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Sex

Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Schwarzer Witwen

Menschen haben eine solche Angst vor Spinnen, dass die Reaktionen auf Prof. Maydianne Andrades Forschungslabor „negativer als bei Strahlenforschung" waren.

Westliche Schwarze Witwe. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Ken Jones

Im Andrade-Labor der University of Toronto wirft sich eine Grille in dem verzweifelten Versuch, dem sicheren Tod zu entkommen, zu Boden. Biowissenschaftsstudentin Humza Raza hebt sie mit einem Stirnrunzeln auf und reißt ihr ein Bein ab, bevor sie sie einer australischen Rotrückenspinne hinwirft, einer der tödlichsten Witwenspinnen der Welt. Die Rotrückenspinne wird kurzen Prozess daraus machen und die Innereien der Grille verflüssigen, sodass nur noch eine ausgetrocknete Hülle zurückbleibt.

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Die Gattung Latrodectus (die sogenannten Echten Witwen) umfasst etwa 30 Spezies, alle mit Nervengift ausgestattet. Ein einziger Biss kann zu Übelkeit, Atemknappheit, Fieber, Krämpfen und, in Extremfällen, zum Tod führen. Professor Maydianne Andrades Labor für die Verhaltensökologie der Paarung beherbergt Tausende der kultumwobenen Schwarzen Witwen und ist somit eines der gefährlichsten Tierlabors in Kanada.

Die Erforschung dieser Spezies, mit ihren oft verblüffenden und kontraintuitiven Verhaltensweisen, ist äußerst wichtig, um die Funktionsweise der Evolution und den Einfluss der sexuellen Selektion darauf zu verstehen. „Dadurch können wir Theorien gewinnen, die sich auf alles Mögliche anwenden lassen", sagt Andrade. „Denn es geht nicht nur um das seltsame Sexualleben von Spinnen. Wir könnten daraus vielleicht etwas Allgemeines darüber lernen, wie die Welt funktioniert."

Das Labor erforscht alle Aspekte des Fortpflanzungsverhaltens von Spinnen—von der Frage, wie sehr Tendenzen wie Kühnheit und Gefräßigkeit die Partnerauswahl bestimmen, bis hin zu mütterlichen Schutzinstinkten (die Forscher müssen manchmal mit der weiblichen Schwarzen Witwe „tauziehen", wenn sie ihr Eipaket entfernen wollen). Die Forschungsarbeit der Wissenschaftler, die sich mit dem Paarungsverhalten männlicher und weiblicher Schwarzer Witwen beschäftigen, hat in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit bekommen. Eine vor Kurzem in Animal Behavior veröffentlichte Arbeit dokumentierte die Rolle, die Pheromone dabei spielen, Männchen zur Paarung mit Weibchen zu animieren, obwohl sie dabei Gefahr laufen, gefressen zu werden.

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Weibliche Westliche Schwarze Witwe

Andrade erzählt, als sie ihr Verhaltensforschungslabor 2000 einrichtete, seien die Reaktionen negativer gewesen als wenn es sich um ein Strahlungslabor gehandelt hätte. Es herrschte Angst, dass die Spinnen überall im Zimmer hängen und ins Gebäude entkommen würden, was auf die tiefsitzende, allgemeine Angst vor Spinnen zurückzuführen sei. „Die Leute halten sie für intelligent", sagt sie von den berüchtigten Spinnen. „Sie glauben, die Spinnen sind hinter ihnen her." Die Beschwerden nahmen erst ein Ende, als deutlich wurde, wie vorsichtig Andrade war (vermutlich hilft es auch, dass das Reinigungspersonal nicht die Käfige reinigen muss).

Dank ihrer gewissenhaften Einhaltung aller Vorschriften wurde Andrade noch nie gebissen (allerdings sind umliegende Krankenhäuser über die Existenz des Labors informiert und haben Zugang zum Gegengift). Sie hat eine strenge Null-Toleranz-Haltung gegenüber Fäden oder Netzen außerhalb der Testbehälter, und jeder Ausbrecher wird sofort gemeldet und vernichtet. Die Studentinnen und Studenten tragen Latexhandschuhe und weiße Laborkittel mit zugeknöpften Ärmeln. „Die wirkliche Gefahr ist eine etablierte Population irgendwo im Gebäude. Also staubsaugen wir die Räume jede Woche, auch wenn wir nichts sehen—wenn sie plötzlich Schwarze Witwen im Treppenhaus haben, dann werden alle wissen, wo sie herkamen."

Vor allem wenn die Schwarzen Witwen paarungswillige, kannibalische Weibchen sind.

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Viele Witwen sind kannibalisch; ein Rotrückenmännchen katapultiert sich während der Paarung oft in den Mund des kannibalischen Weibchens. Dieses sexuelle Opfer soll versichern, dass wenigstens sein Erbgut weiterlebt. Männchen „tanzen" außerdem beim Werben um ein Weibchen, wobei sie ihr Durchhaltevermögen mit stundenlangem Vibrieren auf dem Netz demonstrieren. Wenn dem Weibchen dies nicht gefällt, werden auch sie verspeist. In der Spinnenwelt haben die Weibchen die ganze Macht.

Rotrückenspinne

Andrade betont, welche Anstrengung die Männchen auf sich nehmen, um zu kopulieren. Sie sind meist kleiner und weniger widerstandsfähig als die Weibchen, und es ist schon sehr anstrengend für sie, überhaupt nur die Netze der Weibchen ausfindig zu machen. Ironischerweise sehen sie nicht besonders gut—sie haben acht (beschissene) Augen—und so verlassen sie sich auf Pheromone, die sie mit den Rezeptoren in ihren Beinen „schmecken". Ein Männchen klettert auf einen hohen Punkt und wedelt mit den Vorderbeinen—es schnuppert sozusagen nach einem Weibchen.

„Wenn das Männchen die Pheromone registriert, fängt es nicht nur an zu werben—wozu auf dem Netz wippen gehört—, sondern es versucht außerdem, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass andere Männchen das Weibchen finden werden, und das tut es, indem es die Spinnenseide zerschneidet, zusammenknüllt und seine eigene Seide darum wickelt. Manchmal geht das so weit, dass das Weibchen in einer Ecke festsitzt und ihr Netz zerstört ist."

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„Und sie frisst ihn dann nicht einfach?"

„Weibchen scheinen das bei Männchen, mit denen sie sich paaren wollen, zu tolerieren."

„Weil die Weibchen zwei Paarungsorgane haben, befruchtet er beide Organe bei zwei getrennten Kopulationen." Das Rotrückenmännchen nähert sich einem Weibchen das erste Mal, sie fängt an, ihn zu fressen, dann lässt er von ihr ab, umwirbt sie wieder, und geht zurück, um ein zweites Mal zu kopulieren—und sich fertig auffressen zu lassen. „Wenn er nicht lange genug wirbt, dann tötet sie ihn nach nur einer Paarung. Und dann ist es wahrscheinlicher, dass sie sich mit einem Rivalen paaren wird."

In einem Experimentierraum zieht Andrade einen Tupperware-Behälter aus einem Stapel in einem Regal und hebt den Gitterdeckel. Ich zucke zusammen und beäuge das Weibchen, das im Inneren in ihrem behelfsmäßigen Netz lauert. Dieses hier ist wohlgenährt (das Labor erhält wöchentlich 1.500 Grillen für die Fütterung), doch die meisten können bis zu sechs Monate ohne Nahrung überleben. „Deswegen sind sie auch invasiv", sagt Andrade. „Sie können in einer Kiste landen und irgendwohin verschifft werden, und selbst wenn in der Zwischenzeit Monate vergehen, können sie sich nach der Ankunft sofort fortpflanzen." Sie sind oft blinde Passagiere in Traubenkisten aus Kalifornien.

Das Labor hat angefangen zu erforschen, wie eine Störung der Netze die Persönlichkeit individueller Spinnen erkennen lässt; zum Beispiel brauchen manche länger als andere, um wieder aus ihrem Rückzugsort zu kommen, wenn ihr Netz gerüttelt wurde. Andrade zeigt auf die pinkfarbenen Sexspielzeuge in dem Experimentierraum. „Wir haben Vibratoren, um die Netze zu stimulieren. Es ist eigentlich eine sehr gute Methode, um regelmäßige, vorhersehbare Impulse zu geben. Wir verbinden es mit entsprechender Elektronik, um sie zu einem bestimmten Zeitpunkt oder für eine bestimmte Dauer zu aktivieren, und wir können die entstandenen Vibrationen messen. Wir hatten hier schon ein paar sehr unterhaltsame Momente mit persönlichen Stimulationsgeräten." Diese wiederholbaren Impulse können verwendet werden, um zu untersuchen, ob die Spinnen mit wiederholbarem Verhalten reagieren.

Westliche Schwarze Witwe

Andrades Forschung führte sie zur Spinnenbeobachtung nach Western Australia, wo sie oft mitten in der Nacht alleine unter Netzen lag, mit einer roten Stirnlampe als einziger Lichtquelle. Einmal, als sie bereits stundenlang unter einem Netz lag, spürte sie ein plötzliches Stechen in ihrer Schulter. Sie hatte etwa eine halbe Stunde lang Panik, bevor sie feststellte, dass es nur ein Splitter war. Doch selbst das war nicht genug, um Andrade aufzuhalten. Die Männchen ihrer eigenen Spezies waren die eigentliche Gefahr.

„Ich bin auch ein seltener Phänotyp—es gibt dort nicht viele schwarze Menschen—und dazu eine Frau, die nachts alleine draußen ist", erinnert sie sich. „Es gab mehr als eine Nacht, in der ich mein Fahrrad von der Straße zog und mich im Gebüsch versteckte, als ein Auto vorbeifuhr.

„Die Spinnen waren nie meine Sorge. Ich hatte mehr Angst vor den Menschen."