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Die Inhalte der ORF-TVthek sollten nicht nach 7 Tagen gelöscht werden

Die künstliche "Haltbarkeit" von Videos ist nicht nur eine lächerliche Einflussnahme der Parteien; sie widerspricht auch dem Bildungsauftrag des ORF.

Foto: Screenshot via tvthek.orf.at

Stellen wir uns vor, die TVthek hätte für Videos kein "Haltbarkeitsdatum" von 7 Tagen. Würde sich irgendjemand dafür starkmachen, es einzuführen? Wäre irgendwer wirklich bereit, sich aktiv für eine künstliche Verfallszeit auszusprechen, damit Videobeiträge nach ein paar Tagen in der Versenkung verschwinden?

Bei YouTube und Netflix ist jedenfalls noch niemand auf diese Idee gekommen. Diese strikte Beschränkung des eigenen On-Demand-Services wirkt nicht nur seltsam, sondern ist wirklich eine österreichische Spezialität im internationalen Vergleich.

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Die European Broadcasting Union (EBU), ein Zusammenschluss von 40 öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, teilte VICE mit, dass 70 Prozent ihrer Mitglieder ein Zeitlimit von 30 Tagen oder mehr für On-Demand-Inhalte haben. 15 Rundfunkanstalten kennen gar kein Limit, erklärt die EBU; darunter zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Sender aus Spanien, Türkei, Litauen, Estland und die Niederlande.

Auch die BBC hat 2014 ihr Limit von 7 auf 30 Tagen erhöht. In Italien hat RAI zwar offiziell 7 Tage als Limit, die meisten Inhalte sind aber in einem anderen RAI-Service gratis und zeitlich unbegrenzt konsumierbar. Nur das französische Fernsehen ist mit der ORF-Beschränkung vergleichbar—mit dem Unterschied, dass man in Frankreich nach 7 Tagen die Inhalte weiterhin abrufen kann, dann aber nur kostenpflichtig.

SPÖ, ÖVP und FPÖ verbieten dem ORF, seine Videos länger als 7 Tage online zu stellen. Selbst umgehen die Parteien dieses Verbot, indem sie ORF-Sendungen auf Facebook und YouTube hochladen. Der ORF schaut zu. Wollen wir noch weiter über die parteipolitische Unabhängigkeit des ORF diskutieren?

Fragt man nach den Gründen für die 7-Tages-Frist, bekommt man Antworten, die nicht wirklich zufriedenstellend sind. "Weil es das Gesetzt vorsieht", gibt der ORF auf Anfrage knapp bekannt. Das ist insofern nicht schlüssig, weil es die TVthek und die 7-Tages-Frist seit 2009 gibt—die Novelle des ORF-Gesetzes, in der das Limit festgeschrieben wurde, gibt es allerdings erst seit 2010.

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Bekannt ist, dass die Online-Aktivität des ORF dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) ein Dorn im Auge war und ist. Beim VÖZ konnte mir aufgrund der Urlaubszeit leider niemand erklären, ob der Verband nur gegen die Vermarktung von TV-Inhalten im Netz ist (Werbung in der TVthek) oder auch gegen eine Ausweitung der zeitlichen Frist. Möglich ist beides; immerhin lobbyiert der VÖZ gegen nahezu alles, was der ORF im Netz macht.

Wollte der Gesetzgeber dem VÖZ mit der 7-Tages-Frist einen Gefallen tun? Bisher war das immer nur ein weit verbreitetes (und großflächig akzeptiertes) Gerücht in der Medienbranche. Wir wollten es aber von denjenigen wissen, die es beschlossen haben, und schickten eine Anfrage mit Bitte um Stellungnahme an alle Mediensprecher der Parlamentsparteien. SPÖ, ÖVP und FPÖ waren die Parteien, die das ORF-Gesetz beschlossen haben. Leider antwortete von diesen drei nur die ÖVP in Person von Generalsekretär Peter McDonald:

"Es wurde hier eine praxistaugliche Regelung getroffen, die dem ORF ein marktgerechtes Angebot im Onlinebereich ermöglicht, aber auch dem strengen europäischen Beihilfenrecht entspricht und damit einen fairen Wettbewerb sicherstellt. Für eine Ausweitung der 7-Tages-Frist sehen wir aktuell keinen dringenden Reformbedarf."

Die ÖVP will den ORF also mit der Frist einschränken, damit die Website nicht zu viele Zugriffe (und Werbeeinnahmen) generiert. Nur leider funktioniert das nicht, wie ein schneller Blick auf YouTube und Facebook zeigt. Dort finden sich tausende Stunden von ORF-Content, der Werbeeinnahmen in die US-Unternehmen spült. McDonald dazu: "Eine illegale Verbreitung der Inhalte lässt sich technisch nur schwer unterbinden, ändert aber an den gesetzlichen Bestimmungen nichts."

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Wie wenig ernst die ÖVP ihre eigene Position nimmt, erkennt man, wenn man sich das eigene Verhalten der Partei ansieht. Die Bundespartei sowie hochrangige ÖVP-Politiker laden regelmäßig ORF-Videos von der TVthek runter und auf Facebook hoch. Sie umgehen damit also aktiv die von ihnen selbst geschaffene 7-Tages-Frist.

Die anderen Parteien, die das Limit miteingeführt haben, sind nicht zurückhaltender. Im Gegenteil. Die SPÖ lädt etwa systematisch Reden von SPÖ-Abgeordneten, die ORF III filmt, auf YouTube hoch. In der Playlist "Nationalrat" finden sich derzeit 84 Videos.

Das ist der Mediensprecher der SPÖ in einem ORF-Video auf YouTube.

Und ja, richtig geraten: Die FPÖ hat den Video-Klau erfunden und perfektioniert. Heinz-Christian Strache verwendet auf Facebook etwa ein ORF-Video, um gegen den "miesen Journalismus des rot-grünen ORF" zu wettern und postet einen Zusammenschnitt der besten Aussagen (Spoiler: gemeint sind ausschließlich seine) von Im Zentrum.

Kann man gegen dieses absurde Ausmaß des Content-Klaus nichts unternehmen? Natürlich könnte man. Eine Urheberrechtsklage würde ausreichen. "Der ORF beobachtet die diversen Plattformen und geht auch gegen Rechtsverletzungen vor", erklärt der ORF auf Anfrage.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich auf Straches Facebook-Seite ORF-Videos von 2009 (!) finden und bisher noch keine Klage des ORF bekannt wurde, darf man am Ehrgeiz der ORF-Rechtsabteilung in dieser Sache zumindest zweifeln. Was lernen wir daraus? SPÖ, ÖVP und FPÖ verbieten dem ORF, seine Videos länger als 7 Tage online zu stellen. Selbst umgehen die Parteien dieses Verbot, indem sie ORF-Sendungen auf Facebook und YouTube hochladen. Der ORF schaut dabei zu. Wollen wir noch weiter über die parteipolitische Unabhängigkeit des ORF diskutieren?

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Außerdem geht die grundsätzliche Intention, nämlich der Interessenschutz des VÖZ, verloren. Die Zeitungen wollen ungerechte Bevorteiligung des ORF unterbinden und selbst online viele Views abstauben, die aber dank der illegal verbreiteten ORF-Videos zu den US-Seiten Facebook und Google wandern. Das kritisiert auch der Grünen-Mediensprecher Dieter Brosz, der uns Folgendes geantwortet hat:

"Ich konnte schon damals nicht nachvollziehen, weshalb ein mehr als 7 Tage alter Beitrag die Interessen des VÖZ beeinträchtigen könnte. Ich bin für einen unbefristeten Zugriff. Das wäre mit Sicherheit im Interesse sehr vieler GebührenzahlerInnen."

Das ist der Mediensprecher der Grünen in einem ORF-Video auf YouTube.

NEOS-Mediensprecher Niko Alm (der auch als General Counsel der VICE CEE agiert, aber seine Funktionen beim Medium VICE seit mehreren Jahren zurückgelegt hat) wünscht sich grundsätzlich eine Nicht-Einmischungspolitik bei der Führung von Medienhäusern:

"Ich bin natürlich gegen eine 7-Tage-Frist: nach Möglichkeit sollten die (verwertungs)rechtlichen Bedingungen soweit ausgenützt werden, um die Angebote möglichst dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Dabei muss ein Medienhaus natürlich auch die Kostenseite im Auge haben—sofern diese für die Frage relevant ist."

Das ist der Mediensprecher der NEOS in einem ORF-Video auf YouTube.

Was die Kosten betrifft, erklärt der ORF, dass es eine "technische, finanzielle und lizenzrechtliche Herausforderung" wäre, das TV-Programm für längere Zeit online zu stellen. Zahlen nennt das Unternehmen keine. Eine Verlängerung des Limits hat der Sender nichtsdestotrotz schon öfter selbst gefordert.

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2012 berichtete die Futurezone: "Die 7-Tages-Frist der TVthek soll fallen". 2014 schwärmte ORF-Online-Chef Thomas Prantner in einem Wirtschaftsblatt-Interview über die "Erfolgsstory TVthek", die eine Zukunftshoffnung für junge Seher sei: "Der Trend im Medienkonsumverhalten geht weiter stark in Richtung zeit- und ortsunabhängiger Nutzung von TV"—ein Argument für eine längere Abruf-Dauer. 2016 scheint Prantner diesen Plan aufgegeben zu haben; dem Standard erklärt er, die finanziellen Aufwendungen, die das Lobbying dafür verschlingen würde, stünden in keiner Relation zum Zuseher-Interesse an einer längeren Nutzung.

In diesem Zusammenhang verweisen die Beteiligten oft darauf, dass ein zwei Wochen alter Tatort niemanden interessieren würde und die Sache mit den Ausstrahlungslizenzen fürchterlich kompliziert sei. Dabei ist das gar nicht das Thema. Niemand hat je gefordert, dass The Big Bang Theory, Hollywood-Blockbuster oder internationale Produktionen unbegrenzt online gestellt werden sollten. Es geht um wirkliche ORF-Inhalte aus den unzähligen Informationssendungen. Dort schlummert und verstaubt ein Schatz.

Es gibt weder ein Medium, noch eine Institution, die die Nachkriegsgeschichte Österreichs derartig umfassend dokumentiert hat, wie der ORF. Beim Gedanken an das Jahrzehnte umfassende ORF-Archiv bekommen nicht nur Bibliothekare und Museumsliebhaber ein feuchtes Höschen. Stellt euch vor, ihr könntet die ZiB vom 9. 11. 2001 noch einmal sehen, die ersten TV-Auftritte von Jörg Haider bingewatchen, erfahren, wie in den 80ern Passanten über die Nazi-Zeit dachten, Bruno Kreiskys Reden lauschen, die allerersten TV-Sendungen aus 1955 sehen und über 90er-Berichte über das WWW lachen.

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Wenn man den öffentlich-rechtlichen Kernauftrag liest und die Gedanken etwas schweifen lässt, gibt es kaum etwas, das diesen Auftrag so gut ergänzen würde, wie ein umfassendes Online-Archiv.

Der ORF hat das auch teilweise erkannt und versucht sein Archiv gesetzeskonform in Form von Projekten ("ORF-TVthek goes school") zu öffnen. Unter tvthek.orf.at/archive sammelt der ORF seit 2014 historische Sendungen zu 26 Themen für den Schulunterricht. Ein anderes Projekt ist eventuell noch vielversprechender. Gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien hat der ORF eine Archiv-Außenstelle eröffnet, in der Wissenschaftler 500.000 Stunden ORF-Programm und 5,5 Millionen Dokumente begutachten können.

Warum darf der ORF diesen Schatz nicht allen Bürgern zugänglich machen? Immerhin haben wir, allesamt brave GIS-Zahler, diese Sendungen ermöglicht. Dieses Bewusstsein, dass der ORF "unser Medium" ist, wäre in den Debatten, die wir nun dank der ORF-Wahl führen, vielleicht grundsätzlich hilfreich. Der ORF "gehört" uns allen. Am kollektiven Content-Klau erkennt man jedoch, wie sehr die Parteien den ORF als ihr Medium und Spielball begreifen. Wenn sie schon meinen, die Ausstrahlung im Internet zeitlich begrenzen zu müssen, dann sollten sie sich zumindest auch selbst daran halten.

Andernfalls: Möchte vielleicht jemand alle Parlamentsparteien auf die Urheberrechtsverletzungen der vergangenen 7 Jahre verklagen? Mit dem gewonnenen Geld könnte man bestimmt ein, zwei Serverfarmen für ein ORF-Online-Archiv kaufen.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner