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Eine SVP-Nationalrätin scheint Kiffen schlimmer zu finden als Scientology

Im Dachverband Drogenabstinenz Schweiz machen fundamentale Christen, Rechts-Aussen-Gruppierungen und die eine oder andere Sekte gemeinsame Sache.
Foto: GanMed64

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund", so geht das Sprichwort. Das ist nicht komplett falsch. Wenn die USA mit kurdischen Peschmerga-Kämpferinnen gegen den IS kollaborieren zum Beispiel, dann macht das durchaus Sinn—soweit ich die Lage überblicken kann. Dann stellt man allfällige Differenzen für ein gemeinsames Ziel hintan, weil man Letzteres als notwendiger und dringlicher empfindet.

Auch in der Schweiz gibt es solche Allianzen, etwa in der Schweizer Anti-Drogen-Szene, wie der Tages-Anzeiger gestern berichtete. Im Dachverband Drogenabstinenz Schweiz sammeln sich verschiedenste Gruppierungen mit dem auf den ersten Blick hehren Anliegen, präventiv über Drogen aufzuklären. Unter dem Präsidium der Berner SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler finden sich dort aber nicht (oder nicht nur) allgemein bekannte Organisationen wie Das Blaue Kreuz oder die Suchthilfe, sondern auch Vereinigungen mit einem, sagen wir mal, zwielichtigen Hintergrund.

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Oder um es klar zu sagen: Eine SVP-Parlamentarierin macht gemeinsame Sache mit fundamentalen Christen (Pro Life und Der Neue Rütlibund), Ablegern der Psycho-Sekte VPM (Jugend ohne Drogen) und Scientology (Sag Nein zu Drogen). „Ich frage nicht danach, was Mitglieder glauben oder in welcher Organisation sie aktiv sind", lässt sich Geissbühler im TA zitieren. Und sagt damit indirekt: Wenn sie meine Ansichten zu Drogen teilen (was nicht alle SVPler tun), paktiere ich auch mit dem sprichwörtlichen Teufel.

Kollaborieren heisst legitimieren

Wie vorher geschrieben ist es an sich nur zu begrüssen, wenn Menschen Differenzen vernachlässigen, um gemeinsam etwas zu erreichen, ja, es ist vermutlich sogar die Grundidee unserer auf Konsens und Konkordanz ausgerichteten Demokratie. Die Sache steht über der Ideologie. Was man sich, geht man solche Koalitionen ein, aber immer fragen muss: Billigt der Zweck wirklich dieses Mittel? Ist das Drogenproblem in der Schweiz so akut, dass man mit undurchsichtigen, eine eigene Agenda verfolgenden Organisationen kollaborieren darf? Ist Kiffen zum Beispiel schlimmer als Scientology?

Foto von N.ico | Flickr | CC BY 2.0

Ein „Ja" auf diese Antwort wäre, mit Verlaub, nicht nur völliger Quatsch, sondern auch brandgefährlich. Denn: Erstens verleiht man diesen Gruppierungen (Scientology und VPM), die von Experten reihum als Sekten mit klar totalitären Zügen eingestuft werden, ein gewisses Stück Legitimität. Zweitens macht man sich damit zu deren potentiellem Sprachrohr derselben und drittens serviert man ihnen damit die Möglichkeit für Missionierung und Indoktrination auf dem Silbertablett.

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Sind nicht gerade diejenigen Menschen, welche die Drogenprävention anpeilt, genau die Leute, auf die es auch Sekten abgesehen haben? Da suchen zum Beispiel besorgte Eltern verunsichert nach Rat, weil ihr Sohn oder ihre Tochter ab und zu einen Joint drehen, rufen bei Sag Nein zu Drogen an, die zeigen sich von ihrer fürsorglichsten Seite und wenn es blöd kommt, halten sie kurze Zeit später surrende Dianetik-Stäbe in der Hand (und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland).

Das muss zwar nicht unbedingt passieren, aber wenn wir ehrlich sind, ist es sehr gut möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Denn, wenn christliche Entwicklungshelfer nicht nur Kleider und Medikamente nach Afrika bringen, sondern auch Bibeln und Weihwasser, warum sollten genau dasselbe als gefährlicher eingestufte Sekten nicht auch tun?

Drogentherapie als Einstieg

Und tatsächlich: Bereits 2001 scheint Scientology in Seebach eines ihrer Drogen-Infocenter mit Namen Narconon gegründet zu haben. Die dort praktizierte Entzugstherapie ist mehr als umstritten, wie der Spiegel schon Anfang 1990er berichtete. Sie wird als Einstiegsweg in die Sekte bezeichnet und könnte sogar zu Todesfällen in den USA geführt haben. Dennoch existiert Narconon noch immer, mittlerweile mit Sitz in Hermetschwil.

Dass auf deren Homepage die Info-Broschüren von Sag Nein zu Drogen zu finden sind, dürfte dabei genauso wenig ein Zufall sein, wie dass in einem Artikel des Tages-Anzeiger aus dem Jahr 2001, welchen der deutsche Sektenexperte Thilo Heinemann auf seiner Homepage zitiert, die Namen Housi Knecht und Stefan Burkart auftauchen. Damals als Sympathisanten von Scientology-Gründer Hubbard erwähnt, sind der Berner Künstler und der Ex-Leichtathlet heute Sektionsleiter bei Sag Nein zu Drogen.

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Foto von Scientology Media | Flickr | CC BY 2.0

Dass die SVP gerne mit erzkonservativen, streng christlichen Vereinigungen zusammenspannt, wenn es um gesellschaftliche Themen wie Abtreibungsgesetze oder Homo-Rechte geht, ist bekannt. Dass sich ein Fraktionsmitglied mittlerweile aber nicht einmal mehr vor Anbandelungen mit einer Gruppe scheut, die laut infosekta „möglichst viele Menschen für ihre Doktrin gewinnen" will und „von ihren Mitgliedern absoluten Gehorsam" fordert (und damit ist nicht einfach die Parteilinie gemeint) hinterlässt doch ein mulmiges Gefühl.

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund", lautet das Sprichwort. Das ist nicht komplett falsch. Doch wenn Freunde zwielichtige Dinge tun, dann muss man sich dazu positionieren, davon distanzieren und genau das sollte die SVP jetzt schleunigst tun. Denn auch wenn Drogensucht ein ernstes Problem ist, dass man anpacken muss: Kiffen ist nicht schlimmer als Scientology.

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Titelbild: GanMed64 | Flickr | CC BY 2.0