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Meinung

Tiny Houses sind die dümmste Idee gegen steigende Mietpreise aller Zeiten

Deine Minihütte löst keine Probleme am Wohnungsmarkt, im Gegenteil.
Tiny House vor Regenbogen
Tiny Houses verbessern nicht die Welt, auch wenn ihre Bewohner das glauben | Collage bestehend aus: Tiny House: imago | epd || Regenbogen: pixabay | CC0

  

Einen Rückschritt als Fortschritt zu verkaufen, ist eine dreiste, aber geniale Marketingidee. Pay two get one. Besonders gut gelingt das zur Zeit mit Tiny Houses. Diese lächerlich kleinen Hütten, in die gut ausgebildete Menschen ziehen, um ihren First-World-Problems zu entkommen. So wirkt es zumindest in den begleitenden YouTube-Videos, Instagram-Einträgen und Artikeln.

Aber Tiny Houses sind nicht nur vermeintlich autarke #hygge-Höhlen, die oft aussehen, wie eine aufgearbeitete Baumarkt-Hütte auf Rädern. Sie sollen auch bedeutungsvolle Symbole sein. Für den Kampf gegen Wohnungsnot, für Minimalismus und Downsizing. Endlich weniger Besitz und mehr Leben. Viel mehr Abenteuer geht im Kapitalismus nicht. Aber diese Logik geht nicht auf.

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Natürlich ist es OK, in einer dünnwandigen Hütte vor sich hinvegetieren zu wollen. Und es ist auch OK zu versuchen, einen Ausweg aus der Wohnungskrise zu finden. Aber die Ignoranz, mit der die Szene die Zukunft des Wohnens predigt, ist dumm. Denn in Wirklichkeit dienen die Zwergenhütten vor allem der Selbstverwirklichung gelangweilter, privilegierter Menschen, die keine Ahnung von den Problemen am Wohnungsmarkt haben.

Wer freiwillig auf engstem Raum wohnt, hat schon aufgegeben

"Es ist nicht ganz so toll, wenn sich in Innenstädten Leute keine Wohnung mehr leisten können, aber gut ausgebildete Leute gezwungen werden, sich in Tiny Houses reinzuneurotisieren", sagte Jan Böhmermann neulich in seinem Podcast und lieferte mehrere Minuten lang einen Rant unter dem Titel "Fick dein scheiß Tiny House".

Mit anderen Worten: Die Faszination für Tiny Houses ist nicht nur realitätsfern, man muss sie sich auch leisten können. Trotzdem tun Tiny-House-Fans, als hätten sie eine günstige Alternative zu teurem Wohnen gefunden.


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Auch der Architekt Van Bo Le-Mentzel hat Tiny Houses entwickelt. Gegen den "Immobilienwahnsinn", sagte er. Sein durchaus unterstützenswertes Ziel sei es, dass jeder mitten in der Stadt leben könne. Absurd wird es aber, wenn Le-Mentzel die geschätzten Mietkosten für sein Tiny House nennt: 100 Euro für 6,4 Quadratmeter, das könne sich jeder leisten, sagt der Architekt. Damit verbessert er die Lage auf dem Wohnungsmarkt aber nicht, er verschlechtert sie.

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Weil sie klein sind, kosten Tiny Houses zwar wenig Geld, aber deshalb sind sie noch lange nicht billig. Im Gegenteil: Umgerechnet kostet der Quadratmeter bei Le-Mentzel 15,60 Euro Miete – mehr als die durchschnittliche Miete in Wien. Damit normalisieren Tiny Houses die Entwicklung von immer kleineren, immer teureren Wohnungen. Sie sind eine pastellfarbene Kapitulation vor steigenden Mietpreisen. Auch Tchibo hatte mal Tiny Houses im Angebot. 40.000 Euro aufwärts sollten die Hütten kosten. Für eine Größe ab zehn Quadratmetern.

"Wie wäre es denn einfach damit, wenn man anfängt, […] normal houses affordable zu machen? Wäre das nicht mal ein Trend, an den man sich ransetzen könnte?", fragte auch Böhmermann in seinem Rant. Aber das scheint vielen Tiny-House-Begeisterten egal zu sein. Sie treibt offenbar eine seltsame Faszination für den Verzicht an, die man wohl nur verspürt, wenn einem der Wohlstand den Verstand weggeblasen hat.

Tiny-House-Fans haben den Bezug zur Realität verloren

Verzichten wollen Tiny-House-Jüngerinnen und -Jünger vor allem auf "Ballast". Gemeint ist ihr Besitz, der offenbar schwer auf ihren gut genährten Schultern lastet. Die Lösung dieses wirklich schlimmen Problems ist das Tiny House. Denn wer wenig Platz hat, sammelt auch weniger Ballast an! Das ist so, als würde man sich darüber freuen, nichts zu essen zu haben. Schließlich wird man dann nicht dick! Enge wird zu Gemütlichkeit, Armut zu Minimalismus und Verzicht zu einer Lebenseinstellung. Dabei ginge es auch einfacher.

Anstatt ihr soziales Experiment im Tiny House zu starten, könnten die Bewohnerinnen einfach für ein paar Monate in die Hochhaussiedlungen Floridsdorfs ziehen. Die Leute dort würden ihnen sicher gerne erzählen, wie geil diese Party namens Leben ist, wenn man wenig besitzt und auf wenigen Quadratmetern lebt.

"Die räumliche Enge zwingt zu Ordnung", schreibt auch eine Stern -Autorin, die sich durch eine Nacht in Le-Mentzels Minihütte gefroren hat und in ihrem Fazit "kalte Nächte und Kotbeutel" nicht sehr verlockend findet. All das klingt nach einer Gefängniszelle, statt nach Raum zur Entfaltung. Dabei wäre eine Gefängniszelle gegenüber Tiny Houses fast schon ein Fortschritt. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass Menschen in Gefangenschaft zumindest 3 Quadratmeter individuellen Raum benötigen, abseits von Waschmöglichkeiten, WC, etc. Das Anti-Folter-Komitee fordert zumindest 7 Quadratmeter pro Inhaftierten.

Die selbsternannte Tiny-House-Bewegung will alternative Formen des Wohnens erforschen. Doch wenn ihre Antwort auf Wohnungsnot lautet, dass wir alle mehr Geld für noch weniger Platz ausgeben müssen, sollten sie vielleicht mal, um endlich aufzuwachen, ein kaltes Bad nehmen. Wenn sie überhaupt eine Badewanne haben, in ihrer Minihütte.

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