"Spießer-Bushido" trifft endlich auf seine Spießer-Nachbarn
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"Spießer-Bushido" trifft endlich auf seine Spießer-Nachbarn

Und es war genauso absurd, wie es klingt.

Es gibt investigative Recherchen, die bekommen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Die Enthüllungen zu den Panama Papers beispielsweise, oder der Skandal um Regisseur Dieter Wedel, der gegenüber Schauspielerinnen immer wieder übergriffig geworden sein soll. Die Zeit hat in ihrer aktuellen Ausgabe ein Gespräch veröffentlicht, das zwar definitiv weniger gesellschaftlich relevant ist, aber durchaus entlarvend. Und dennoch läuft es bisher sträflich unter dem Radar: Bushido trifft unter der Aufsicht von zwei Journalistinnen zum ersten Mal seine Nachbarn im brandenburgischen Kleinmachnow. Das Ergebnis ist ein Text, der sich liest, als hätte jemand eine Satire auf deutsche Spießigkeit geschrieben.

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Anis Mohamed Youssef Ferchichi gehört zu den erfolgreichsten Musikern Deutschlands. Seine Biografie wurde ein Bestseller, wenig später folgte der Kinofilm Zeiten ändern dich von Uli Edel und Bernd Eichinger. In den letzten Jahren wurde es zunehmend ruhiger um den "Skandal-Rapper", zuletzt machte er wegen eines angeblichen Zerwürfnisses mit seinem Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker Schlagzeilen. (Das beide allerdings dementierten.) Statt sich in Berliner Problemvierteln in Handgreiflichkeiten verwickeln zu lassen, kaufte Bushido für sich und seine Großfamilie vor Jahren ein Haus in Kleinmachnow – und ist nach umfangreichen Umbauarbeiten mittlerweile auch eingezogen. Arafat Abou-Chaker zog nebenan ein. Die Zeiten, in denen er in Tour-Dokus seinen Penis zeigte, sind also vorbei. Heutzutage beschwert sich der 39-Jährige lieber auf Twitter über mangelhaften Service in Postfilialen. Das brachte ihm sogar einen eigenen (mittlerweile gelöschten) Satire-Account ein: Spießer-Bushido.

Trotzdem schrillten bei den Kleinmachnowern alle Alarmglocken, als der Rapper mit seinem nicht weniger skandalumwitterten Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker in den kleinen Ort bei Potsdam zog. Es folgten öffentliche Auseinandersetzungen über ungenehmigte Baumaßnahmen und Vorwürfe wegen Brandstiftung. Nun, rund sechs Jahre später, bringt die Zeit den Gangster-Rapper und ausgesuchte Anwohner zum ersten Mal an einem Tisch. Der Älteste in der Runde ist ein 58-jähriger Rechtsanwalt, dem der "ständige Erdaushub" auf Ferchichis Grundstück schon seit Jahren ein Dorn im Auge ist. Die Jüngste ist Studentin, 22, und freut sich, dass in der beschaulichen Nachbarschaft endlich mal was passiert – obwohl der Rapper die Straßenseite wechselt, wenn er ihr entgegen kommt.

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Wie man denn miteinander auskomme, was man sich schon immer mal fragen wollte, sich aber nie getraut hätte, will die Zeit wissen. Schnell stellt sich allerdings heraus: Die Journalistinnen sind nur Stichwortgeber, das klassisch deutsche Drama entfaltet sich ganz von selbst. Schauspieler Harald Effenberg, 56, beschwert sich über einen Baum, der drohte, auf sein Grundstück zu stürzen. Statt seinem neuen Nachbarn deswegen eine E-Mail zu schreiben, googelte er Arafat Abou-Chaker – und fraß den Frust dann lieber in sich hinein.

Problembezirk trifft auf Gartenzwerge

Reden, das wird schnell klar, wollten die Kleinmachnower mit Ferchichi und Abou-Chaker nicht. Stattdessen beäugten sie die Neuankömmlinge durchs Fenster, und schienen zu erwarten, dass sich der Platin-Rapper mit einem Korb Selbstgebackenem auf große Entschuldigungstour für seine vergangenen Verfehlungen begibt.

Bushido hingegen sagt, er habe sich noch nie einem Nachbarn vorgestellt. Das ist nachvollziehbar, macht in Berlin nämlich so gut wie niemand. Im Anschluss erklärt er allerdings warum: "Ich komme aus Berlin-Neukölln, groß geworden bin ich am Hermannplatz", sagt der Rapper – und das überrascht dann doch. Im Interview mit der Rap-Seite All Good erklärte er 2015 noch, früher immer von Marienfelde aus in die Berliner Innenstadt gefahren zu sein.


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Marienfelde liegt am südlichen Stadtrand im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Das ist nicht weit weg von dem vermeintlichen Problembezirk Neukölln, der in den letzten Jahren vor allem ziemlich hip geworden ist, aber es ist eben nicht Neukölln. Deswegen heißt einer der Songs auf Bushidos Debütalbum auch "Tempelhof Rock" und nicht "Neukölln Rock". Auf seinem Album Carlo Cokxx Nutten 3 rappte er außerdem: "Ich bleibe Tempelhofer Junge und das bis in alle Ewigkeit."

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Was hat sich verändert? Vielleicht passt es besser zum Narrativ der unterschiedlichen Welten, die aufeinandertreffen, wenn der kontroverse Gangsta-Rapper mit der fragwürdigen Vergangenheit große Teile seiner Jugend im stadtteilgewordenen Albtraum des gehobenen Gutbürgertums verbracht hat – und nicht in einem Bezirk, den die Berliner Zeitung mal als Heimat des "ordnungsliebenden Berliner Mittelstands" bezeichnete.

Diese Diskrepanz zwischen zwei Images gibt es bei Bushido schon länger. Auf der einen Seite der Wunsch, als kredibiler Ghetto-Pate wahrgenommen zu werden, der in seiner Freizeit Der Hobbit guckt und World of Warcraft zockt. Auf der anderen Seite die Obsession damit, als smarter, sprachgewandter Businesstyp zu gelten, der in Talkshows (natürlich!) ganz anders spricht als in seinen Songs. Auch die Nachbarn, die sich auf goldenen Stühlen an seiner langen Naturholztafel eingefunden haben, scheinen überrascht, wie besonnen der Rapper mit ihnen spricht. Einlullen lassen wollen sie sich trotzdem nicht.

Im Zweifelsfall: Fußball gucken

"Ihnen muss doch klar sein, dass Ihre Texte provozieren", sagt Ärztin Michaela Hösl, 48. "Seit ich da mal reingehört habe, um Sie und Sido auseinanderhalten zu können, frage ich mich schon, was so Ihr Stil ist im Leben." Man mag sich kaum ausmalen, wie oft die neuen Skandalnachbarn Thema in ihrer Praxis für Alternative Heilmethoden waren. Erwarteten sich die Anwohner wilde Koks-Partys, Heerscharen leichtbekleideter Frauen oder – noch schlimmer – laute Musik nach 22 Uhr?

Bushidos Anwesen in Kleinmachnow, während der Bauarbeiten 2013 | Foto: imago | Future Image

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"Haben Sie eigentlich Pläne, Ihren Ruf in der Nachbarschaft zu verbessern?", setzt Rechtsanwalt Andreas Schramm nach und selbst wenn man diese Zeilen nur liest, schwingt ein anklagender Ton mit. Er könne ja ein Einzugsfest feiern, "um den Vorurteilen offensiv zu begegnen", schlägt Islamwissenschaftsstudentin Lisa Fey vor. Bushido reagiert, als wäre er mit Trekking-Sandalen und Socken auf die Welt gekommen und schlägt das denkbar deutscheste Get-Together vor: Man könne sich ja bei der WM im Sommer treffen. "Dann stell ich hier im Garten einen Beamer auf und freu mich, wenn ihr zum Fußballgucken kommt."

Schauspieler Effenberg ist trotzdem nicht besänftigt. Woher seine Wut kommt, wird nicht ganz klar, schließlich habe er sich nie mit der Musik des Rappers beschäftigt. ("Ich höre progressiven Rock aus den 70ern.") Beim jährlichen "Siedlungsfest" scheint er sich den Sohn eines tunesischen Vaters und seine Patchwork-Familie trotzdem nicht vorstellen zu können. Geschweige denn beim gemeinschaftlichen Wässern "einer alten Eiche, die sonst verdursten würde".

"Tief in Ihrem Herzen sind Sie auch ein Spießer"

Die Siedlung in Kleinmachnow passe aufeinander auf und helfe sich, wo sie nur kann, erzählen die Nachbarn. Außer jemand Neues kommt und streicht seinen Gartenzaun anthrazit. Immer wieder sei die Polizei, der Zoll oder das Grünflächenamt bei ihm angerückt, weil Anwohner ihn wegen vermeintlicher Vergehen gemeldet hätten, sagt Bushido. Die gegenseitigen Anschuldigungen spitzen sich zu. Der Rapper denkt, die Nachbarn haben ihm als Rache Hundekotbeutel in den Garten geworfen, die Nachbarn monieren, Bushido habe ein denkmalgeschütztes Tor abgerissen, weil seine Luxusautos nicht durchgepasst hätten.

"Ich will keinen Krieg mehr", lenkt der 39-Jährige schließlich ein, "Ich baue hier einen riesengroßen Spielplatz, auch einen Fußballplatz." Anschließend liest er Nachrichten seiner Frau vor, die vorsichtig nachfragt, wie das große Nachbarschaftskennenlernen so läuft. Als er 2004 sein Album Vom Bordstein bis zur Skyline veröffentlichte und damit der deutschen Musikbranche für immer seinen Stempel aufdrückte, war Bushido noch Vorreiter einer neuen Strömung im Deutschrap, die ungleich düsterer und abgründiger war als das, was die Kollegen aus Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt bis dato veröffentlicht hatten. Heute will Ferchichi einfach nur seine Ruhe haben – und nicht länger Polizeibesuch bekommen, wenn er den falschen Baum fällt.

"Wenn Sie mit Ihrer Familie nach Kleinmachnow ziehen, sind Sie tief in Ihrem Herzen auch ein Spießer", sagt Michaela Hösl im Zeit-Interview zu ihrem ungleichen Nachbarn. So gesehen hat ihn sein neues Umfeld im Süden von Berlin vielleicht besser verstanden als die Rapfans, die sich über seine aufgebrachten Tweets lustig machen.

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