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Fotos

Ein Interview mit dem Künstler, der die traurigsten Fotos der Welt archiviert

Anfang April veröffentlichten wir Fotos aus Jason Lazarus' Projekt ‚Too Hard to Keep'. Er bekam so viele neue Einsendungen, dass wir ihm noch ein paar Fragen gestellt haben und euch hier einige der neuesten Bilder zeigen.

Diese Bilder sind Teil eines laufenden Projekts des Chicagoer Künstlers Jason Lazarus, in dem er zur Einsendung von Fotos aufruft, die in ihren Besitzern so starke Emotionen auslösen, dass sie die Bilder einfach nicht behalten können—daher der Projektname, Too Hard to Keep (THTK).

Viele der Bilder sehen recht unschuldig aus, doch das Konzept des Projekts verleiht ihnen oft eine Art dunklen Pathos, der dazu anregt, eigene düstere Hintergründe und Geschichten zu erfinden. Doch diese Geschichten sind eher eine Projektion unserer eigenen Erfahrungen.

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Die Resonanz auf das Portfolio war riesig, also beschlossen wir, Lazarus per E-Mail noch ein paar Fragen zu seinem Archiv zu stellen und eine Auswahl der neuen Einsendungen zu zeigen.

VICE: Warum hast du THTK begonnen? Welches war das erste Bild im Archiv?
Jason Lazarus: Ich erinnere mich nicht, welches das erste war. Ich fing das Projekt an, weil ich vor derselben Frage stand, die sich vermutlich viele der Teilnehmer des Projekts auch stellen: Welche Bedeutung kann ich in diesem Bild finden?

Ich weiß, dass du versuchst, nicht mit „weißen Handschuhen" an dein Archiv heranzugehen, und häufig Teile davon zwanglos in deiner Wohnung fotografierst. Warum tust du das, und inwiefern beeinflusst das die Art, wie du das Archiv der Öffentlichkeit präsentierst?
Institutionen haben zum Glück viele Vorschriften für den Umgang mit Bildern. Die Mission, die sie verfolgen, bedeutet oft, dass sie gründliche Archivierungsmethoden anwenden, die Zustand und Herkunft der Bilder dokumentieren. Im Archiv haben sie dann ihre eigene Nische, zu der oft mehrere Stichwörter führen. Für mich spiegelt das die Geisteswissenschaften im Allgemeinen wider, denn sie setzen standardisierte Formate ein, um Wissen zu generieren und Quellen zuzuordnen. Künstler imitieren oft diese Methoden und fassen ihre Bestände mit Samthandschuhen an, stellen sie hinter Glas, kontrollieren ihren Zustand, dokumentieren gründlich jeden Gegenstand, etc … Doch ich denke, Künstler sind am besten, wenn sie wie Störfaktoren in dieser Wissensschaffung sind, und wenn sie Zufall, Intuition, Gefühl und, in manchen Fällen, Fiktion zum Einsatz bringen.

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Wenn eine Einsendung reinkommt, schreibe ich manchmal eine zufällige Zahl oder einen Text auf die Rückseite der Bilder, sodass ich sie theoretisch später wieder zu dieser Gruppe zusammenfügen könnte, doch das tue ich nicht oft. Meist sind Bilder, die zusammen eingesendet wurden, danach nie wieder zusammen. Nachdem das Projekt ein paar Mal ausgestellt wurde und ich beim Abbau nicht dabei war, stellte ich fest, dass alles ganz durcheinander zu mir zurückkam. Ich lernte schnell, diese Durchmischung als einen Teil des Projekts zu schätzen, und bezeichne den Vorgang nun als „archivarisches Verrutschen". Es bedeutet, dass ich ständig Bildern begegne, die von ihren ursprünglichen Gefährten getrennt sind, und sie in immer neuen Kontexten verstehe. Ich respektiere die Fähigkeit des Publikums, ihre eigenen Bedeutungen innerhalb ihrer eigenen Lebensgeschichte zu finden.

Das Bild von der Frau mit dem blauen Auge ist schon fast zum Symbol oder Aushängeschild dieses Projekts geworden. Weshalb weckt dieses Bild so starke Gefühle im Betrachter?
Ich weiß, dass du sie persönlich kennst—wie sieht sie das alles? Die Frau mit dem blauen Auge (eine alte Freundin von mir, nennen wir sie „Sue") war eine Einsendung, die ich ganz zu Anfang des Projekts erhielt, und sie öffnete mir in mehrerlei Hinsicht die Augen. Mir wurde dadurch klar, dass das Projekt wirklich von Bedeutung sein könnte—nicht nur für mich, sondern auch für andere. Das Maß an Vertrauen, das ich von den Teilnehmern verlangte, wurde mit jeder Einsendung erfüllt, ob brutal oder banal. Das Bild erinnerte mich auch an Nan One Month After Being Battered, (1984), von Nan Goldin. Das Bild ist eines ihrer bekanntesten und es spricht einerseits für sich und spielt andererseits eine wichtige Rolle in ihrer ausführlicheren Erzählung The Ballad of Sexual Dependency.

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Zurück zu Sue—Ich spreche es mit ihr ab, wenn ich das Bild verwende, um für das Projekt zu werben. Ich schätze mich glücklich, dass sie gewillt ist, bei der Ausweitung des Projekts mitzuwirken, und ich habe nach und nach den Einsatz des Bildes verringert (auch wenn das Internet seine eigene Bildlogik hat und es oft auftaucht, ohne dass ich etwas dafür kann). Ehrlich gesagt denke ich nicht, dass es völlig spurlos an Sue vorbeigegangen ist, das Bild unerwartet im Internet zu sehen. Doch wenn es Teil von Installationen oder mit Bedacht zusammengestellter Veröffentlichungen ist, dann strahlt das Bild hell und ist unglaublich großzügig zu den Bildern in seiner Umgebung und zum Publikum selbst. Ich habe das Gefühl, das ist am Ende sowohl für Sue als auch für mich das Ziel.

Too Hard To Keep ist ein laufend weitergeführtes Archiv von Jason Lazarus, das Einsendungen annimmt. Bitte gebt an, ob eure eingesandten Fotos zukünftig ausgestellt werden dürfen, oder ob es sich dabei um private Fotos handelt, die nur mit der Vorderseite nach unten ausgestellt werden sollen. Schickt Fotos, Fotoalben, Fotogegenstände oder größere Einsendungen jeglicher Art an das Archiv:

Jason Lazarus
THTK
1516 N Kedzie Ave, #3
Chicago, IL 60651
USA