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Popkultur

Til Schweiger ist die deutsche Antwort auf Kim Kardashian

Alzheimer und behinderte Kuscheltiere in Sepia—wir haben in einer zehnstündigen Marathonsitzung versucht, den Erfolg von „Keinohrhasen" und Co. zu verstehen.
Screenshot: YouTube/Warner Bros. DE

Til Schweiger ist erfolgreich wie kaum ein anderer deutscher Regisseur und Schauspieler und so sehr wir uns auch gegen seine mediale Übermacht wehren, wir können scheinbar nichts dagegen tun. Seine seichten Liebesgeschichten Keinohrhasen und Kokowääh (samt Fortsetzungen) sahen in den vergangenen Jahren zusammen 17,4 Millionen Menschen im Kino, seinen neuesten Streifen, das Alzheimer-Drama Honig im Kopf, nach zehn Tagen bereits 1,75 Millionen.

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Die Kritiken fielen, insbesondere auf Zuschauerseite, fast durchgehend positiv aus—was Medienberichten zufolge auch daran liegen könnte, dass es sich dabei um gekaufte Kommentare handeln soll. Ähnlich sympathisch also wie seine Pläne, einen eigenen Filmpreis ins Leben zu rufen. Natürlich, um sich selbst auszuzeichnen.

Doch auch abseits der Filmbranche kommt man um den nuschelnden Tausendsassa nicht herum: Mittlerweile hat Til Schweiger sogar seinen eigenen Online-Shop.

Eigene Lifestyle-Marke, kontroverse Auftritte in Talkshows, die dreistündige Zelebrierung seines 50. Geburtstags zur Primetime, der öffentlich-rechtliche Ritterschlag als hollywoodesker Tatort-Kommissar und fragwürdige Facebook-Posts, die die Nachrichten beherrschen—es scheint mittlerweile unmöglich, Til Schweiger zu entkommen. Ein Schicksal, das unseren amerikanischen Freunden von der omnipräsenten Kim Kardashian und dem Rest ihres Clans bekannt vorkommen dürfte.

Weder bin ich sonderlich begeistert von Romantic Comedys noch ein ausgemachter Fan des Sepia-Filters, deswegen habe ich mich bisher erfolgreich vor den Regieleistungen des 51-Jährigen gedrückt. Um dem Erfolg Schweigers auf die Schlüsse zu kommen, entschloss ich mich also, mich in einer zehnstündigen Marathonsitzung etwas eingehender mit dem filmischen Lebenswerk zu beschäftigen.

Keinohrhasen ist nicht nur einer der ersten großen Filme Schweigers, sondern mit rund 6,3 Millionen Kinobesuchern auch der bis dato erfolgreichste. Til Schweiger spielt den liebenswerten Chaoten Ludo, der nach Jahren des erfolgreichen Arbeitens als Boulevard-Redakteur mehrere Sozialstunden in einem Kinderhort ableisten muss und dabei auf seine ehemalige Mitschülerin Nora Tschirner (Anna) trifft, die er als Kind immer gehänselt hat. Die Beiden verlieben sich und zwischenzeitlich wird so oft wie möglich eines von Til Schweigers Kindern eingeblendet, denn wenn man etwas von den Kardashians lernen kann, dann ist es medial zur Schau gestellter Familienzusammenhalt.

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In verträumten Sepia-Tönen sehen wir dabei zu, wie Ludo und Anna sich annähern, Sex haben, wieder rein platonische Freunde sind und nach einer großen, dramatischen Geste seitens Ludo doch endlich zusammenfinden. Weil sie sich lieben. Die Rollen sind dabei so klar verteilt (Frauen weinen und wollen immer Beziehungen, Männer sind hart und müssen die Dinge in die Hand nehmen, weil sonst nichts passiert), dass der Ausgang der Geschichte von vornherein feststeht und wann immer man sich unsicher sein sollte, ob es sich gerade um eine emotionale Szene handelt, kann man sich an der laut plärrenden Popmusik orientieren, die fast im Minutentakt eingespielt wird.

Auch wenn der Plot nahezu hanebüchene Lücken hat (der Taxifahrer zeigt sich vollkommen unbeeindruckt von einem lebensgefährlich verletzten Kind, Mobbing ist anscheinend das ideale Vorspiel), ergibt der dramatische Soundtrack zum Mitweinen und die Ästhetik eines Imagefilms für Damenbinden eine durchaus homogene Mischung. Mit etwas gutem Willen kann man also sagen: Der Film ist zumindest nicht abgrundtief schlecht—ein Urteil, das sich über den Nachfolger Zweiohrküken so leider nicht fällen lässt.

Was passiert mit einem frischen Liebespaar, nachdem der Abspann durchgelaufen ist? Leben sie glücklich bis ans Ende aller Tage? Haben sie irgendwann keine Lust mehr, strahlend über Weizenfelder in den Sonnenuntergang zu laufen? Glauben wir Til Schweiger, ist das ganz normale Beziehungsleben nichts anderes als ein endloser Mario-Barth-Gag.

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Frauen sind zickig und nur dazu da, ihre Männer zu terrorisieren. Die wiederum bringen zwar nie die Pfandflaschen raus, schreiben aber schnulzige Liebesbriefe, wenn es darauf ankommt. Und zum Schluss sind dann wieder alle glücklich. Zweiohrküken ist vor allem deshalb ein Frauenfilm, weil es ausschließlich um den Mann als sympathischen Kämpfer für die Liebe geht, während alle Frauenfiguren des Films unterschiedliche Abstufungen von unsympathisch belegen.

Die weibliche Zuschauerschaft kann sich also glaubhaft versichern, dass sie eine ungleich bessere Partnerin für den süßen Til wäre. Und wem das zu blöd ist, der schließt einfach die Augen und tut so, als würde er sich im heimischen Wohnzimmer die aktuelle Kuschelrock-Compilation reinziehen. Ist es sexistisch, dass Kim Kardashian vor allem auf ihren Hintern reduziert wird? Ja. Til Schweigers fragwürdiges Frauen(und Männer-)bild steht dem aber in nichts nach.

Auch Kokowääh war mit 4,3 Millionen Kinobesuchern unfassbar erfolgreich, erzählt aber, trotz leicht abgewandelter Handlung, nichts neues. Erneut spielt Til Schweiger einen Arschloch-Chaoten, der die große Beziehung in seinem Leben nicht so richtig auf die Reihe bekommt. Statt mit einer zickigen Frau muss er sich dieses Mal allerdings mit seiner Tochter auseinandersetzen, die deren Mutter vor seiner Haustür ausgesetzt hat. Das bringt das Leben des drehbuchschreibenden Weiberhelden Henry gehörig durcheinander, macht ihn schlussendlich aber natürlich zu einem besseren Menschen. Denn wenn wir bis jetzt etwas gelernt haben, dann dass Til Schweiger in jedem seiner Filme die mit Abstand sympathischste Figur sein muss.

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Abgesehen von der wirklich verstörenden Tatsache, dass alle Menschen mit schlechteren Jobs in diesem Film mit ausländischem Akzent sprechen, ist auch Kokowääh eine einzige Kakophonie aus Oldtimern, der These, dass es keine Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt, schnellen Schnitten zu dramatischer Musik und gedeckten Erdtönen. Alle Erwachsene in Schweigers Filmen verhalten sich wie Kinder und trotzdem gibt es keine negativen Folgen—vielleicht schafft er es, eine Art kollektives Unwohlsein innerhalb der Gesellschaft anzusprechen. Die Angst davor, Verantwortung für sich oder andere zu übernehmen. Wir wollen es gemütlich, wir wollen es plakativ und wenn wir nach zwei Stunden aus dem Kino gehen, ist das einzige, was hängengeblieben ist, das Popcorn im beigen Strickpulli.

Kokowääh 2 ist zwar deutlich weniger braunstichig als sein Vorgänger, die Ausgangssituation dafür aber noch abstruser. Die leibliche Mutter (im ersten Teil noch eine Mischung aus hauptberuflicher Zicke und Teilzeit-Krimineller) scheint vollends von der Bildfläche verschwunden, Henry teilt sich die Erziehung seiner leiblichen Tochter also mit deren Ziehvater. Der wiederum steht darauf, beim Sex so zu tun, als sei er ein Tier, und würde man willkürlich Szenen der vorhergegangen RomComs in diesen Film schneiden—man würde den Unterschied nicht sehen. Wenn es das ist, was das deutsche Volk sehen möchte, dann wundert mich nicht, dass so viele Leute die AfD wählen.

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Nachdem Schweiger im Feld der leichten Liebeskomödie offenkundig so langsam die Luft ausgeht, bleibt die Frage nach der Qualität seines aktuellen Films Honig im Kopf umso spannender. Alzheimer und Familiendrama, statt Beziehungsquerelen und Patchworkfamilie—das kann sich doch unmöglich in eine Musikmontage in Waldorfkindergarten-Optik verpacken lassen. Und tatsächlich sind Didi Hallervorden als kranker Großvater und Emma Schweiger als hilfsbereite Enkelin durchaus rührend. Auch die Tatsache, dass sich Til Schweiger als gebeutelter Familienvater erfreulich zurückhält, spricht für die Tragikkomödie.

Trotzdem ist es gerade dieser Film, der das Erfolgsrezept des 51-Jährigen offenlegt wie kein anderer. Seine Geschichten funktionieren, weil sie so oberflächlich sind, dass sie niemandem weh tun. Alzheimer? Ist das nicht diese Krankheit, wo alte Leute Sachen vergessen? Mit dieser Einstellung mag manch ein Kinobesucher den Saal betreten und rund zwei Stunden später auch wieder verlassen. Wenn selbst die Geschichte um einen einsamen alten Mann, dessen Leben zunehmend von einer Krankheit zerstört wird, mit den gleichen Mitteln erzählt wird wie die seichten Liebesgeschichten davor, dann wird sie auch genau so konsumiert.

Til Schweiger verpackt Gefühle in Tupperware und dreht beim Essen die Musik laut, damit man das gierige Schmatzen nicht hört. Bei ihm gibt es keine wirklichen Dramen. Es gibt die Guten und die nicht ganz so Guten, die sich am Schluss in allgemeiner Glückseligkeit in die Arme fallen. Der Aufbau der Schweiger-Fime gleicht denen einer Keeping Up With The Kardashians-Folge, nur mit anderem Kamerafilter.

Ja, er nuschelt. Ja, er ist kein wahnsinnig guter Schauspieler und bietet nicht zuletzt auch deshalb jede Menge Angriffsfläche als Person, weil er bei all seinen Film- und Lifestyle-Projekten auch noch so unerträglich selbstgefällig daherkommt. Aber wenn diese Art der Unterhaltung zum Erfolgreichsten gehört, was die deutsche Film- und Fernsehbranche zustande bringt, dann müssen vor allem wir uns schämen. So wie Amerikaner sich darüber beschweren, dass Kim Kardashian fürs Nichtstun berühmt ist, während sie ihr auf Instagram folgen und jeden Blogbeitrag über ihr Privatleben lesen, dürfen auch wir nicht einfach mit dem Finger auf Til Schweiger zeigen. Er liefert schließlich nur den faden Stoff, wir kaufen ihn.

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