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Der Verfassungsschutz blockierte womöglich Ermittlungen gegen Blood & Honour

Die rechtsradikale Vereinigung konnte sich in Deutschland teils ungehindert neu formieren.
Anhänger von Blood & Honour in Wales | Foto: imago | ZUMA Press

Schlechtes zu tun, um noch Schlechteres zu verhindern, ist ein ebenso paradoxer wie beliebter Nothammer in der Politik. Er wird immer dann geschwungen, wenn einem sonst nichts Besseres mehr einfällt. Im Kalten Krieg rüstete die CIA afghanische Mudschaheddin gegen die Russen mit Waffen auf, die Russen wiederum paktieren gerade mit Assad gegen den IS – und der Bundesverfassungsschutz hat offenbar Ermittlungen gegen das rechtsradikale Netzwerk "Blood & Honour" und dessen terroristischen Arm "Combat 18" behindert. Die eigentlich gute Absicht: Der Staat wollte noch mehr Informationen darüber sammeln.

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Blood & Honour wurde in den 1980er Jahren in England gegründet, um rechtsextreme Bands untereinander zu vernetzen. Ihr bewaffneter Seitenarm Combat 18 – Neonazi-Code für "Kampftruppe Adolf Hitler" – gilt als Terrororganisation. Mitglieder von Blood & Honour haben den NSU mit Sprengstoff und Unterkünften unterstützt, Im Jahr 2000 hat das Bundesinnenministerium die deutsche Division der Organisation verboten. Schon seit Anfang dieses Jahres ist bekannt, dass Blood & Honour in Deutschland trotzdem weiter machte und seit bereits vier Jahren wieder Konzerte organisiert. Im Mai bestätigte der Verfassungsschutz die Existenz der Organisation zumindest in Thüringen. Dennoch eröffnete der zuständige Generalbundesanwalt seit dem Verbot im Jahr 2000 keine weiteren Ermittlungen und man fragt sich, warum.


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Wie Recherchen der ARD-Politikmagazine Report Mainz und Fakt jetzt zeigen, blockierte das Bundesamt für Verfassungsschutz offenbar mehrmals Ermittlungen gegen Blood & Honour. Dabei verwies das Amt auf den Schutz von V-Leuten, unter ihnen auch der bereits im Mai enttarnte frühere Blood-&-Honour-Chef Stephan L.

Laut den ARD-Recherchen hat der Verfassungsschutz die Bedeutung von B&H nach dessen Verbot konsequent heruntergespielt. So teilte er dem Bundeskriminalamt mit, es gebe "keine Hinweise, die auf Bestrebungen zum Erhalt der Blood & Honour Division Deutschland auf Bundesebene hindeuten". Seltsam, denn anscheinend hat der Verfassungsschutz weiter in diese Richtung ermittelt und 2005 sogar einen Hersteller von Neonazi-Szenekleidung durchsucht. Die Information darüber stammt aus einem internen Vermerk des Landeskriminalamts Thüringen, das parallel zum Verfassungsschutz selbst gegen Blood & Honour ermittelte. Wenn das stimmt, wäre das ein Skandal. Denn der Verfassungsschutz hat keine exekutiven Befugnisse und darf nicht einfach eigene Beamte ein Haus durchsuchen lassen. Der Verfassungsschutz bestreitet, jemals eine Durchsuchung durchgeführt zu haben.

Als das LKA später den Klamottenhersteller ebenfalls durchsuchte, waren die Rechtsextremen längst an einen anderen, besser versteckten Ort gezogen. Spätestens da war das Misstrauen der LKA-Beamten so stark, dass die Polizeibehörde den Verfassungsschutz teilweise vor Hausdurchsuchungen nicht mehr informierte. Zu groß war die Angst, etwas davon könnte zu V-Leuten durchsickern.

Martina Renner von der Partei Die Linke konnte im NSU-Untersuchungsausschuss Akten zu Blood & Honour einsehen und äußerte gegenüber der ARD, dass der Verfassungsschutz bewusst gelogen habe. Die Behörde habe durch Informanten gewusst, dass sich führende B&H-Mitglieder auch nach dem Verbot weiterhin trafen und neu organisierten.

Fassen wir also zusammen: Auch nach dem NSU existiert in Deutschland weiterhin eine rassistische, rechtsradikale Vereinigung, samt terroristischer Unterorganisation. Die Polizeibehörden wissen davon, das Bundesamt für Verfassungsschutz weiß davon. Doch im Kampf gegen die Neonazi-Truppe stehen die Behörden einander eher im Weg, als sich zu unterstützen. Währenddessen macht Blood & Honour munter weiter: Am 15. Juli findet in Hildburghausen eines der größten deutschen Neonazi-Musikfestivals statt. Wie die Linken-Politikerin Katharina König-Preuss gegenüber VICE mitteilte, auch unter der Mitwirkung von B&H: "Die Veranstaltung wird in den internationalen Blood-&-Honour-Foren angekündigt und in Ländern beworben, in denen die Gruppierung nicht verboten ist." Bis zu 5.000 Besucher werden erwartet – einige davon womöglich auch im inoffiziellen Auftrag des Verfassungsschutz.

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