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The Uganda Love This Issue

Wie man mit einem Mord davonkommt

Ein US-Soldat hat auf den Philippinen mutmaßlich eine Transfrau getötet. So wie es aussieht, wird er nicht bestraft—in jedem Fall aber zeigt Jennifer Laudes Tod, was Normalität für Transsexuelle wirklich bedeutet.

Foto oben: Subic Bay in den Philippinen wurde 2012, zwei Jahrzehnte nach der Schließung des US-Marinestützpunkts, zum semipermanenten Hafen für US-Schiffe. Die USS Peleliu, das Schiff auf dem der des Mordes an Jennifer Laude angeklagte Joseph Pemberton stationiert war, ging dort letzten Herbst vor Anker. Fotos: Meredith Talusan

Am 11. Oktober des letzten Jahres genossen die auf der USS Peleliu stationierten US-Marines ihren ersten Abend in Freiheit, seit ihr amphibisches Angriffsschiff der Tarawa-Klasse in Subic Bay angelegt hatte, wo sie mit den philippinischen Streitkräften auf der Insel Luzon gemeinsame Übungen abhielten. Private First Class Joseph Scott Pemberton, ein 19-jähriger ehemaliger Profiboxer aus New Bedford, Massachusetts, ging voller Vorfreude mit seinen Waffenbrüdern Bennett Dahl, Daniel Pulido und Jairn Rose von Bord. Sie machten sich auf den Weg zu dem Einkaufszentrum Harbor Point im nahegelegenen Olongapo, das sich auf dem Gelände des früheren US-Marinestützpunkts Subic Bay befindet. Dieser war 1992 nach einem gewaltigen Vulkanausbruch und einer Welle philippinischen Nationalismus geschlossen worden. Nach einem späten Mittagessen und ein wenig Shopping im Einkaufszentrum machte sich die Gruppe auf den Weg zu den engen Gassen und gelockerten Regeln um den Magsaysay Drive, 800 Meter von dem früheren Stützpunkt entfernt.

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Im Ambyanz Night Life fanden ein paar von ihnen, was sie an jenem Abend suchten. Der Club war ein beliebter Treffpunkt für Sexarbeiterinnen, die als Pocahontase bekannt sind. Die Bezeichnung ist abgeleitet von pok-pok, einem Tagalog-Wort für Schlampe, und spielt gleichzeitig auf die früheren Kolonialherren an, die so oft ihre Kunden sind. Die forschesten dieser Frauen—jene, die sich schnell an die Arme der Männer hängen, die von den Schiffen strömen—sind oft trans­gender, doch die ausländischen Soldaten erfahren das selten. „Filipinos sind mehr an uns gewöhnt, deswegen erkennen sie es manchmal", sagte mir eine Trans-Pocahontas. „Manchmal verraten sie uns bei den Ausländern. Dann hauen wir ab." Auf der blau beleuchteten Treppe des Clubs, an dessen Wänden schiefe Spiegel hingen, traf Pemberton Jennifer Laude, eine bildschöne Transfrau mit Schlafzimmerblick, die seit etwa sechs Jahren mit Unterbrechungen als Pocahontas arbeitete. Einige Monate zuvor hatte sie sich mit ihrem deutschen Freund, Marc Süselbeck, verlobt. Laude hatte eigentlich schon bei ihm in Duisburg sein wollen, doch Deutschland hatte ihr das Einreisevisum verwehrt. Obwohl Laude das Geld nicht mehr so dringend brauchte wie früher—Süselbeck schickte ihr regelmäßig Unterhalt—war der Reiz des Wettbewerbs für sie dennoch ein fester Bestandteil der Zusammenkünfte mit ihren Freundinnen. Laut ihrer Mitbewohnerin Jamille fand sie, wenn sie schon mal aus sei, dann könne sie auch gleich Kunden annehmen, „nur so zum Spaß". Die Frauen hatten seit dem Beginn des Freigangs der Soldaten am Nachmittag gearbeitet, und als Laude um 22:45 Uhr Pemberton traf, hatte sie bereits drei Kunden gehabt. „Jennifer war erschöpft", sagte Charis, eine weitere Freundin. „Wenn die Soldaten hier sind, arbeiten wir so hart wir können."

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Nur ein paar Minuten nach ihrer Begegnung gingen Pemberton und Laude zusammen mit Laudes Freundin Barbie Gelviro in die Celzone Lodge, ein Motel auf der anderen Straßenseite. „Sie ging nie alleine mit einem Typen mit", sagte Gelviro. „Sie bat immer eine von uns mitzukommen, damit wir wussten, wo sie ist." Im Motel buchten Pemberton und Laude Zimmer 1 neben der Rezeption. Es gab nicht viel mehr als ein Bett fürs Geschäft und einen Fernseher, um die Geräusche zu übertönen. Gelviro blieb ein paar Minuten, um bei der Verhandlung um den Preis zu helfen. Laude schlug 5.000 Pesos vor, doch Pemberton wollte nur 1.000 bezahlen—etwa 20 Euro. Weil Gelviro keine Implantate hatte, befürchtete Laude, Pemberton könnte merken, dass die Mädchen trans waren. Also willigte sie schnell in den niedrigeren Preis ein und scheuchte ihre Freundin aus dem Zimmer.

Auf dem Weg nach unten traf Gelviro einen Mann, der Zimmer 5 gebucht hatte, zwei Stockwerke über Laude. Sie flirtete mit ihm und fragte ihn, ob er vielleicht für eine Stunde ihre Gesellschaft wolle. Er wusste, dass Bezahlung erwartet war; einem Mann in Olongapo ist das klar, wenn sich am Samstagabend ein Mädchen an ihn ranmacht. Sie wurden sich einig und gingen zurück auf sein Zimmer, wo sie sich bis auf ihre enge Unterwäsche auszog. Dann machte sie das Licht aus.

Etwa 30 Minuten, nachdem die Gruppe in dem Motel eingetroffen war, verließ Pemberton ohne Eile alleine das Zimmer, wobei er die Tür leicht angelehnt ließ. Er schien gelassen, als er an der Rezeption vorbei, die Stufen hinunter- und in die Nacht hinausging. Seine Sperrstunde rückte schnell näher, und er und seine Schiffskameraden mussten zurück. Dahl, Pulido und Rose suchten bereits panisch nach ihm, doch vergebens. Pulido beschloss letztendlich, dass sie ein Taxi nehmen und ohne Pemberton zum Schiff zurückkehren würden. Sie kamen um 00:10 Uhr an, und der aufsichtshabende Offizier, Corporal Christopher Miller, hielt ihnen für ihre Verspätung eine Standpauke. Er wurde noch wütender, als er sah, dass Pemberton nicht bei ihnen war. Als dieser mitten in der Unterhaltung auftauchte, erklärten die Soldaten, sie hätten sich verspätet, weil sie einander gesucht hätten. Miller, dem bekannt gewesen sein wird, welchen Aktivitäten die Männer beim Landgang nachgingen, entschied sich, sie in jener Nacht nicht weiter zurechtzuweisen, und entließ sie zu Bett.

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Kurz bevor sie schlafen gingen, bat Pemberton Rose um ein Gespräch unter vier Augen. Sie gingen zum Bug des Schiffs und Pemberton erzählte Rose, er habe zwei Mädchen im Ambyanz getroffen und sei mit ihnen in ein Motel gegangen. Nachdem eine von ihnen gegangen sei, habe das andere Mädchen angefangen, sich auszuziehen. Da habe er gesehen, sagte Pemberton, dass „es" einen Schwanz hatte.

Er sei so wütend geworden, sagte er Rose, dass er „es" von hinten gewürgt habe. Als der Körper sich nicht länger bewegte, habe er ihn ins Badezimmer geschleift und sei gegangen. Zuerst dachte Rose, sein Freund wolle ihn auf den Arm nehmen, doch Pemberton versicherte ihm, es ernst zu meinen. „Ich glaube, ich hab einen Shemale getötet", sagte Pemberton.

Der Page und Rezeptionist des Motels, Elias Galamos, wartete ein paar Minuten, nachdem Pemberton gegangen war, bevor er in das Zimmer ging, um es in Ordnung zu bringen. Er fand Laudes regungslosen Körper in die beige Moteldecke gewickelt und über die Toilettenschüssel gekrümmt. Ohne zu wissen, ob sie tot oder bewusstlos war, lief Galamos nach oben, um Gelviro zu finden, und rannte dann die anderthalb Blocks zur örtlichen Polizeiwache. Als Gelviro in das Zimmer kam, war die Polizei schon eingetroffen, direkt gefolgt von einem Team des Naval Criminal Investigative Service (NCIS), der Strafverfolgungsbehörde der US-Marine, die anscheinend informiert worden war, dass ein amerikanischer Militärangehöriger verwickelt sein könnte, noch bevor Pemberton sein Geständnis gegenüber Rose gemacht hatte.

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Kurz nach Mitternacht fuhr die Polizei Laudes Leiche in das weniger als einen Kilometer entfernte Bestattungsunternehmen St. Martin's Funeral Home. Gelviro schickte eine SMS an Laudes mittlere Schwester Michelle, die zufällig gerade selbst mit Freundinnen im Ambyanz war. Zusammen gingen sie zur Leichenhalle, wo Michelle unter Tränen Laudes Leiche identifizierte. Die Polizei führte eine Autopsie durch und übergab die Leiche am folgenden Abend der Familie. Als Todesursache wurde Ertrinken in der Toilettenschüssel festgehalten.

Man identifizierte Pemberton sofort als Hauptverdächtigen: Die Überwachungsvideos des Nachtclubs zeigten, dass er mit Laude gegangen war, und Gelviro sprach am Tatort mit der Polizei und identifizierte ihn später auf einem Foto. „Er war es", sagte Gelviro und zeigte auf Pembertons Bild. „Ich träume von ihm." Die philippinischen Behörden behaupteten, sie seien dabei, Beweismaterial gegen Pemberton zu sammeln, doch weder verhörten sie ihn, noch erwirkten sie eine eidesstattliche Erklärung mit seinen Aussagen zu jener Nacht. Die Amerikaner beriefen sich auf ihre Rechte unter dem Visiting Forces Agreement (VFA), das die Aktivitäten des US-Militärs in den Philippinen regelt, und weigerten sich, ihn aus ihrem Gewahrsam auf der USS Peleliu zu entlassen. Jennifers Mutter Julita, die eine 24-stündige Busreise aus der Provinz Leyte auf sich genommen hatte, um bei ihren zwei verbliebenen Töchtern Marilou und Michelle zu sein, war aufgebracht über die Untätigkeit der Behörden.

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Die Berufung auf das VFA und Pembertons scheinbare Immunität weckte bei vielen Filipinos einen schon lange gehegten Groll. Nur ein einziges Mal war bisher ein amerikanischer Soldat unter dem VFA vor Gericht gekommen. 2005 wurde Daniel Smith, ein Lance Corporal der in Olongapo stationierten Marines, der Vergewaltigung einer Filipina namens Suzette „Nicole" Nicolas angeklagt. Er hatte die betrunkene Frau mutmaßlich in seinen Van getragen, sie vergewaltigt, während mehrere andere Soldaten zusahen und ihn anfeuerten, und sie anschließend auf einen nahegelegenen Kai geworfen. Ein Zivilprozess fand statt, doch die Presse durfte nicht in den Gerichtssaal und die Amerikaner behielten Smith während der gesamten Zeit in der US-Botschaft in Gewahrsam. Im Dezember 2006 wurde Smith für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch blieb er weiterhin in der US-Botschaft, da er Berufung einlegte. Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA zwei Jahre später urteilte, dass US-Soldaten, die eines Verbrechens für schuldig befunden werden, in philippinischen Einrichtungen verwahrt werden sollen, wurde Smith nie ins Gefängnis zurückgebracht. Im April 2009 widerrief dann Nicolas ihre Zeugenaussage und verließ die Philippinen, um, ausgestattet mit einer Aufenthaltsgenehmigung und einer Abfindung von Smith in Höhe von 10.000 Pesos (ca. 2.000 Euro), in die USA auszuwandern. Das Berufungsgericht hob sofort Smiths Verurteilung auf und er verließ in weniger als 24 Stunden das Land.

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Zur Zeit von Laudes Ermordung war die Wut auf die Amerikaner schon am Brodeln: Die zwei Länder steckten mitten in den Verhandlungen um eine Vereinbarung, die es den USA erlauben würde, neue Militäreinrichtungen zu bauen und Verteidigungsposten an mehreren Stellen in den Philippinen zu positionieren, unter anderem auch in Olongapo. Transgender-Aktivisten, normalerweise selbst von der Linken an den Rand gedrängt, nahmen sich des Falls an und nutzten die Wut auf die Amerikaner, um Gerechtigkeit für Laude zu verlangen. Vor der US-Botschaft in Manila verlangten Filipinos die Ausweisung der amerikanischen Truppen und verbrannten eine Nachbildung einer amerikanischen Flagge. Naomi Fontanos, Mitgründerin der Transgender-Lobbygruppe GANDA Filipinas, war beeindruckt von der weitreichenden Mobilisierung, die Laudes Fall bewirkte. „Ihre Ermordung brachte viele Freiheitsbewegungen zusammen, die alle nach Gerechtigkeit schrien", sagte sie.

Als sie vier Tage nach Laudes Tod immer noch nicht den Eindruck hatte, dass tatsächlich Beweise gesammelt wurden, beschloss die Familie, selbst eine Zivilklage wegen Mordes einzureichen. Viele Organisationen waren gewillt, sie zu vertreten, doch die Familie wählte den Anwalt und Aktivisten Harry Roque sowie Virginia Suarez, eine Anwältin, die der Bewegung für Nationale Demokratie (KPD) angehört. Die Partei gehört zu den größten Kritikern der amerikanischen Militärpräsenz. Suarez, die Generalsekretärin der KPD, sagte: „Es geht nicht nur um den Fall selbst, sondern auch darum, wie das VFA Filipinos in ihrem eigenen Land als Bürger zweiter Klasse behandelt."

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Die Koalition der philippinischen Laude-Unterstützer wuchs, doch viele hatten Schwierigkeiten damit, ihren Status als Transfrau zu verstehen. Die philippinischen Medien und die Öffentlichkeit beschrieben Laude immer wieder als Mann oder als bakla, eine einheimische Identität, die verschiedene Konzepte von Geschlecht und Sexualität vereint. Das Wort bakla wird verwendet, um Menschen zu beschreiben, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich zu Männern hingezogen fühlen, die aber viele feminine Eigenschaften haben. Da bakla in den Philippinen ein sozial integriertes drittes Geschlecht ist, verstanden viele nicht Laudes Identität als Frau, verwendeten wiederholt ihren Geburtsnamen und nannten sie schwul. Als ich von Laudes Ermordung erfuhr, identifizierte ich mich in gewisser Weise mit ihr. Ich wuchs ebenfalls in den Philippinen auf und auch mir wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen; erst als ich mit 15 Jahren in die Staaten kam, beschloss ich, eine Frau zu werden. Ich habe oft gedacht, dass ich bakla geworden wäre, wenn ich in den Philippinen geblieben wäre, denn ich hätte vermutlich nicht die Möglichkeit einer Transidentität erkannt. Laude, 13 Jahre jünger als ich, gehörte zu der ersten Generation philippinischer Transfrauen, die einen großen Teil ihres Lebens online verbracht haben und stark von den amerikanischen Medien beeinflusst sind. Obwohl Filipinos ihren Wunsch, als Frau anerkannt zu werden, nicht verstanden, fand sie auf eigene Faust heraus, dass diese Möglichkeit bestand, und beschloss, sie wahrzunehmen. „Filipinos sehen Menschen wie Jennifer meist als die extremste Form von bakla", erklärte mir Fontanos. „Die beste Folge, die der Fall Laude hatte, ist, dass er das Land gezwungen hat, die Existenz von Transfrauen anzuerkennen." Der Mord an Jennifer Laude zeigte den Philippinen sowohl, dass Transfrauen existieren, als auch die Gewalt, der sie sich täglich gegenübersehen.

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Die Ereignisse, die auf die Klage der Familie Laude gegen Pemberton folgten, vergrößerten das Misstrauen vieler Filipinos gegen das US-Militär nur noch. Als Pemberton zur ersten mündlichen Verhandlung des Zivilprozesses nicht auftauchte, drohten die Laudes damit, die Regierung zu verklagen, weil sie Pemberton nicht in Gewahrsam genommen und gezwungen hatten, zu erscheinen. „Die philippinische Regierung ließ die gesamte Nation im Stich, als sie nicht darauf bestand, ihn in Gewahrsam zu nehmen", sagte Roque einer philippinischen Nachrichtenquelle. Am nächsten Tag, fast zwei Wochen nach dem Mord an Laude, überführte man Pemberton von der Peleliu nach Camp Aguinaldo, dem Hauptquartier des philippinischen Militärs, in Quezon City. Dort sollte er zusammen mit Wachen des US-Militärs in einem klimatisierten, sechs Meter langen Van verwahrt werden. Obwohl die äußere Umgebung von philippinischen Soldaten bewacht wurde, beschrieb ein Sprecher des Außenministeriums die Situation lediglich als „gemeinsame Bewachung": die Vereinigten Staaten hatten ihn immer noch in ihrem Gewahrsam.

Es dauerte einen weiteren Monat, bis die Regierung Pemberton offiziell festnahm. Am 19. Dezember stellte der Regional Trial Court von Olongapo City den Haftbefehl aus. „Es ist Mord", sagte Emilie de los Santos, die oberste Strafverfolgerin von Olongapo, nachdem sie die Klage erhoben hatte. Vier Tage später erschien Pemberton zum ersten Mal seit Laudes Tod in der Öffentlichkeit. Er betrat um 17 Uhr einen Gerichtssaal in Olongapo.

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Pemberton schwieg während der gesamten Verhandlung und bekannte sich weder schuldig noch nicht schuldig. Seine Verteidigung bat um Aufschub, während sie beim Justizministerium die Einstellung des Verfahrens beantragte.

Die vorsitzende Richterin, Roline Ginez-Jabalde, gab dem Antrag um Aufschub der Verteidigung statt, doch das philippinische Justizministerium urteilte, die Anklage sei rechtens gewesen und die strafrechtliche Verfolgung Pembertons wurde fortgesetzt. Ein erster Verhandlungstermin, bei dem man von Pemberton zumindest ein Bekenntnis zu Schuld oder Nichtschuld erwartete, wurde für den 23. Februar angesetzt. In der Zwischenzeit bat die Staatsanwaltschaft die Richterin, ihre Entscheidung, die Presse von den Verhandlungen auszuschließen, noch einmal zu überdenken, und noch einmal zu versuchen, Pemberton in ein philippinisches Gefängnis zu überführen. Ginez-Jabalde hatte zusammen mit Pembertons Verteidigerin Rowena Garcia-Flores Jura studiert, weigerte sich aber, den Fall abzulehnen, obwohl die Strafverfolger sagten, sie hätten gesehen, wie sie mit Pemberton und Garcia-Flores Rücksprache gehalten habe. Ihr Zugeständnis eines 60-tägigen Aufschubs und der Starttermin am 23. Februar könnten sich als folgenschwer erweisen, denn die Strafverfolger haben nur ein Jahr Zeit, ein Urteil zu sichern, bevor Pemberton den Bedingungen des VFA zufolge freizulassen ist.

„Ich wusste, dass sie ein Mädchen ist, als ich sie mit ihren Schwestern sah und sie sich nicht bewegte wie ein Junge, aber ich schimpfte nie mit ihr", erzählte mir Julita Laude als wir zusammen in Gerry's Grill im Harbor Point aßen, demselben Einkaufszentrum, in dem Pemberton und seine Freunde waren, bevor sie ins Ambyanz gingen. Julita war ein paar Wochen nach dem Begräbnis am 24. Oktober in den Heimatort der Familie, Matagok in Leyte, zurückgekehrt, doch im Januar reiste sie wieder nach Olongapo, um nach ihren Töchtern zu sehen.

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Laut Julita fing Jennifer an, sich nur noch feminin in engen Jeans und Blusen zu kleiden, als sie in die Pubertät kam. Als sie 2006 mit der Highschool fertig war, zog sie nach Olongapo, um zu studieren, doch ihr Studium verzögerte sich, weil sie nach einer Schule suchte, die es ihr erlauben würde, Frauenkleidung zu tragen und ihr Haar lang wachsen zu lassen. Schließlich fing sie am Asian Institute of E-Commerce ein Personalmanagement-Studium an, doch verlor schnell das Interesse.

„Sie fing an, die ganze Nacht im Internet zu verbringen, und ging nicht in ihre Vorlesungen", sagte mir ihre Schwester Marilou. „Ich weiß nicht, was sie da tat, aber ausländische Männer begannen, ihr Geld zu schicken." Nachdem sie sich entschieden hatte, ihr Studium abzubrechen, fing Laude als Assistentin in einem Friseursalon an, wo sich ein britischer Kunde namens Joop in sie vernarrte, der nicht wusste, dass Laude trans war. Während sie sich näherkamen, wurde Laude bewußt, dass ausländische Männer, anders als Filipinos, sie ganz als Frau sahen, nicht als ein drittes Geschlecht. Selbst nachdem sie ihm erklärt hatte, sie sei „keine echte Frau"—eine Selbstbezeichnung, die nicht selten von Transfrauen in den Philippinen verwendet wird—ließ er sich nicht beirren und unterstützte Laude mit Geld und Geschenken. Doch er weigerte sich, in der Öffentlichkeit mit ihr gesehen zu werden, was irgendwann für Laude unerträglich wurde. Ihre Romanze verlief im Sande und Joop zog weg.

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Ende 2007 hatte Laude genug Geld angespart, um sich bei einem örtlichen Arzt Brustimplantate einsetzen zu lassen. Sie fing an, mit dem Geld, das sie mit Webcamming und Sexarbeit sowie den Geschenken ausländischer Verehrer verdiente, ihre Familie finanziell zu unterstützen. Julita gab zu, dass die Beziehungen ihrer Tochter das Leben der Familie materiell verbesserten. „Dank des Geldes, das mir Ganda gab, bauten wir mehr und mehr Zimmer an unser kleines Haus an", sagte sie. Ganda, Laudes Spitzname, bedeutet „Schönheit" auf Tagalog. Als Julita während des Taifuns Hagupit letztes Jahr das Dach ihres Hauses verlor, bezahlte Laude die Reparaturen. Sie lieh auch anderen in der Gegend Geld, die unter dem Sturm gelitten hatten, ohne dabei eine Rückzahlungsfrist zu setzen.

„Sie hat mein Leben bequemer gemacht, aber es ist nicht ihr Geld, das ich vermisse", sagte Julita. „Es ist ihre Liebe. Wenn ich früher krank wurde, dann wurde beim Gedanken an sie mein Körper leichter. Jetzt fühle ich mich schwer, als würde ich nie mehr gesund werden."

Laude traf Süselbeck, ihren Verlobten, im November 2012 in einem Reiseforum. Sie kommunizierten mit reinen Audioanrufen auf Skype und kamen sich dabei innerhalb von nur ein paar Tagen so nahe, dass Süselbeck verkündete, er habe für Weihnachten ein Flugticket in die Philippinen gekauft. Süselbeck hatte noch immer kein Bild von Laude gesehen, und voller Nervosität schickte sie ihm sofort eines. „Ich weiß, vielleicht wird es dich davon abhalten, jemals wieder mit mir zu sprechen", sagte sie ihm, „aber ich bin das, was die Leute ‚Ladyboy' oder ‚Shemale' nennen. Aber für alle, die Augen haben, bin ich einfach nur ein Mädchen. Ich bin ich, und ich werde stolz darauf sein, wer und was ich bin, wenn ich nur den richtigen Mann an meiner Seite habe."

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Süselbeck entschied, dass es ihm nichts ausmachte und trat die Reise an. Die erste Begegnung der beiden war auf dem Parkplatz des Flughafens. Ihre Romanze entwickelte sich rasant, und am 22. Dezember, nur knapp einen Monat nach ihrer ersten Interaktion im Internet, machte ihr Süselbeck auf einer Bühne in einem Einkaufszentrum in Olongapo vor Hunderten von Menschen einen Antrag. Er wollte öffentlich zeigen, dass er sich nicht dafür schämte, mit einer Transfrau zusammen zu sein.

Im Laufe der nächsten zwei Jahre verbrachte er jeden Urlaubstag in den Philippinen, wobei er jeweils einmal im Sommer und einmal im Winter zu Besuch kam. Süselbeck beantragte im Sommer 2013 ein deutsches Visum für Laude, doch der Antrag wurde abgelehnt, „wegen der Vorurteile, die die deutsche Botschaft gegen sie hatte", sagte er. Das Paar fochte die Entscheidung an, und am 1. Oktober 2014, zehn Tage bevor Laude starb, erhielt Süselbeck einen Anruf von den deutschen Behörden, in dem man ihm mitteilte, man sei bereit, Laude nach einem Pro-forma-Gespräch im Dezember ein Visum auszustellen. Sie schmiedeten Heiratspläne für den Frühling und Laude kaufte sich ein Hochzeitskleid. Süselbeck vermutete, Laudes Unsicherheit in Bezug auf ihre Weiblichkeit, die bei ihr die Angst hervorrief, das Eheleben könne doch nicht funktionieren, müsse der Grund gewesen sein, warum sie in jener Nacht mit Pemberton zusammen war. Nichtsdestotrotz sagt er, er mache ihr keine Vorwürfe.

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Was Süselbeck allerdings zu Vorwürfen verleitete, war die unterschiedliche Behandlung, die Pemberton und ihm seitens der philippinischen Regierung zuteil wurde. Am 22. Oktober erklomm Süselbeck einen Zaun von Camp Aguinaldo und schubste einen Militäroffizier. Süselbeck behauptete, der Kommandant des Stützpunkts, Brigadier General Arthur Ang, habe ihm versichert, es werde keine Folgen für ihn geben. Aber nachdem der US-Botschafter Philip Goldberg den Vorfall „sehr enttäuschend" nannte, entschied das Militär doch, rechtliche Schritte gegen Süselbeck einzuleiten. Die Einwanderungsbehörde behauptete, Süselbeck habe sich zu einer „freiwilligen Deportation" bereit erklärt—was er abstreitet—und setzte ihn auf eine schwarze Liste, die ihm die erneute Einreise in die Philippinen untersagt. Er hatte geplant, am 13. März dorthin zurückzukehren, dem Tag, an dem er und Laude hatten heiraten wollen. „Mich verbannen sie wegen Respektlosigkeit und grober Arroganz aus den Philippinen, doch den Mann, der meine Frau ermordet hat, schützen sie, nur weil er Amerikaner ist", sagte er.

Am Morgen des 14. Januar traf Familie Laude mit ihren Anwälten im Gericht von Olongapo City ein. Sie hofften, Richterin Ginez-Jabalde würde das Presseverbot aufheben und die Entscheidung, Pemberton im Gewahrsam der USA zu lassen, noch einmal überdenken. Der Antrag war typisch für Roque. Seine sachten Bewegungen und sanfte Stimme verbergen eine aggressive Zielstrebigkeit. Er hat Erfahrung in internationalem Menschenrecht und war der erste asiatische Anwalt, der am Internationalen Strafgerichtshof zugelassen wurde. „Wir erwarten nicht, dass sie ihre Entscheidung ändert", sagte Roque, „doch der Antrag ist ein notwendiger Schritt, bevor die Sache vor den Obersten Gerichtshof kann."

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Die Zivilstrafverfolger saßen an einem langen Tisch vor der Richterbank, gesäumt von dem Team der Staatsanwaltschaft und der Verteidigerin, Garcia-Flores. Während Roque seine Aufzeichnungen durchging, lieferten Suarez und Garcia-Flores sich einen verbalen Schlagabtausch.

„Ich habe gemischte Kampfkünste trainiert", sagte die fitnessbegeisterte Suarez. „Ich lerne, wie man Leute mit Schlägen und Tritten gefügig macht."

„Ich war auf der Uni Mitglied des Gewehrclubs", antwortete Garcia-Flores mit einem breiten Lächeln. „Bevor jemand versuchen könnte, mich zu treten, wäre die Person schon tot."

Die Verhandlung selbst war schnell vorbei. Ginez-Jabalde trat ein und begrüßte ausdruckslos alle Parteien; vielleicht eine Reaktion auf die Vorwürfe der Strafverfolger, sie sei parteilich.

Sie gewährte Garcia-Flores vier weitere Tage, um ihre Antwort einzureichen, und entließ die Gruppe. Die ständigen Verzögerungen haben den Anwälten der Laudes die Vorbereitungen erschwert. Zudem wurden die Verhandlungen auf Englisch abgehalten, wie es fast immer in den Philippinen der Fall ist. Ein weiterer Aspekt, der dem Amerikaner Pemberton einen Vorteil verschafft: Die Familie Laude hat nur begrenzte Englischkenntnisse.

Nach der Verhandlung verließ Garcia-Flores den Gerichtssaal, wobei sie sich weiter mit Suarez unterhielt. Als die Anwältinnen die Treppe zum Foyer erreichten, wo die Presse auf sie wartete, feuerte Garcia-Flores die letzte Salve gegen Suarez: „Ich verstehe gar nicht, warum wir uns streiten müssen", sagte sie und lachte kurz auf. „Lassen Sie uns einfach über Visa sprechen."

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Garcia-Flores' Anspielung auf den Fall Suzette Nicolas schien darauf hinzudeuten, dass die Strategie der Verteidigung darin bestehen würde, sich bei der Familie des Opfers freizukaufen. Spekulationen zufolge hatten die USA Nicolas die Aufenthaltserlaubnis nur unter der Bedingung gewährt, dass sie ihre Aussage zurückzog, von Smith vergewaltigt worden zu sein. Vertrauliche Depeschen der US-Botschaft, die 2011 von WikiLeaks veröffentlicht wurden, zeigen, dass die USA die philippinische Regierung unter Druck setzten, Smith in ihren Gewahrsam zu übergeben. Die Amerikaner zögerten außerdem die Akkreditierung des philippinischen Botschafters in den Vereinigten Staaten hinaus und drohten, gemeinsame Militärübungen abzusagen.

Die Laudes hatten das furchtbare Gefühl, dass die Vereinigten Staaten versuchten zu verhindern, dass der Prozess jemals stattfand, während die Verteidigung Pemberton von einer offiziellen Aussage abhielt. „Wir brauchen kein Geld und keine Visa von der US-Regierung", sagte Marilou. „Unsere Schwester soll nicht sterben, damit wir ein besseres Leben haben können."

Marilou zählte mehrere Situationen auf, in denen sie das Gefühl gehabt hatte, das man Pemberton bevorzugte. Als Pemberton im Dezember zu seiner Anklageverlesung nach Olongapo City kam, füllten Reihe um Reihe seiner Freunde in weißen Uniformen den Gerichtssaal, während ihre Familie hinten sitzen musste und ihre Cousinen nicht hineinkonnten, weil es zu voll war. Pemberton hatte seinen eigenen geräumigen Wohnwagen mit Klimaanlage, ein Komfort, den philippinische Gefangene nicht genießen.

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„Was ich möchte, ist, dass Pemberton dieselbe Strafe absitzen muss, wie jeder andere in den Philippinen es für diesen Mord müsste", sagte Julita. „Wenn wir Amerika erlauben, uns zu kaufen, dann ist das, als dürfte Pemberton Jennifer töten, wenn er nur dafür bezahlen kann."

Wenn man von der Vergangenheit ausgeht, wird es vermutlich so schnell keine Fälle gegen US-Soldaten geben, in denen philippinische Transfrauen gerecht behandelt werden. Julie Sionzon, die nach der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtssaal wartete, lebt seit mehr als 20 Jahren in Olongapo und arbeitet seit acht Jahren mit einem in Manila ansässigen Fernsehsender zusammen. Als eine der politisch aktivsten lesbischen Frauen in Olongapo hatte sie ein besonderes Interesse an dem Fall.

Während die Familie mit der Lokalpresse sprach, erzählte mir Sionzon von einer Erfahrung, an die Laude sie erinnerte. 1989, als sie eine 19-jährige Berichterstatterin für einen Lokalradiosender war, der über das Polizeidezernat von Olongapo berichtete, kam eine Frau mit einer geschwollenen Lippe und einem Veilchen in den Sender. Sie behauptete, ein US-Marine sei verantwortlich. Als der Mann festgenommen wurde, sagte er, er habe die Frau zusammengeschlagen, weil sie in Wirklichkeit ein Mann sei. Sie hatte eine flache Brust und eine jungenhafte Figur. Die Frau, die erst ein paar Tage zuvor aus der philippinischen Provinz Masbate gekommen war, bestand darauf, kein Mann zu sein.

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„Es gab damals keine Polizistinnen, also baten sie mich, zu überprüfen, ob sie wirklich eine Frau war", sagte Sionzon. Sie nahm die Frau mit ins Badezimmer, wo sie so tat, als würde sie ihren Körper untersuchen, obwohl sie die Frau nicht einmal bat, sich zu entkleiden. Durch die angelehnte Tür verkündete sie: „Sie ist eine Frau!"

Der Amerikaner war außer sich, doch Sionzon bestand auf ihrer Geschichte. „Es ist eine Lüge, die ich niemals bereuen werde", sagte sie. Danach bat die Frau Sionzon, die Verhandlung um eine Abfindung mit dem befehlshabenden Offizier des Marines zu dolmetschen. Er bot 300 Dollar an, und die Polizei riet der Frau dazu, den Betrag anzunehmen. Sie habe ja kein Geld für einen Anwalt, selbst wenn sie Anzeige erstatten wolle. Von der Summe, sagten sie ihr, würde sie aber nur 100 Dollar bekommen, da schon jeweils 100 Dollar für das Polizeidezernat und für einen örtlichen Regierungsbeamten reserviert seien.

Sie diskutierte so lange mit den Polizisten, bis diese sich bereit erklärten, der Frau den gesamten Betrag zu geben. Dann begleitete Sionzon die Frau zum Busbahnhof, wo sie ihr ein Ticket in ihre Heimatprovinz kaufte.

Am 23. Januar reiste Laudes Familie vier Stunden lang zum philippinischen Justizministerium in Manila, wo Roque sie empfing. Zwei Männer führten sie durch einen Innenhof und ein paar Gänge entlang zu einem kleinen Raum, in dem Barbie Gelviro und Elias Galamos—die Hauptzeugen in dem Fall, die vom Staat bis zum Prozess abgeschirmt werden—warteten. Julita, Michelle und Marilou wollten die beiden Zeugen treffen, um ihnen für ihre Bereitschaft, für Jennifer auszusagen, zu danken.

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Roque nutzte die Gelegenheit, um Gelviros und Galamos' Aussagen durchzugehen. Weil er besorgt war, dass die Regierung versuchen könne, die Zeugen während ihrer Isolation zu beeinflussen, wollte er sichergehen, dass ihre Aussagen sich nicht geändert hatten. Gelviro fing mit ihrer Geschichte an, doch sie zögerte, als Roque fragte, warum Laude und Pemberton in die Celzone Lodge, das Motel, gegangen waren.

„Darf ich das sagen?", fragte Gelviro, während eine Hand zu ihrem fein geschnittenen Gesicht wanderte. Ihre zerbrechliche Figur machte das unter Einheimischen beliebte Gerücht, sie sei die wahre Mörderin, noch abwegiger.

„Geht es Ihnen gut, Nanay?", fragte Roque Julita. Nanay ist das Tagalog-Wort für Mutter. Dieser Teil könnte für sie als Katholikin möglicherweise schwierig sein.

„Ich komme zurecht, solange es die Wahrheit ist", antwortete Julita.

An Roque gewandt sagte Gelviro, Pemberton und Laude seien in die Celzone Lodge gegangen, um Sex zu haben, doch sie sei während keiner finanziellen Transaktion mit Pemberton zugegen gewesen. Dies widersprach der eidlichen Zeugenaussage, die sie anscheinend vor dem NCIS gemacht hatte. (Aber verlieh einer alternativen Version der Ereignisse ein wenig Glaubwürdigkeit, nach der es Gelviro gewesen sein soll, die Pemberton versprochen habe, er könne mit Laude schlafen, und die ihre Freundin ins Motel lockte.) Der Rest der Aussage wurde immer wieder durch Fragen unterbrochen. Nachdem Roque Galamos' Aussage durchgegangen war und sie für zufriedenstellend befunden hatte, verließ er das Zimmer und ich blieb zusammen mit Gelviros Vater, der ihr während des Zeugenschutzes Gesellschaft leistete, bei den Zeugen und der Familie. Wie Julita hatte auch er keine Probleme, das Geschlecht seiner Tochter zu akzeptieren. Ein paar Minuten darauf kamen zwei neue Besucher herein, die Marilou als Jamille und Charis vorstellte, zwei der Frauen, die in der Mordnacht mit Laude zusammen gewesen waren. Eine weitere Freundin, Gorgeous, konnte nicht kommen, weil sie vor Kurzem aufgrund einer Analfistel operiert worden war. „Sie hat sich überarbeitet", sagte Charis diplomatisch.

„Das ist die Journalistin aus Amerika, von der ich euch geschrieben habe", stellte mich Marilou vor. „Sie ist auch trans." Die drei Frauen durchlöcherten mich sofort mit Fragen über meine Transition und Operationen, vorneweg Gelviro, die bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort zu mir gesagt hatte. Jamille und Charis, die bis dahin nicht mit der Presse hatten sprechen wollen, fragten abwechselnd, ob ich einen Freund habe, ob er wisse, dass ich trans sei und wann ich es ihm gesagt hätte. „Manchmal erfahren unsere Freunde es monatelang nicht", sagte Charis. „Wenn überhaupt."

Eine Beamtin des Zeugenschutzes kam ein paar Minuten später herein, um das Ende des Besuchs anzukündigen. Gelviro hatte für jenen Nachmittag Ausgang und wollte im Einkaufszentrum einkaufen, und so lud sie ihre Freundinnen und mich ein, sie zu begleiten. Die Beamtin sagte uns, wir könnten in der Öffentlichkeit nicht zusammensein, doch wir könnten in einem gewissen Abstand hinter ihr herlaufen, während sie einkaufte.

Die nächsten 20 Minuten verbrachte ich damit, zusammen mit Jamille und Charis Gelviro zu folgen, wobei die zwei mich weiter über mein Leben ausfragten. Charis wollte wissen, ob ich nur Freunde oder auch Kunden hätte. Ich brauchte mehrere Anläufe, um ihr klarzumachen, dass ich noch nie Sexarbeit gemacht habe und von den Leuten, mit denen ich ausgehe, keine finanzielle Unterstützung erwarte. Ich bekam den Eindruck, Charis hatte noch nie eine Transfrau getroffen, die keinen Sex für Geld gehabt hatte.

Mit Blick auf mein schmuckloses Erscheinungsbild meinte Jamille zu Charis: „Sie muss sich keine Mühe geben, eine Frau zu sein. Das liegt an der Operation. Niemand wird bezweifeln, dass sie eine Frau ist."

Da wir nicht mit Gelviro sprechen konnten, winkten wir schließlich durch die Scheibe eines günstigen Schuhgeschäfts zum Abschied. Die Mädchen mussten sich für ihre Kunden am Abend vorbereiten. Charis wollte ein Motelzimmer buchen, da sie die Nacht zuvor kaum geschlafen hatten, doch sie zögerte, weil ihre Termine nichts Sicheres waren.

Ich bot ihnen an, in dem Hotelzimmer, das ich mit meinem Partner teilte, zu duschen und ein Nickerchen zu machen; wir hatten zwei Betten. Im Taxi auf dem Weg dorthin erzählten sie mir, dass sie am Abend zuvor am Flughafen chinesische Geschäftsmänner kennengelernt hatten. Die Männer wussten nicht, dass sie trans sind. „Sie gehen, wenn wir es ihnen sagen", sagte Charis. Beide kannten brenzlige Situationen mit Kunden, die es herausgefunden hatten. „Meistens lachen sie einfach und wollen keinen Sex", sagte Jamille. „Aber manchmal drohen sie, uns zu schlagen, und wir laufen davon."

Charis scherzte, Jamille fühle sich zu Filipinos hingezogen, die Jamille als bakla und nicht als Frau sehen und von ihr finanzielle Unterstützung für ihre Zuneigung erwarten. Während Ausländer für Charis' und Jamilles Gesellschaft bezahlen, sind es bei den Einheimischen die maskulinen Filipinos, die eine Gegenleistung erwarten, weil sie sich nach gängiger Auffassung erniedrigen, wenn sie homosexuelle Handlungen ausführen.

Die zwei Frauen sprachen darüber, dass sie sich einsam fühlten und niemanden hätten, der ihre emotionalen Bedürfnisse erfüllen könne. Sie müssten für die Gesellschaft philippinischer Männer bezahlen und seien nicht in der Lage, ausländische Männer zu finden, die sie akzeptierten, wenn sie herausfänden, dass sie trans seien. Laude bewunderten sie, weil sie zur Ausnahme geworden war, was ihren Tod nur noch unfassbarer machte. „Sie war die selbstsicherste von uns allen", sagte Charis.

Erst am Morgen nach Laudes Tod hatten sie herausgefunden, was mit ihr geschehen war. Jamille, die ihre Mitbewohnerin gewesen war, fand auch heraus, dass Jairn Rose, Pembertons Freund, dem gegenüber er gestanden hatte, in jener Nacht ihr Kunde gewesen war. „Er war wirklich nett zu mir", sagte Jamille. „Die Last ist immer noch so schwer. Ich kann nicht glauben, dass sein Freund meine Freundin getötet hat."

Laude wollte eine geschlechtsangleichende Operation, obwohl ihr Verlobter ihren Körper akzeptierte, wie er war. Jamille und Charis sahen Operationen ebenfalls als Lösung ihrer Probleme, denn sie würden ihnen erlauben, als Frauen zu leben, ohne Körperteile verstecken zu müssen. Doch der Eingriff kostet etwa 10.000 Dollar und ist somit weit jenseits der Möglichkeiten dieser Frauen, die in der Regel 40 Dollar pro Kunde verdienen.

Nachmittag wurde zu Abend, und die zwei Frauen fingen an, sich für Kunden fertig zu machen, indem sie ihre bequemen Sachen gegen knappe Kleider tauschten und ihre Haut mit Make-up aufhellten. Während Charis, die einen der Männer bei einem früheren Besuch als Kunden gehabt hatte, sich ihrer Femininität sicher zu sein schien, zeigte sich Jamille besorgt, dass ihre Haut zu dunkel und ihr Gesicht zu maskulin sein könnten.

„Es ist nicht so, als wäre das hier das Leben, das wir wollen", sagte Jamille, während sie ihre Augen mit einem dunklen Stift umrandete. „Aber es ist die einzige Möglichkeit für uns."

Sie ging aus, um sich mit einem Mann zu treffen, der nicht wusste, dass sie trans war, und ging damit dasselbe Risiko ein, das zum Tod ihrer Freundin geführt hatte. Nach diesem Mann wollte sie noch einen treffen, und noch einen, und dabei beten, dass sie kein Pech haben würde. In der Zwischenzeit hoffte sie, dass Pemberton für Laudes Tod zur Verantwortung gezogen würde. Doch sie wusste, dass sein Mordprozess unter amerikanischem Schutz und vor der Presse abgeschirmt stattfinden würde—hinter verschlossenen Türen, genauso wie Laude starb.