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Mein Ex-Freund, der Vergewaltiger

Ich wurde während meiner Beziehung vergewaltigt. Damals flüchtete ich mich in Ausreden, um der Realität zu entfliehen.

Illustration:Nick Scott

Mein Ex-Freund hat mich während unserer Beziehung vergewaltigt.

Ohne jetzt unnötig ins Detail zu gehen, hatte er mit der Zeit für sich entschieden, dass er mich lieber fickte, als mein Einverständnis zu respektieren. So beschämend ich das rückblickend auch finde, aber ich kam irgendwann zu dem Schluss, dass er—wenn ich nicht explizit „Nein" sagte— im Grunde meine Einwilligung hatte und ich mich nicht mit der unangenehmen Wahrheit herumschlagen musste, dass mich mein Freund im Endeffekt vergewaltigte.

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Die Formulierung „im Endeffekt" ist wichtig, denn ich konnte das Wort Vergewaltigung lange nicht alleinstehend benutzen, um zu beschreiben, was passierte, ohne ein Adverbiale hinzuzufügen, das die Schwere des Verbrechens minderte: im Endeffekt, quasi, so gesehen, irgendwie, fast. Ich verwendete sie so häufig, bis ich meine eigene Scheiße glaubte. Natürlich wusste ich, wie man eine Vergewaltigung definiert—ich versuchte mich nur davon zu überzeugen, dass ich es eigentlich nicht tat. Und das war leichter, als du denkst.

Jedes Mal, wenn mein Freund mich vergewaltigte, fühlte es sich, abgesehen von dem Schock, körperlich nicht anders an als der normale Sex. Egal ob mit Zustimmung oder ohne Zustimmung, von seinem Freund gefickt zu werden, fühlt sich einfach an wie, nun ja, wie von seinem Freund gefickt zu werden. Und genau das ist es auch, was die Geschichte mit dem V-Wort so schwierig macht. Das ist das Traurige daran. Ja, ich habe „Nein" gesagt. Ja, er hat mich ignoriert. Mehrmals. Aber auch wenn es psychisch unangenehm war, war es doch nie gewaltvoll. Es war nicht so, wie man sich eine Vergewaltigung vorstellen würde. Ich hatte danach keine Verletzungen. Ich hielt danach meinen Vergewaltiger in den Armen, während er heulte.

Wenn du in deinen Vergewaltiger verliebt bist, dann wird sich auch der Gedanke, ihn anzuzeigen, in deinem Kopf breit machen. Dieser Gedanke hielt sich bei mir aber nie lange. Dieser Mann hatte mein Vertrauen auf eine Art und Weise hintergangen, die ich mir davor nie hätte vorstellen können—seine Reue schien aber echt zu sein. Er versprach mir, es nie wieder zu tun, und ich glaubte ihm. In meiner verdrehten Gedankenwelt konzentrierte ich mich dann auf die ganzen anderen tollen Dinge unserer Beziehung. Bis zum nächsten Mal. Danach versprach er mir natürlich wieder, dass er sich ändern würde. Und ich glaubte ihm auch dieses Mal.

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Ich bin nie zur Polizei gegangen und lange erzählte ich auch niemandem davon—das hat sich allerdings inzwischen geändert. In einer Art von blindem Vertrauen und verzweifelter Hoffnung verzieh ich ihm. Ja, er hatte mir wehgetan, aber er bedeutete mir so viel und—so widerlich das auch ist—ich wollte ihm keine Probleme bereiten. Er könnte seinen Job verlieren. Ich sagte mir, dass ich damit ja sein ganzes Leben zerstören könnte. Er hatte zwar das Verbrechen begangen, aber tief in meinem Herzen hatte ich das Gefühl, dass es meine Schuld wäre, wenn er dafür bestraft werden würde. Seine Reuebekundungen schafften es immer wieder, mein Verlangen zu dämpfen, ihn anzuzeigen.

Ich liebte ihn.

Meine eigene ursprüngliche Verwirrung darüber, was eigentlich eine „echte" Vergewaltigung ausmacht, wurde gleichzeitig zu einer Reflexion eines wesentlich größeren Problems. Unsere Gesellschaft hat ihr eigenes, tief verwurzeltes Problem damit, was eigentlich mit Konsens gemeint ist. Eine Studie unter amerikanischer Studenten ergab, dass 31,7 Prozent der befragten Männer „vorhaben, eine Frau zum Sex zu zwingen", aber nur 13,6 Prozent gaben an, dass sie „vorhaben, eine Frau zu vergewaltigen."

Das Ungleichgewicht der Ergebnisse war beunruhigend. Es ließ die Frage aufkommen, ob man zukünftige Vergewaltiger wirklich zur Rechenschaft ziehen kann, wenn diese sich noch nicht mal bewusst sind, dass das, was sie da tun—oder tun würden—eine Vergewaltigung ist. Viele Männer, die an dieser Studie teilnahmen, gaben an, dass sie sich selbst auch einer Frau aufzwingen würden. Bei diesen 18,1 Prozent, die sich jemandem aufzwingen, aber „definitiv nicht vergewaltigen" würden, kann man sich schon fragen, womit man es hier zu tun hat. Selbsttäuschung? Mangelndem Wissen? Dem Fehlen einer adäquaten Aufklärung in Sachen Konsens?

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Gibt es wirklich so viele Männer auf diesem Planten, für die Vergewaltigungen im schlimmsten Fall so etwas wie schlechte Manieren sind?

Unsere veraltete Vorstellung davon, wer und was ein Vergewaltiger ist, lässt die Typen-von-nebenan-Vergewaltiger, die liebenden Freunde und die vernarrten Ehemänner über ihr eigenes Fehlverhalten im Unklaren. Sie ruhen sich auf der „Wir und die"-Mentalität aus, die sich auch weiterhin durchsetzt, obwohl uns alle Statistiken zu Vergewaltigungen zeigen, dass dieses Verbrechen eben nur selten in dunklen Seitengassen und mit Fremden stattfindet. Diese kognitive Dissonanz beschränkt sich dabei nicht nur auf die Täter, sondern betrifft auch die Opfer.

Als ich anfing, diesen Artikel zu schreiben, habe ich diverse Menschen kontaktiert, um nach Meinungen, Feedback und Ideen zu fragen. Stattdessen stieß ich jedoch nur auf Spiegelungen meiner eigenen Erfahrungen. Ich fand mehrere junge Frauen, die das, was mir passiert war, besser beschreiben konnten als ich selbst. Kate war 16 als ihr 21 Jahre alter Freund sie misshandelte. „Du schaust dir diese ganzen Nachrichten und TV-Sendungen über misshandelnde Partner an und sagst dir selbst, dass du niemals in einer solchen Beziehung bleiben würdest. Du würdest deinen Partner natürlich sofort verlassen. Wenn es dir dann aber wirklich passiert, ist alles anders", erzählte sie mir. „Du erfindest Ausreden. Du sagst dir selbst, dass es ‚nicht zählt.' Oder du redest dir sogar ein, dass es gar nicht passiert ist—aus Fassungslosigkeit, Angst und furchtbarerweise eben auch aus Liebe."

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Für viele Opfer ist es leichter, die eigene Erfahrung als eine Art „Vergewaltigung Light" abzuspeichern, als sich wirklich mit dem Chaos auseinanderzusetzen, seinen eigenen Vergewaltiger zu lieben. Es ist leichter, seine eigene Erfahrung runterzuspielen, als sie zu akzeptieren.

Als fühlende menschliche Wesen hatten Kate und ich eine klare Meinung zu Vergewaltigungen. Als sie dann aber Teil unseres Lebens wurden, sind wir davor in Schrecken weggerannt. Wir vergruben sie in unseren Zweifeln und verdeckten sie mit Liebe—und wir waren damit nicht die Einzigen. In einer Umfrage am Massachusetts Institute of Technology wurde herausgefunden, dass 17 Prozent der Studentinnen per Definition sexuelle Übergriffe erfahren hatten (formuliert als „ungewollte sexuelle Handlungen"). Trotzdem antworteten lediglich 11 Prozent mit „Ja" auf die direkte Frage, ob sie schon jemals angegriffen oder vergewaltigt worden waren. Egal ob diese Unterscheidung zwischen der tatsächlichen Handlung und der Definition von Vergewaltigung auf kultureller Unsicherheit fußt oder ob das Opfer sie sich einfach nur wegwünscht, am wichtigsten ist immer noch, dass es passiert. Und von denen, die darin involviert sind, wird es nicht als das erkannt, was es ist. Jedenfalls nicht sofort.

Noch einmal: Wir denken bei Vergewaltigungen oft an etwas Aggressives und Schmerzvolles, das nur im Schatten dunkler Straßen stattfindet. Wir denken an Fremde. An Hände, die Münder zuhalten. Waffen. Aber 90 Prozent der Vergewaltigungen, die in Großbritannien stattfinden, werden von Männern im Bekanntenkreis begangen. Der Akt wird in dem Moment von vielen Frauen—inklusive mir—als extrem unangenehm wahrgenommen, muss aber nicht mit Körperverletzung oder Gewalt einhergehen. Es gibt aber kein Adverb, das die Handlung einer Vergewaltigung abschwächen kann. Unsere Wahrnehmung von Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung befindet sich noch immer in dieser gruseligen Welt des „Anderen", aber in der Realität sind Vergewaltigungen für viele etwas, das in ansonsten liebevollen und erfüllenden Beziehungen geschieht. Die Vergewaltigung wird dann zum stillen, sich aber immer weiter ausbreitenden Elefanten im Raum. Ihr beide wisst, was los ist, aber ihr wisst auch, dass alles im Arsch ist, sobald ihr diese Türe aufstoßt.

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Für viele Opfer ist es leichter, die eigene Erfahrung als eine Art „Vergewaltigung Light" abzuspeichern, als sich wirklich mit dem Chaos auseinanderzusetzen, seinen eigenen Vergewaltiger zu lieben. Es ist leichter, seine eigene Erfahrung runterzuspielen, als sie zu akzeptieren. Natürlich bringt das dann wieder eine neue Ebene der Scham mit sich. Es ist immer noch unglaublich schmerzvoll für mich zuzugeben, dass ich bei meinem Vergewaltiger geblieben bin. Es ist sogar noch viel schlimmer zu akzeptieren, dass ich ihn nicht für das hassen kann, was er mir angetan hat, und dass ich eine schöne Zeit mit ihm hatte—abgesehen von dieser ganzen „Ficken obwohl ich das nicht wollte"-Geschichte.

Es ist fast unmöglich, das Wort Vergewaltigung mit jemanden in Verbindung zu bringen, den du liebst. Es ist so, als würdest du die Person betrügen. Wer redet überhaupt über so etwas? Das unglaubliche Schuldgefühl, das einen überkommt, wenn man seinen Ex-Freund als Täter bezeichnet? Wo wird darüber geredet, wie Frauen es schaffen können, mit diesen Gefühlen umzugehen? Einzig und allein durch meine Kontaktaufnahme mit anderen Opfern merkte ich, dass ich nicht die Einzige war, der diese Doppelmoral zu schaffen machte.

Natürlich wusste ich, wie man eine Vergewaltigung definiert—ich versuchte mich nur davon zu überzeugen, dass ich es eigentlich nicht tat. Und das war leichter, als du denkst.

Trotz seiner Weigerung über das zu reden, was geschehen war, wusste ich, dass mein Vergewaltiger sich im Klaren darüber war, was er getan hatte—und das machte es für mich noch schlimmer. Er wusste, dass er mich verletzt, und er machte trotzdem weiter, bis ich schließlich aufhörte, „Nein" zu sagen. Ob er das Gleiche jetzt auch anderen Frauen antun wird, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich bin nie zur Polizei gegangen. Warum? Weil ich mich nie dazu durchringen konnte. Ich wollte nicht alles noch einmal durchleben—diese unglaublich verwirrenden Gefühle, die ich für meinen Ex-Freund hatte, die ich langsam aufarbeitete und die mich noch immer sehr beschämt fühlen lassen. Was die Verantwortung angeht, jede Frau zu „schützen", die er in Zukunft vielleicht genauso verletzen könnte … Ich weiß es einfach nicht. Ich habe erkannt, dass ich auf einer bestimmten Ebene schon etwas machen muss, aber sollte die Entscheidung nicht letztendlich allein bei mir liegen? An welchem Punkt gerät meine eigene Genesung von dieser Geschichte in Gefahr?

Wenn Vergewaltigungen in Beziehungen eine weltweite Epidemie sind, dann ist die Person, mit der du zu Bett gehst, die Krankheit. Lange Zeit dachte ich, dass das etwas ist, das ich einfach aushalten muss. Damit lag ich falsch. Das Gegengift war eine ehrliche und schonungslose Unterhaltung. Meinen Ex-Freund mitten am Tag zu konfrontieren und über das zu reden, was passiert war, zwang mich dazu, mein Martyrium als das anzusehen, was es wirklich war. Und was alle anderen Frauen angeht, die Nacht für Nacht neben ihrem Vergewaltiger geschlafen und versucht haben, das Geschehene und die Liebe, die man für diese Person noch empfindet, zu verstehen: „Reden" ist das Wort, das ich ihnen immer und immer wieder sagen würde. Du musst merken, dass du dir selbst mehr schuldig bist als Schweigen, und den Mund aufmachen. Lasst sie eurer Stimme nicht entkommen. Wenn du über die nötige Kraft verfügst, dann zeige sie an. Kämpfe bis zur vollen Erschöpfung.

Vergewaltigungen können durch nichts abgeschwächt werden— auch nicht durch Liebe oder ein Pflichtgefühl. Das weiß ich jetzt. Mein Vergewaltiger wusste, was er getan hatte, und ich würde behaupten, dass die meisten von ihnen das in irgendeiner Weise wissen. Das ist es ja auch, was das Ganze so schlimm macht, und es ist auch genau der Grund, warum Konsens ein wichtiges Thema unter jungen Menschen werden muss—im Sexualkundeunterricht an der Schule, im Fernsehen und im Internet. Wenn das nicht geschieht, dann weiß ich nicht, wie wir jemals erwarten können, dass sich etwas ändert.

Falls du Opfer einer Vergewaltigung wurdest und etwas unternehmen willst, findest du hier Hilfe und nützliche Hinweise.