Benno und Daniel sind HIV-positiv
Benno und Alejandro | Fotos: Marie Haefner
HIV

HIV-positive Menschen erzählen, wie sie im Alltag diskriminiert werden

"Ich bekomme immer nur den letzten Termin des Tages, wenn alle anderen Patienten und Patientinnen schon weg sind." – Alejandro, 45

Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du nicht lieben darfst, wen du willst. Bis vor 25 Jahren ging es homosexuellen Menschen in Deutschland so. Mindestens 64.000 Personen wurden wegen des sogenannten Schwulenparagrafen, § 175 des Strafgesetzbuchs, verurteilt, unzählige diskriminiert. Erst am 11. Juni 1994 wurde das Verbot abgeschafft. VICE und i-D feiern dieses Jubiläum in einer Themenwoche. Mit Geschichten von queeren Menschen, die damals wie heute für ihr Recht kämpfen, zu lieben, wen sie wollen. Alle findest du hier. Es ist 2019 und der HI-Virus, der noch in den 80er Jahren oft ein Todesurteil war, ist in westlichen Ländern mittlerweile nur mehr eine Diagnose. Eine Diagnose mit der es sich gut leben lässt. HIV-positive Menschen sind heute oft nicht mehr ansteckend, Aids bricht bei den meisten nicht aus. Medikamente sorgen dafür, dass die Viruslast im Körper oft so gering ist, dass sie nicht nachgewiesen werden kann und Betroffene teilweise sogar Sex ohne Kondom haben können. Oder HIV-negative Kinder bekommen. Das wissen aber viele Menschen nicht. Deshalb werden HIV-Patienten im Alltag noch immer oft diskriminiert. Wie gehen sie damit um?

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Wir haben fünf HIV-positive Menschen gefragt, vier homosexuelle Männer und eine heterosexuelle Frau. Bei ihnen allen liegt die Viruslast im Körper unter der Nachweisgrenze. Und dennoch wurden sie alle bereits aufgrund ihrer Krankheit zum Außenseiter oder zur Außenseiterin gemacht.

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Uwe, 49, hat es aufgrund seiner Infektion schwer, auf Datingplattformen einen Partner zu finden

Uwe, 49: "Ich sage immer dazu, dass es drei Buchstaben gibt, über die ich noch reden muss. Dann ist es oft vorbei."

"Ich geh ehrlich mit meinem HIV-Status um. Früher habe ich bei meinem Arzt immer erst einen Termin bekommen, bevor die Praxis schließt, also wenn niemand mehr da war. Ich war immer der Letzte. Gedacht habe ich mir nie etwas dabei. Erst später ist mir aufgefallen, dass das diskriminierend war.

Bei einem Rehakurs hatte ich auch mal einen Therapeuten, der von meinem HIV-Status wusste. Als er dann Gummisaugnäpfe an meinem Rücken anbringen musste, hat er sich seine Handschuhe demonstrativ und arrogant vor mir angezogen – obwohl er mich nicht mal berühren musste. In meinem Behandlungsheft wurde vorne auch ganz fett 'HIV' vermerkt, so, dass es von allen Mitpatienten und -patientinnen gesehen werden konnte.

Es ist auf Datingseiten schwierig jemanden zu finden, der kein Problem mit meinem HIV-Status hat. Ich sage nämlich immer dazu, dass es drei Buchstaben gibt, über die ich noch reden muss. Dann ist es oft vorbei. Wenn ich abgelehnt werde, versuche ich zwar manchmal zu erklären, dass ich unter der Nachweisgrenze bin und man keine Angst haben muss. Aber das hilft manchmal nicht."

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Für Alejandro, 45, sind Arztbesuche eine große Herausforderung

Alejandro, 45: "Beim Arzt bekomme ich immer nur den letzten Termin des Tages."

"Ich bin mir sicher, dass mein HIV-Status der Grund ist, wieso ich vor einigen Jahren in meinem Job gekündigt wurde. Ich habe als Pflegeassistent in einem Altersheim gearbeitet und ich glaube, mein Chef hatte sowieso schon ein Problem mit meiner Homosexualität.

Ich habe dann irgendwann einen Zettel mit einem Stempel aus einer HIV-Ambulanz am Arbeitsplatz liegen lassen. Kurz darauf wollte mein Chef mit mir sprechen. Im Gespräch deutete er an, dass ich nicht gesund sei und dass ich vielleicht irgendwann ins Krankenhaus müsse. Ich war völlig perplex und wusste nicht, wie ich reagieren soll. Vier Tage später wurde mir gekündigt.

Daran zu denken tut weh.

Im Alltag sind die größten Schwierigkeiten für mich als HIV-positiver Mensch aber Besuche beim Arzt oder einer Ärztin. Ich bekomme immer nur den letzten Termin des Tages, wenn alle anderen Patienten und Patientinnen schon weg sind.

Einmal kam es auch vor, dass mich ein Zahnarzt mit einer Mundmaske, zwei übereinander gezogenen Handschuhen, einer Haube – in voller Montur – behandelt hat. Ich kam mir wie der schlimmste Mensch der Welt vor, wie ein Alien. Das war verletzend. Ich habe zwar betont, dass ich unter der Nachweisgrenze bin. Er meinte aber nur, dass er nach Vorschrift handele. Diese Praxis habe ich nie wieder besucht. Einen Zahnarzt, der vernünftig mit meiner Krankheit umgeht, habe ich bis heute nicht gefunden."

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Wiltrut, 49: "Einmal hat ein Mann beim Vorstellungsgespräch gefragt, ob er Behindertenzuschuss bekommt, wenn er mich einstellt."

"Ich bewerbe mich immer offen als HIV-Positive. Ich möchte einfach offen damit umgehen und mich nicht im Nachhinein rechtfertigen müssen. Aber mit dieser Offenheit einen Job zu finden, ist schwierig.

Vor einigen Jahren habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe mich als HIV-Positive beworben – und kein einziges Vorstellungsgespräch bekommen. Dann habe ich es aus meinem Lebenslauf gestrichen und mich nochmal beworben. Sofort habe ich Anrufe und Mails bekommen und wurde zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Als ich es dann im Gespräch erwähnt habe, habe ich den Job aber allerdings trotzdem nicht bekommen.

Einmal hat ein Mann beim Vorstellungsgespräch gefragt, ob er Behindertenzuschuss bekommt, wenn er mich einstellt. Ich verneinte, woraufhin er sagte: 'Wieso soll ich mir das dann antun?' Damals empfand ich es nicht mal als diskriminierend. In dieser Hinsicht stumpft man einfach ab."

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Die Frage "Are you clean" findet Memo, 32, besonders schlimm – er sei schließlich nicht "schmutzig"

Memo, 32: "Der Zahnarzt sagte, dass der HI-Virus beim Bohren in die Luft freigesetzt würde und anschließend in den Speichel des nächsten Patienten übertragen werden könne. So ein Bullshit."

"In der Schwulencommunity kann man viel Unterstützung finden, aber auch viel Diskriminierung. Auf Grindr oder anderen Dating-Apps werde ich oft gefragt, ob ich gesund sei. Die Frage 'Are you clean?' finde ich besonders schlimm, immerhin bin ich nicht schmutzig.

Einmal habe ich mich mit einer Person gut verstanden. Wir haben uns öfter getroffen und hatten auch schon was miteinander. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich HIV-positiv bin. Er wollte darüber nachdenken. Beim nächsten Treffen hat er mir gesagt, dass er keinen Sex mit mir haben möchte. Wir haben uns dann auch nicht noch einmal getroffen. Das war besonders schwer für mich.

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Einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin zu finden, ist auch schwierig. Ich musste mal auf einem Formular beantworten, ob ich regelmäßig Medikamente nehme – also habe ich den Namen meiner HIV-Medikamente aufgeschrieben. Die Arzthelferin hat dann den Arzt gerufen und der sagte: 'Ich kann sie erst am Ende vom Tag behandeln, damit nach ihnen keine Patienten mehr kommen.'

Ich war überrascht. Schließlich macht das keinen Sinn: Die Geräte müssen immer steril sein und ich bin sowieso unter der Nachweisgrenze. Er sagte, dass der HI-Virus beim Bohren in die Luft freigesetzt würde und anschließend in den Speichel des nächsten Patienten übertragen werden könne. Ich konnte es nicht fassen. So ein Bullshit.

Mit meiner aktuellen Zahnärztin bin ich zufrieden – obwohl auf meiner Akte vorne ganz groß 'HIV' mit Ausrufezeichen vermerkt ist."

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Benno, 53, merkt beim Daten oft, dass andere über HIV schlecht informiert sind

Benno, 53: "Es ist schwer, einen Partner zu finden, vor allem wenn du älter bist."

"Ich bin seit 30 Jahren HIV-positiv. In meinem Arbeitsumfeld und im privaten Kontext hat niemand ein Problem mit meinem Status. Viele Männer in der schwulen Datingszene aber schon.

Erst gestern wollte ich mich mit einem Mann zu einem Sexdate verabreden. Dann hat er aber nach meinem Status gefragt. Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich immer ehrlich, wenn mich jemand fragt. Ich meinte also, dass ich positiv sei, aber unter der Nachweisgrenze.

Das war ein Problem für ihn. Er sei paranoid, sagte er, und wolle sich nicht mehr treffen. Die Erotik war weg. Mich hat es genervt, dass mein HIV-Status zwischen uns stand, also habe ich ihm erklärt, dass ich nicht ansteckend bin. Aber er wollte trotzdem nicht. Es gäbe trotzdem ein kleines Risiko. Das stimmt nicht, aber das war ihm egal.

Situationen wie diese gibt es oft. Ich wurde auch mal unmittelbar nach dem Sex gefragt, ob ich HIV-positiv bin. Der Sex war safe, aber ich war ehrlich. Der Typ war vollkommen geschockt. Er hat mir Vorwürfe gemacht und mich täglich für mehrere Wochen mit Nachrichten bombardiert. Ich habe ihm immer erklärt, dass nichts passiert sein kann, habe ihm Studien geschickt und versucht ihn zu beruhigen. Nachdem er dann sein Testergebnis bekommen hat – das selbstverständlich negativ war – hat er mir nie wieder geschrieben.

Ich stecke solche Situationen zwar weg, versuche es wegzuschieben, aber es ist frustrierend. Es ist schwer einen Partner zu finden, vor allem wenn du älter und HIV-positiv bist. Ich muss mit der Diagnose leben, was viel einfacher geworden ist, aber auch mit solchen irrationalen Reaktionen. Ich bin doppelt bestraft. Aber gegen diese Ängste komme ich nicht an.”

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