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Bayern

München ist angeblich die lebenswerteste Stadt der Welt: Für wen das nicht stimmt

In Notaufnahmen fehlen Krankenpflegerinnen und -pfleger, weil die sich die Mieten in der Stadt nicht leisten können. Und nirgends in Deutschland sterben mehr Menschen an Drogen als in Bayern.
Symbolfoto: imago | Ralph Peters

Menschen in München führen das Schmuseleben eines gut frisierten Chihuahua im Schoß einer alten Dame. Die Work-Life-Balance stimmt, sie sind zufrieden und gesund; die Umgebung ist sicher, sauber, reich. So zumindest begründet das Magazin Monocle, dass es München zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt hat. Die Frage: Für wen gilt das eigentlich?

Geht man die Feiermeile Sonnenstraße in der Innenstadt entlang, sieht man Obdachlose in vielen Hauseingängen liegen. Die Zahl der Wohnungslosen hat sich in München seit 2008 verdreifacht, Anfang 2017 waren das 7.500 Menschen. Viermal so viele Kinder wachsen in Notunterkünften auf. Das Problem: Es gibt zu wenig Raum für sozialen Wohnungsbau, viele warten ewig auf eine der gerade einmal 72.000 Sozialwohnungen. Dabei gelten mit 270.000 Menschen – also fast viermal so viele – als arm.

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Eine Kinderkrebsstation musste 2018 schließen, mehreren Notaufnahmen droht dasselbe. Immer mehr Krankenhäuser sind überbelegt, schicken Patientinnen und Patienten ins Umland. Der Grund dafür: Personalmangel. Der entsteht, weil sich Krankenschwestern und -pfleger die Mieten nicht mehr leisten können. Viele Menschen in München geben mittlerweile die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Wer sich München nicht leisten kann, zieht eben weg.

Die Mieten steigen, weil Leute wegen Jobs bei BMW, Audi oder Siemens in die Stadt ziehen und sich viele von denen eben 17 Euro pro Quadratmeter leisten können. Die großen Tech-Konzerne investieren in die Forschung. Die Universitäten TU und LMU sind im Times Higher Education Ranking die bestplatzierten Deutschen Unis und unter den besten 50 weltweit. Die Studentin aus der Schweiz hat im Normalfall mehr Geld als jene aus Deutschland für ihr WG-Zimmer und der Trainee von Siemens eben mehr Geld für sein Appartement als der Krankenpfleger.

Was nicht ins Bild passt, wird verdrängt

In München ist wenig Platz für Subkultur. Im "Kafe Marat", einem selbstverwalteten Kulturzentrum, treffen sich nicht nur Münchner Antifas, sondern auch das "Queer-Kafe", feministische und kurdische Gruppen, oder Leute, die einfach zusammen kochen wollen, Demos organisieren, Konzerte geben. In den Augen mancher der CSU-Fraktion im Stadtrat ist der Ort seit Jahren ein Problem. Sie klagen über "verfassungsfeindliche Graffitis", die besprühten Mauern passen nicht ins saubere Stadtbild. Dabei kennt kaum jemand in München diesen Ort. Doch nicht nur hier droht die Verdrängung.

Wo früher Partybusse Jugendliche zum Feiern abgesetzt haben, sollen sich heute Start-ups ansiedeln. Neben den Clubs mit Namen wie "Willenlos" und "Schlagergarten" stehen heute Bürocontainer. Neben dem Whisky Cola Special gibt es dort heute Aloha-Poke-Bowls für 12 Euro.

München verdrängt nicht nur die, die wenig verdienen, auch die, die es offiziell nicht geben soll: Drogensüchtige. Obwohl Bayern bundesweit die härteste Drogenpolitik fährt, sterben seit Jahren in keinem anderen Bundesland mehr Menschen an den Folgen von Drogenkonsum als hier. Und trotzdem will die bayerische Regierung in München keine öffentlichen Konsumräume für Heroin-User einrichten. Süchtige sollen unsichtbar bleiben. Das Drogendezernat der Münchner Polizei setzt laut eigener Aussage auf "Vertreibungsmaßnahmen". Sozialpädagogen und Streetworkerinnen von Einrichtungen wie dem Drogennotdienst L43 wissen trotzdem, dass es sie gibt: zum Beispiel in den Tunneln unterhalb von Hauptbahnhof und Stachus. Abhängige verschwinden in den sogenannten Katakomben, um sich ihren Schuss zu setzen. Manche sterben dort.

Ja, München ist laut Kriminalstatistik die sicherste Stadt Deutschlands. Die Arbeitslosigkeit ist auf unter vier Prozent gesunken. Der Durchschnittsbürger verdient im Jahr 60.000 Euro (in Berlin sind es 48.000 Euro). Und ja: München hat Biergärten, weiß-blauen Himmel und Seen mit Bergpanorama wenige Autominuten entfernt. Aber das alles hat eben seinen Preis. Die, die es sich leisten können, gehören dazu. Für die anderen ist München ein Club mit strenger Tür. Sie müssen draußen bleiben.

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