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Die Geschichte des Winchester-Hauses: Willkommen im gruseligsten Gebäude Amerikas

Die Geister, die angeblich durch die viktorianischen Gänge spuken, sind nicht das Unheimlichste an dem Gebäude.
Frontansicht des berühmten Winchester-Hauses | Bild: Ben Fransk

Endlose Gänge, zugemauerte Türen, Treppen, die ins Nichts führen – seit über 130 Jahren gilt das Winchester-Haus in Kalifornien als das gruseligste Haus der USA. Hier residierte Sarah Winchester, die Erbin eines mächtigen Waffenherstellers. Unter Anleitung der paranoiden Witwe entstand über mehrere Jahrzehnte und ohne offiziellen Bauplan ein Labyrinth aus ungefähr 160 Räumen. Dazu zählt auch ein Geheimversteck im Dachboden, das erst in diesem Jahr von Angestellten entdeckt wurde.

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Winchester: The House That Ghosts Built

wurde die Geschichte des Gruselhauses nun verfilmt. In den USA soll der Film im Februar 2018 starten, wann er in Deutschland in die Kinos kommt, steht bisher noch nicht fest. Der Trailer verspricht mit Geistern, Dämonen und Poltergeistern viele Schockmomente, wie sie sich für einen Horror-Thriller gehören. Er verrät uns allerdings nicht, ob der Film auch auf die unheimlichsten Elemente der Geschichte des Winchester-Hauses eingehen wird: Das Blutgeld, die Schuldgefühle und die Paranoia, die seine Erbauung überhaupt erst ermöglichten.

Sarah Winchester war die Witwe des berühmten Waffenherstellers William Wirt Winchester. Als eines der ersten Unternehmen stellte die Winchester Repeating Arms Company Gewehre in Massenproduktion her, die mehrere Schuss ohne Nachladen abfeuern konnten. Das Winchester Model 1873 ist heute auch als "Gewehr, das den Wilden Westen gewann" bekannt, da es bei den Siedlern in Nordamerika besonders beliebt war. Auch Old Shatterhands "Henrystutzen" aus Karl Mays Winnetou-Büchern wurde von einem Gewehr aus dem Hause Winchester inspiriert.

Zwischen 1873 und 1916 produzierte das Unternehmen mehr als 720.000 Gewehre, die einen enormen Einfluss auf die nordamerikanische Geschichte hatten. Das Familienunternehmen nährte die Leidenschaft der US-Amerikaner für Schusswaffen, seine Produkte töteten aber auch zahllose Menschen. Diese Schuld machte Berichten zufolge vor allem Sarah Winchester zu schaffen.

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Nach dem Tod ihres Mannes wurde Sarah Winchester 1881 auf einen Schlag zu einer der reichsten Frauen ihrer Zeit. Genießen konnte sie das Erbe von 20 Millionen US-Dollar, das heute etwa eine halbe Milliarde US-Dollar wert wäre, jedoch wohl nicht. Denn Gerüchten zufolge fühlte Sarah Winchester sich von den Geistern der Toten verfolgt, die durch die Gewehre ums Leben gekommen waren, die sie reich gemacht hatten. Um sich vor ihnen zu schützen, soll sie ihr viktorianisches Anwesen wie ein Labyrinth entworfen und ständig erweitert haben. So wollte sie die Geister in die Irre führen.

Einem Zeitungsbericht der New York Times von 1911 zufolge wurde Sarah Winchesters Bauwahn sogar von einer Nachricht aus dem Jenseits angetrieben: So habe sie eine Warnung aus der Geisterwelt erhalten, "dass alles gut bleiben würde, solange das Hämmern im Haus nicht verstumme".


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Sarah Winchester lebte sehr zurückgezogen und war als Exzentrikerin bekannt. Die Gerüchte um ihre Schuldgefühle und Paranoia kursierten bereits zu ihren Lebzeiten und nahmen nach ihrem Tod noch mehr Fahrt auf. Historiker zweifeln jedoch an dieser Version der Geschichte. Die Historikerin Mary Jo Ignoffo, die 2010 eine Biografie über Sarah Winchester veröffentlichte, hat eine eigene Theorie: Sie ist der Meinung, dass die Medien die Eigenarten der reichen Witwe instrumentalisierten, um dem Schuldempfinden einer ganzen Nation ein Ventil zu geben.

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"Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die US-amerikanische Presse, sich mit den Gewalttaten gegen die amerikanischen Ureinwohner auseinanderzusetzen und die Gräueltaten belasteten das kollektive Gewissen", schreibt Ignoffo in ihrem Buch. "Zur gleichen Zeit begann man, an Sarah Winchesters Ruf zu kratzen und sie lächerlich zu machen. Die Zeitungen bürdeten der Witwe die Schuldlast an den Todesfällen durch Winchester-Gewehre auf. Dabei gibt es keine Beweise dafür, dass Sarah Winchester sich für die Gewehre oder für den Profit aus den Verkäufen schuldig fühlte."

Wie jede Geschichte über Geisterhäuser sind auch die Legenden um das Winchester-Haus aus Übertreibungen und Hirngespinsten gewachsen. Trotzdem hat dieses Geistermärchen einen ernsten Hintergrund: Denn seine Entstehungsgeschichte ist auch eine Geschichte vom komplizierten Verhältnis der US-Amerikaner zu ihren Schusswaffen. Auch wenn es in den USA zehnmal wahrscheinlicher ist, erschossen zu werden als in anderen Industrienationen, spaltet die Regulierung von Schusswaffen die US-amerikanische Gesellschaft wie kaum ein anderes Thema.

Das Winchester-Haus wirkt wie das perfekte Sinnbild für die Waffenvernarrtheit einer gesamten Nation. So scheint es fast so, als ob sich in Sarah Winchesters planlosen Baumaßnahmen die halbherzigen Versuche der USA widerspiegeln, ihre Waffengesetze unter Kontrolle zu bekommen. Denn genau wie die sinnlosen Türen und endlosen Korridore in dem Geisterhaus, scheinen auch die Bemühungen, die Waffengewalt in den USA zu reduzieren, oft ins Leere zu führen oder sich im Kreis zu drehen. Dabei wäre es gerade wenige Wochen nach dem schrecklichen Massenmord in Las Vegas, bei dem ein Mann Hunderte verletzte und 58 Menschen tötete, wichtiger denn je, klare Beschränkungen für die Verbreitung von Schusswaffen in den USA zu erlassen und durchzusetzen.