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Queere YouTuber erzählen, warum sie jetzt YouTube verklagen

"Es geht darum zu zeigen, dass es vollkommen normal ist, homosexuell zu sein. Dass queere Menschen nicht unsichtbar sind."
Screenshot vom YouTube-Kanal BriaANDCrissy
Screenshot vom YouTube-Kanal BriaANDCrissy

ProudToLove steht auf dem Schild, das Chrissy und Bria in die Kamera halten: Die beiden YouTuberinnen sind verheiratet und stolz darauf. Und ihr Freund Brett aka Amp spricht auf YouTube über neue Kinks, um die Welt ein bisschen weniger verstockt zu machen. Die queeren YouTuberinnen und YouTuber sind drei von acht Klägern, die jetzt gemeinsam vor Gericht gegen Google vorgehen. Ihr Vorwurf: YouTube benachteilige queere Menschen.

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Konkret ist das natürlich etwas komplizierter. Auf YouTube gibt es Content-Regeln, ein Algorithmus berechnet, welche Videos empfehlenswert sind, und YouTube entscheidet dadurch de facto, wer mit welchem Videos Geld verdienen kann. Damit, so die Klagenden, würde der Konzern nicht sie, sondern auch die gesamte LGBTQ-Community stigmatisieren, blockieren und beschränken. Der queere Content würde als "shocking" und "sexual explizit" markiert werden, schreiben die Anwälte der acht in einer Pressemitteilung.

Also haben sich Brett Somers, Lindsay Amer, Chris Knight, Celso Dulay, Cameron Stiehl, Chrissy Chambers und Chase Ross zusammengeschlossen und Google herausgefordert: Sie wollen Schadensersatz und eine Regeländerung. So steht es in der Klageschrift, so sagen sie es in dem Video, in dem sie die Klage ankündigen. Google sieht das etwas anders. "Wir sind stolz darauf, dass so viele LGBTQ-Talente YouTube als Ort gewählt haben, um ihre Geschichten zu teilen und eine Community aufzubauen", schreibt ein Google-Sprecher in einer E-Mail an VICE. Die YouTube-Richtlinien würden keine Vorstellung von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität haben und Videos mit queeren Inhalten nicht einschränken, heißt es weiter. Auch Hassrede verfolge YouTube schnell.

Tatsächlich hatte Google im Jahr 2017 schon einmal zugegeben, dass sie Videos mit queeren Inhalten unbeabsichtigt diskriminieren und in den sogenannten "Restricted Mode" stecken, wie unter anderem NBC News berichtete. Das heißt alle, die laut Geburtsdatum ihres Accounts unter 18 Jahre alt sind, können die Videos nicht in der YouTube-Suche finden oder sehen. Außerdem ist der Modus an vielen öffentlich zugänglichen Computern eingestellt, also zum Beispiel in Schulen oder Bibliotheken. Damals sagte eine Sprecherin: "Wir haben unbeabsichtigt Inhalte aus dem eingeschränkten Modus gefiltert, die nicht hätten gefiltert werden dürfen." Google versprach Besserung.

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Der aktuelle Fall soll nun vor einer Jury verhandelt werden. Wann genau ist aber noch nicht klar. VICE hat die acht YouTuberinnen und YouTuber um ein Gespräch gebeten, zwei haben sich gemeldet. Die Interviews haben wir auf Englisch geführt.

Chrissy: "Zeigen, dass queere Menschen nicht unsichtbar sind"

Kanal: BriaandChrissy. Abonnenten: 850.000. Themen: Musik, Challenges, Lifestyle.

VICE: Seit wann fühlt ihr euch auf YouTube diskriminiert?
Chrissy: Das hat schon sehr früh angefangen. 2013 hat YouTube uns angeboten, an einer Videoaktion für queere Menschen teilzunehmen. Wir haben uns geehrt gefühlt und mitgemacht. Das Video mit dem Titel "ProudToLove Each Other" hat eine Menge Aufmerksamkeit bekommen. Bis wir dann drei Jahre später gemerkt haben, dass Google das Video nur noch volljährigen Menschen zeigt. Das Video war vollkommen harmlos. Als 2017 dann die "Adpokalypse" war, hat es uns besonders getroffen. Seitdem ist es sehr schwer für uns, weil sich vor vielen unserer Videos keine Werbung mehr schalten lässt und wir dadurch mit unseren Inhalten deutlich weniger Geld verdienen.

Warum habt ihr euch entschlossen, Google zu verklagen?
Wir hatten so viele Jahre, in denen wir eine gute Zeit auf YouTube hatten und in denen wir eine tolle Community aufgebaut haben, die uns viel gegeben hat. Nicht nur uns ist etwas genommen worden. Auch unsere Community hatte das Gefühl, dass sie etwas verliert. Wir haben uns schließlich gesagt: Genug ist genug! Wir haben uns dann mit den anderen zusammengetan, weil wir einfach alleine nicht die Kraft hatten, gegen Google vorzugehen.

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Was sollte YouTube ändern, damit sich eine queere Community wohlfühlen kann?
Erstmal sollten wir nicht die ganze Zeit auf unserem Kanal beleidigt werden. Unter unserem letzten Video hatten wir innerhalb weniger Stunden 1.500 Kommentare, die extrem beleidigend waren: 'Schwuchtel', 'Schweine', 'ekelerregend'. Quasi das ganze Wörterbuch. Wenn Google es schafft, uns durch Algorithmen zum Schweigen zu bringen, dann sollten sie es doch auch schaffen, diese Menschen zum Schweigen zu bringen.

Glaubt ihr, Google diskriminiert die LGBTQ-Community besonders stark?
Es ist uns sehr bewusst, dass queere Menschen nicht die einzigen sind, die auf YouTube diskriminiert werden. Konservative und Christen beispielsweise werden genauso zum Schweigen gebracht wie wir. Aber darum geht es nicht in unserer Klage. Wir repräsentieren die LGBTQ-Community. Es geht darum zu zeigen, dass es vollkommen normal ist, homosexuell zu sein. Dass queere Menschen nicht unsichtbar sind. Und wir wollen queeren Menschen, die mit ihrer Sexualität kämpfen, zeigen, dass auch sie normal sind und einen Platz in der Gesellschaft haben.

Amp: "Stigmatisierung ist heimtückisch leise"

Kanal: WattsTheSafeword. Abonnenten: 197.000. Themen: Kinks, Latex, Bondage, Furrys.

VICE: In eurer Klageschrift kritisiert ihr die Regeln, die Google für YouTube-Videos vorschreibt. Warum?
Amp: Ich halte es für unglaublich zufällig, mit welchen Videos sich Geld verdienen lässt. Selbst der Support von Google kann manchmal Fragen nicht beantworten, warum ein Video von Entmonetarisierung betroffen ist. Das ändert aber nichts daran, dass Google schlechte Regeln und Algorithmen hat, die LGBTQ-Inhalte automatisch markieren. Und wenn ihre eigenen Mitarbeiter nicht verstehen, wie und warum Inhalte gekennzeichnet und falsch eingeordnet werden, ist das ein Problem. Die Regeln sind zu schwammig geschrieben und dadurch total schwer zu befolgen.

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Deine Videos drehen sich oft um Fetische, es geht um Gleitgel-Tastings und viel um Sex. Spielt das in der Sammelklage eine Rolle?
Aufklärung ist wichtig, aber die USA tun kaum etwas dafür. Das trifft besonders marginalisierte Gruppen wie die LGBTQ+-Community. Themen wie Consent, Kondome, Schutz vor Geschlechtskrankheiten, Lust und Sexspielzeug vermeiden die Menschen. Und definitiv meiden sie alles, was kink-orientiert ist. Der Grund, warum ich so viel über die Sicherheit bei solchen Themen spreche: Ich habe Freunde verloren, weil ihnen unsichere Sexualpraktiken aufgezwungen wurden, weil bei ihnen zum Beispiel Knoten beim Bonding falsch waren.

Diese Stigmatisierung ist heimtückisch leise. Sie zensiert, beschämt und schadet so sehr denen, die nur versuchen, einvernehmlichen Sex zu haben, der sie glücklich macht. Unsere Videos dienen dazu, den Sex zu entmystifizieren, den die Leute praktizieren wollen, aber vielleicht Angst davor haben, weil er stigmatisiert ist. Warum sollte YouTube bestimmen, welche Aufklärung die Menschen zu sehen bekommen, um sich zu schützen?


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Warum glaubst du, dass es queere Inhalte besonders trifft?
Wir haben das getestet. Wir haben Videos, die eigentlich nicht anstößig waren, LGBTQ-spezifische Tags hinzugefügt, zum Beispiel transgender oder trans. Sie wurden entmonetarisiert. Selbst die CEO von Google hat in einem Fall zugegeben, dass die Firma der queeren Community mit Entscheidungen schade.

Ihr kritisiert auch, dass YouTube viele Hasskommentare unter euren Videos stehen lasse. Ist es nicht eure Aufgabe als YouTuber, das zu moderieren?
Es stimmt schon, dass der Kommentarbereich moderiert werden kann und muss. Aber die Geschwindigkeit, mit der queere YouTuber damit umgehen und härter arbeiten müssen, ist erstaunlich. Es geht nicht nur darum, dass wir diskriminierende Kommentare bekommen, sondern auch darum, dass wir von bestimmten Kanälen und ihren Anhängern gezielt attackiert werden. Wir müssen immer härter und härter arbeiten, weil wir gezielt belästigt werden.

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