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Fisch-Tacos, Fußball und Familie: So werden mexikanische Drogenbosse erwischt

El Chapos geleakte Korrespondenz mit Kate del Castillo ist nur eines von vielen Beispielen für die kleinen aber folgenschweren Fehler, die sich Kartellbosse erlauben.
Foto via VICE News

Joaquín „El Chapo" Guzmáns Aufstieg von einem einfachen Bauernjungen zu einem der erfolgreichsten Drogenschmuggler der Welt, der außerdem aus zwei Hochsicherheitsgefängnissen ausgebrochen ist, wurde schon häufig außergewöhnlicher Gerissenheit und genauer Planung zugeschrieben. Seine jüngste erneute Festnahme lässt ihn jedoch nicht so schlau aussehen.

„Chapo war sehr achtlos", sagte der ehemalige Direktor des mexikanischen Geheimdienstes, Guillermo Valdés, VICE News gegenüber, wobei er besonders betonte, was für ein „Fehler erster Güteklasse" seine Handy-Chats mit der Schauspielerin Kate del Castillo gewesen seien, die laut Behörden bei seiner Festnahme eine Rolle spielten.

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„Wenn der Mann eine Schwäche für Frauen hatte, dann wäre es ein logischer erster Schritt für Ermittler, seine Kommunikation mit ihr abzufangen."

Guzmán ist nicht der einzige Drogenboss, der auf solch amateurhaft anmutende Art unvorsichtig geworden ist. Mexiko ist voll von Geschichten, in denen berüchtigte entflohene Verbrecher aufgrund von Geburtstagsfeiern, kulinarischen Gelüsten oder Sportbegeisterung gefasst wurden—und oft passieren diese Dinge in Verbindung mit Besuchen bei Müttern, Kindern, Ehefrauen, Geliebten oder auch Prostituierten.

Nach El Chapos vorheriger Festnahme im Februar 2014 und vor seiner spektakulären Flucht vergangenen Juli war der meistgesuchte Verbrecher Mexikos Servando Gómez Martínez, bekannt als „La Tuta" [„der Lehrer"].

La Tuta stieg 2010 innerhalb des Tempelritter-Kartells auf, nachdem falsche Todesmeldungen über seinen Anführer, Nazario Moreno González, oder „El Más Loco" [„der Verrückteste"], kursiert waren. Anfang 2015 befand sich das Kartell in einem ungeordneten Zustand; La Tuta lebte in Berghöhlen.

Der „verrückte" Capo wurde schließlich am 27. Februar in der Stadt Morelia gefasst, als er gegen 3 Uhr nachts an einem Hotdog-Stand aß. Die Behörden verkündeten, sie hätten ihn seit seinem 49. Geburtstag einige Wochen zuvor beschattet: Sie hätten seinen Aufenthaltsort entdeckt, indem sie einem Boten und La Tutas Geliebter gefolgt seien, als die beiden dem Drogenboss einen Schokokuchen brachten.

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Für ihren Narzissmus bekannte Gangsterbosse machen sich jedoch nicht nur an Geburtstagen verletzlich.

Laut dem ehemaligen Geheimdienstchef Valdés wurde der Anführer des für seine Brutalität bekannten Kartells Los Zetas, Omar Treviño Morales, erwischt „weil er mit seiner Mutter gesprochen hat".

Treviño Morales, bekannt als „Z-42", wurde letzten März verhaftet, weniger als einen Monat nach La Tuta. Er war aus dem Untergrund aufgetaucht, um den Geburtstag seiner Mutter zu feiern.

„Die beste Quelle, von der Ermittler Informationen darüber erhalten können, wo ein Verdächtiger sein wird, und wann, ist von einem Mitglied seines inneren Zirkels", sagte Valdés. „Es dauert eine Weile herauszufinden, wer sich in diesem Kreis befindet. Wie bei La Tutas Festnahme mussten sie darauf achten, wer den Kuchen, die Getränke und das Essen für seinen Geburtstag brachte. Es ist nicht einfach, aber normalerweise werden solche Verdächtigen, die Experten im Untertauchen sind, auf diese Art verhaftet."

Mike Vigil, ehemaliger Direktor der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA in der Grenzmetropole San Diego, sagte VICE News gegenüber, es käme oft am Ende auf die Familie an, denn Verbrecher, die „Menschen einfach abschlachten würden", würden sich bei der abendlichen Heimkehr in „sehr liebevolle und sorgsame Eltern" verwandeln. Diese Verwandlung lässt sie anscheinend auch unvorsichtig werden.

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„Die Kinder haben ihnen die Welt bedeutet", sagte er. „Aber wenn es um Familie geht, machen [Anführer von Drogenbanden] viele Fehler."

Benjamín Arellano Félix, der Finanzchef des Tijuana-Kartells, wurde im März 2002 festgenommen, einen Monat nachdem sein Bruder Ramón in einer Schießerei mit einem Polizisten getötet worden war. Die mexikanischen Behörden brüsteten sich damit, dass sie Benjamín hatten aufspüren können, weil er sich nie weit von seiner Tochter entfernt habe: Das Mädchen hat einen inoperablen Gesichtstumor und ist somit leicht identifizierbar.

„Sobald wir wussten, dass er bei seiner Familie war, konnten wir ihn durch das auffällige Kinn seiner Tochter ausfindig machen", sagte der damalige Verteidigungsminister Ricardo Vega García im mexikanischen Fernsehen. Indem sie sich als Pizzalieferanten und Arbeiter verkleideten, gelang es den Ermittlern, die Familie zu beobachten, wie José Luis Santiago Vasconselos, der ehemals oberste Staatsanwalt im Bereich der Drogenkriminalität, in jenem Jahr der Washington Post mitteilte.

Doch auch eine Liebe zum Sport kann einen Flüchtigen verletzlich machen.

Der mexikanische Drogenschmuggler José Díaz Barajas, 49, wurde während der WM 2014 in Brasilien verhaftet, als er einen Flug von Rio de Janeiro nach Fortaleza bestieg, wo das Spiel Mexiko gegen Brasilien stattfinden sollte. Diáz Barajas, der sich mit seiner Frau und seinen Kindern getroffen hatte, um gemeinsam das Spiel zu besuchen, wurde wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Methamphetamin gesucht und an die USA ausgeliefert.

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Während derselben WM wurde Fernando Sánchez Arellano, ein Neffe der einst unerreichbaren Brüder Arellano Félix und einer der letzten noch freien Erben des Tijuana-Kartells, in einem Fastfood-Restaurant in Tijuana verhaftet, wo er den mexikanischen Sieg über Kroatien feierte. Er trug ein Trikot der Nationalmannschaft und hatte die mexikanische Trikolore auf seine Wangen gemalt.

Im nächsten Fall gab es zwar kein sportliches Großereignis, doch Iván Cazarín Molina wurde im November verhaftet, als er in Guadalajara, der Hauptstadt des Bundesstaats Jalisco, auf der Straße Fußball spielte. Die Behörden prahlten damit, dass sie die Nummer Zwei des Kartells Jalisco Nueva Generación erwischt hatten, denn dieses Kartell soll die am schnellsten wachsende kriminelle Organisation des Landes sein und ist bekannt für ihre ausgeklügelten Schmuggel- und Geldwäscheoperationen. Nueva Generacíon hat sich auch damit einen Ruf gemacht, dass Mitglieder des Kartells mit einem Raketenwerfer einen Militärhubschrauber vom Himmel geholt haben.

Anführer anderer Kartelle sind ebenfalls ihrer eigenen Vermessenheit zum Opfer gefallen. Arturo Beltrán Leyva, der sich selbst gerne den „Boss der Bosse" nannte, hatte mit dreien seiner Brüder eine Drogenbande gegründet, die einst zu den wichtigsten des Landes gezählt wurde.

Das Kartell Beltrán Leyva arbeitete innerhalb einer übergeordneten Organisation namens Sinaloa-Föderation mit El Chapos Kartell zusammen, doch das Bündnis zerfiel 2008, was einen der blutigsten Territorialkämpfe der mexikanischen Drogenkriege nach sich zog—den El Chapo gewann.

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Dieses Kartell erhielt im Dezember 2009 den Schlag, der seinen Untergang bedeuten würde, als die Marine Arturo Beltrán Leyva in einer großen Schießerei in einem Luxus-Hochhaus tötete. Die Behörden waren auf seine Spur gekommen, weil nur Tage zuvor eine riesige Weihnachtsfeier zu seinen Ehren stattgefunden hatte. Ein Grammy-Gewinner, 24 prostituierte Frauen sowie viele bewaffnete Männer sollen unter den Gästen gewesen sein.

Arturos Nachfolger ereilte aufgrund ähnlicher Achtlosigkeit ein ähnliches Schicksal.

Héctor Beltrán Leyva überlebte die schlimmsten Jahre, in denen sein Kartell sich in mehrere Untergruppen aufspaltete. Er wurde schließlich im Oktober 2014 verhaftet, als er Fisch-Tacos in einem Restaurant in San Miguel de Allende aß.

Im Juli 2015 wurde Martín Villegas Navarrete, einer der Anführer des Beltrán-Leyva-Kartells der neueren Generation, verhaftet, nachdem er von Acapulco in ein trendy Viertel von Mexiko City gereist war, „um seinen Geburtstag zu feiern", wie die Behörden mitteilten.

„Nicht alle Festnahmen fielen mit Geburtstagen, Bestattungen oder anderen wichtigen Ereignissen zusammen", bemerkte der ehemalige DEA-Chef Vigil, wobei er betonte, dass die Verletzlichkeit diverser Kartellchefs oft eher in der mangelnden Stabilität ihrer Organisationen liegt.

Doch selbst in Fällen, wo dies deutlich wird—und wo es nicht die Behörden sondern die Feinde des Bandenchefs waren, die ihn zuerst aufspürten—, werden ähnliche Muster der Achtlosigkeit sichtbar.

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Der Gründer und Boss des Tijuana-Kartells, Francisco Arellano Félix, wurde verhaftet, nachdem er erfolglos versucht hatte, El Chapo Guzmán am Flughafen Guadalajara ermorden zu lassen. 2013, fünf Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, wurde der älteste Arellano-Félix-Bruder von einem Clown erschossen, als er seinen 63. Geburtstag in Los Cabos, Baja California, feierte. Wer den Clown geschickt hatte und warum, sind Fragen, die bis heute nicht vollständig geklärt sind.

Der ehemalige Chef des Juárez-Kartells, Amado Carrillo Fuentes—bekannt als „El Señor de los Cielos" [„der Herr der Himmel"], weil er eine ganze eigene Flotte Flugzeuge zum Schmuggel einsetzte—war der meistgesuchte Verbrecher Mexikos, als er 1997 bei einer kosmetischen Operation starb. Die drei Ärzte, die mutmaßlich die fehlgeschlagene Operation durchgeführt hatten, wurden vier Monate später in Beton eingegossen gefunden.

Amados Bruder, Vicente Carrillo Fuentes, übernahm nach Amados Tod die Führung über das Juárez-Kartell und begann nach dessen erstem Gefängnisausbruch 2001 einen großen Krieg mit El Chapo. Einer der Auslöser für den Krieg war der Mord am dritten Carrillo-Fuentes-Bruder, Rodolfo, der 2004 in Culiacán, der Hauptstadt von Sinaloa, zusammen mit seiner Frau erschossen wurde, als sie aus einem Kino kamen.

Doch laut Vigil werden Kartellchefs hauptsächlich dann erwischt, wenn der wachsende gesellschaftliche Druck die Behörden zwingt, sich mehr um Kontrolle zu bemühen. Und wenn die Regierung einen Drogenboss wirklich verhaften wolle, dann müsse sie sich eben oft auf ein wenig Hilfe von ihrem Ziel verlassen.

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Für den Großteil der 13 Jahre, die El Chapo nach seinem ersten Gefängnisausbruch auf freiem Fuß war, machten die Behörden bei der Jagd auf ihn herzlich wenige Fortschritte. Das einzige Mal, dass sie behaupteten, ihm nahe gekommen zu sein, war 2012, als er angeblich ein Haus gemietet hatte, um eine Prostituierte dorthin zu bestellen. Das damalige Oberhaupt des Dezernats für organisiertes Verbrechen, Cuitláhuac Salinas Martínez, sagte der Presse, El Chapo sei gerade noch entkommen, weil das Treffen unerwartet kurz ausgefallen sei, nachdem die prostituierte Frau sich aufgrund ihrer Regelblutung geweigert habe.

El Chapo wurde schließlich im Februar 2014 erneut verhaftet, als er mit seinen kleinen Zwillingstöchtern und seiner Frau, Emma Coronel, in Sinaloa Urlaub machte. Coronel ist eine ehemalige Schönheitskönigin aus Kalifornien, die Guzmán an ihrem 18. Geburtstag heiratete. Laut den Behörden widersetzte sich El Chapo, der mindestens neun Kinder von drei verschiedenen Frauen hat, bei der Festnahme nicht, weil seine Familie anwesend war.

Später teilten die Behörden mit, seine Töchter seien der Schlüssel zu seiner Festnahme gewesen, da er normalerweise nicht länger als 10 Tage ohne ein Treffen mit ihnen zugebracht habe.

Als Guzmán vergangenen Juli mithilfe eines langen Tunnels ein zweites Mal aus dem Gefängnis entkam, setzte die mexikanische Regierung eine große landesweite Fahndung in Gang. Die Behörden sagten, sie hätten sich El Chapo bereits letzten Oktober genähert, als er einem Marine-Einsatz in seinem Versteck in den Bergen entkommen sei. Dies löste wilde Spekulationen darüber aus, wie man ihn dort aufgespürt hatte.

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Einige gut vernetzte mexikanische Journalisten berichten, hochrangige Funktionäre hätten ihnen mitgeteilt, alles habe letztlich an Chapos Versuchen gehangen, eine seiner Zwillingstöchter wieder mit ihrem Äffchen zu vereinen. Manche behaupten, der Affe sei auf dem Weg in die Berge an einem Checkpoint erkannt und mit einem Peilsender ausgestattet worden.

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Nachdem Guzmán am 8. Januar endlich festgenommen wurde, begannen die Behörden zu betonen, dass sein Handy-Kontakt mit Kate del Castillo ausschlaggebend gewesen sei. Geleakte Unterhaltungen deuten darauf hin, dass der Kartellboss so in die Schauspielerin vernarrt war, dass er eindeutige Sicherheitslücken entstehen ließ.

Dieser Theorie zufolge hat Castillo am 2. Oktober nicht nur den Hollywood-Schauspieler Sean Penn für ein Interview zu Guzmán geführt, sondern auch gleich die Behörden.

Nachdem Gerüchte über eine intime Beziehung zwischen der Schauspielerin und dem Drogenboss kursierten, haben mexikanische Medien diese Woche berichtet, Guzmán habe etwa zum Zeitpunkt des Treffens mit Penn und Castillo einen plastischen Chirurgen in Tijuana aufgesucht, um sich eine Penis-Prothese einsetzen zu lassen. Berichten zufolge hatte er bei seiner Festnahme Medikamente gegen Erektionsstörungen im Wert von mehreren Hundert Euro dabei.

El Chapo wurde schließlich in der Küstenstadt Los Mochis gefasst. Die mexikanische Generalstaatsanwältin Arely Gómez sagte diesen Dienstag in einem Interview mit El Universal, er habe die Stadt aufgesucht, weil es in den Bergen nicht sicher für ihn gewesen sei und vielleicht auch, weil ihm die Kälte zugesetzt habe. Sie sagte, er habe Weihnachten mit seiner Frau und seinen Töchtern verbracht, Silvester hingegen mit einer Geliebten.

Doch laut einem Bericht der New York Times soll es ein ganz bestimmtes Detail gewesen sein, das die Behörden am Vorabend seiner Festnahme zu seinem Versteck führte: Ein Lieferwagen, der von Chapos innerem Zirkel häufiger verwendet wurde, soll erkannt worden sein. Das Fahrzeug wurde bei der Abholung einer besonders großen Taco-Bestellung gesehen.

Von links nach rechts im Titelbild: Omar Treviño Morales, Servando Gómez Martínez, Joaquín „El Chapo" Guzmán, Arturo Beltrán Leyva, Fernando Sánchez Arrellano, Amado Carrillo Fuentes