.

Was solche Protestaktionen bewirken können, hängt vom Einzelfall ab. In manchen Fällen wird die Person möglicherweise einfach in das nächste Flugzeug gesetzt werden. Doch in anderen Fällen, etwa im oben geschilderten Fall von Ousmane Camara, kann der Protest buchstäblich lebensrettend sein und die Abschiebung wird tatsächlich ausgesetzt.

Für die Zukunft ist eine weitere Zunahme von Abschiebungen zu erwarten. Der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka spricht etwa von rund 50.000 Menschen, die das Land zwangsweise verlassen sollen. Seit Anfang 2017 werden die Deportationen nach Afghanistan aus Deutschland und Österreich massiv ausgeweitet. Im Zuge dieser Welle von Abschiebungen ist allerdings auch mit weiteren Protesten zu rechnen.

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