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rechte Gewalt

Das steckt wirklich hinter der Neonazi-Feindesliste, auf der 25.000 Menschen stehen

Und warum die Behörden erst drei Betroffene informiert haben.
Eine der Tatwaffen des NSU | Foto: imago | Winfried Rothermel 

Es klingt extrem gefährlich: Deutsche Rechtsextremisten führen schon mindestens seit NSU-Zeiten Listen mit Tausenden Menschen, die sie zu "Feinden" erklärt haben. "Seit 2011", schreibt zum Beispiel Spiegel Online, "fanden die Sicherheitsbehörden bei Razzien und Festnahmen in der rechtsextremen Szene immer wieder Schreiben, auf denen mehr als 25.000 Personen mit Namen, Telefonnummern und Adresse als 'Feinde' aufgeführt waren."

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Weiter heißt es in den Berichten, diese Listen stammten aus Ermittlungen gegen den rechtsterroristischen NSU, gegen den terrorverdächtigen Bundeswehr-Soldaten Franco A. und gegen Mitglieder der rechten Prepper-Gruppierung "Nordkreuz".

Außerdem: Bisher hätten die Bundesbehörden nur drei Personen von den Listen Bescheid gesagt, dass sie überhaupt darauf stehen. Besonders dieses Detail macht Politiker und Aktivisten gerade richtig wütend:

Mittlerweile hat sich sogar der deutsche Journalistenverband eingeschaltet und vom BKA verlangt, dass "eventuell betroffene Kolleginnen und Kollegen unverzüglich informiert werden".

Das ist nachvollziehbar. Wenn es wirklich eine "Feindesliste" geben sollte, die sich deutsche Rechtsextreme seit NSU-Zeiten gegenseitig weiterreichen und die mittlerweile auf 25.000 Menschen angewachsen ist, dann wäre es tatsächlich gruselig, dass das BKA bisher nur drei Betroffenen Bescheid gesagt hat. Aber ganz so einfach ist das nicht.


Video: Aufstand der Rechten


Die Quelle für die Berichte ist ein Artikel des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Ihm zugrunde liegt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner (Die Linke), die VICE vorliegt. Wenn man sich diese Quelle genauer ansieht, dann ergibt sich ein anderes Bild. Aus der Antwort geht zuerst einmal klar hervor, dass es sich um drei verschiedene Listen handelt:

Die erste Liste: In den Ermittlungen zum NSU haben Ermittler eine "Gesamtliste" mit 10.000 "Datensätzen" zusammengestellt – dazu gehören nach allem, was man bisher weiß, zahlreiche Politiker, politische Gegner und mögliche Anschlagsopfer, aber auch Institutionen wie jüdische Kindergärten und Friedhöfe, migrantische Vereine und Läden. Der NSU flog 2011 auf, seitdem gehen die Ermittler nicht mehr von einer Anschlagsgefahr aus – auch wenn viele Beobachter überzeugt sind, dass das NSU-Trio die Liste nur mit Hilfe zahlreicher Helfer erstellt haben kann. Wirklich aktuell kann diese Liste heute aber nicht mehr sein.

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Die zweite Liste: In der Ermittlungen gegen Franco A. haben die Ermittler eine Liste mit 32 "Personen oder Örtlichkeiten" gefunden. Prominente Ziele wie der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas, der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow oder die Amadeu-Antonio-Stiftung wurden schnell bekannt, später dann auch andere Ziele, weil zum Beispiel das LKA Berlin mehrere Personen auf der Liste darüber informierte.

Die dritte Liste: In den Ermittlungen gegen zwei Mitglieder der rechten Prepper-Gruppe "Nordkreuz" haben die Ermittler aus schriftlichen und elektronischen Quellen einen Datensatz "von etwa 25.000 Personen" zusammengestellt.

Einerseits: Dass die lose organisierten Freizeit-Krieger um die Telegram-Gruppe "Nordkreuz" es geschafft haben, eine Liste von 25.000 Personen anzulegen, ist wirklich überraschend. Andererseits: In der Antwort der Bundesregierung gibt es nirgends einen Hinweis darauf, dass die Listen irgendwie zusammenhingen oder aufeinander aufbauten.

Was also stimmt: Bei drei verschiedene rechtsextreme Gruppen hat man, über sieben Jahre verteilt, verschiedene Feindeslisten gefunden, die diese Gruppen für sich angelegt haben. Die Zahl von 25.000 ist deshalb irgendwie Unsinn: Entweder man zählt alle drei Listen zusammen (wie Martina Renner selbst das auch tut), dann kommt man auf gerundet 35.000 Menschen, oder man berichtet eben, dass die Nordkreuz-Gruppe eine Liste von 25.000 Feinden erstellt hatte. Das ist eigentlich auch die einzige Nachricht, weil die anderen beiden Listen schon bekannt waren. Die ist aber offenbar nicht aufregend genug, weil man den NSU nicht mit erwähnen kann.

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Und die Behauptung, die Bundesbehörden hätten "von den 25.000 nur drei" Personen informiert? Stimmt überhaupt nicht. In der Antwort steht, das BKA habe drei Personen von Franco A.s (der zweiten) Liste direkt informiert und die Liste dann an die jeweiligen Landeskriminalämter übergeben. Obwohl das in der Antwort nicht steht, wissen wir, dass die dann auch Betroffene informiert haben: In Berlin zum Beispiel Berlin wissen wir von mindestens zwei.

Was die 25.000er-Liste der "Nordkreuz"-Prepper angeht, hat das BKA überhaupt niemanden informiert. Dazu heißt es in der Antwort nur: "Entsprechend der Gefährdungsbewertung des BKA ist eine Unterrichtung der auf der Liste aufgeführten Personen durch die Bundesbehörden nicht erfolgt." Das BKA hat die Liste aber auch hier an die zuständigen Landeskriminalämter weitergegeben.

Ob die dann Betroffene informiert haben, steht da nicht. Wenn das nicht passiert ist, muss das aber nicht unbedingt daran liegen, dass die Behörden "auf dem rechten Auge blind" sind. Vielleicht hat man auch einfach beschlossen, dass allein der Umfang der Liste (25.000!) darauf hindeutet, dass die "Nordkreuz"-Leute sich ein bisschen übernommen hatten – und die reale Gefahr für all diese Menschen nicht allzu groß ist.

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